Werte Clue Reader,
wusstet ihr, dass der Ernst des Lebens durchaus Lachkrämpfe verursachen kann? Nein, dann wird es höchste Zeit, dass ihr unsere Interviewpartnerin flambant neuve kennenlernt. Mit einer gehörigen Portion Vorfreude flöten wir: Ajourd’hui nous souhaitons la bienvenu à une auteure formidable, Tharina Wagner.
Tharina schreibt, seit sie schreiben kann und dass sie dabei nicht bloss die Orthographie beherrscht, sondern auch alles andere, was eine Autorin so können muss, beweist sie uns mit ihrem Erstling „Blassrosa oder die geheime Taktik des Monsieur F“. Nach einer Schreibpause in den Jugendjahren fand sie zum Geschichtenerzählen zurück und hörte den Ruf der Ferne. Um sich selbst zu finden brach sie frankophone Gefilde auf, begegnete der langue nouvelle ebenso unerschrocken wie den neuen Gesichtern und Sitten. Tharina weiss zwar nicht, ob sie sich wirklich gefunden hat, wir können euch jedoch verraten, dass ihr Aufbruch in die Fremde sie zu literarischem Gold geführt hat.
Tharinas Werk entführt den Leser in ein blassrosa Haus, umrahmt von einem kleinen Garten, direkt im Herz eines Pariser Vororts. In ihm wohnen, kommen und gehen, sprechen und schweigen Menschen, deren Gedanken so einiges über unsere Gesellschaft verraten. Ein modernes Märchen sei ihr Erstling und wir pflichten bei, denn „Blassrosa oder die geheime Taktik des Monsieur F“ erinnert zuweilen wirklich an eine moralische Erzählung. Aber Obacht, wir haben es hier nicht mit einem streng erhobenen Zeigefinger zu tun, viel mehr mit einem sarkastischen Grinsen, das uns tiefe Einblicke gewährt, uns zum Lachen und Denken anregt und liebevoll das Schöne und Schreckliche an Tharinas Protagonisten sowie deren Umfeld näher bringt.
Interview wie Roman sind des Lesens wert, das können wir euch garantieren. Und als würde Tharina uns damit alleine nicht genügend Freude bereiten, habt ihr nach dem Interview die Chance eine Ausgabe ihres Werks zu gewinnen – Dranbleiben lohnt sich also gleich dreifach.
Und nun, allons-y!
Eine leichte Plauderei ist zur Tradition geworden und sollte zu Beginn eines jeden Clue Writing Interviews stehen. Angesichts jüngster Geschehnisse möchten wir uns allerdings erst vergewissern:
Wie geht es dir, deinen daheimgebliebenen, französischen und Pariser Freunden nach den vergangen Wochen?
Die Geschehnisse haben uns natürlich sehr erschüttert (an dieser Stelle meine herzliche Anteilnahme an die Betroffenen). Doch obwohl ich besagte Orte kenne, fühle ich mich mittlerweile, da ich Paris vor etwa 2 Jahren verlassen habe, eher als Außenstehende. Obwohl einige meiner Freunde ganz in der Nähe des Stadions arbeiten (und auch teils während der Attentate nicht weit davon entfernt waren), sind wir uns alle einig, dass man der Panikmache nicht folgen darf. Es nutzt nichts in Angst zu leben und sich in seinem Kämmerchen zu verstecken. Zum Glück scheinen die meisten Leute hier auch zu verstehen, dass vor allem jetzt Zusammenhalt aller Menschen, egal welcher Kultur, gefragt ist. Und die, die das nicht verstehen, haben es auch vor den Anschlägen nicht verstanden. Gleichzeitig finde ich es wichtig, dass wir auch die Probleme an anderen Orten der Welt wahrnehmen, anstatt uns mit der blau-weiß-roten Fahne die Augen zuzuhalten. Sind etwa die Menschen, die weiter entfernt von uns sterben, weniger wert? Ist ihr Tod weniger traurig, weil er teils von Staatsoberhäuptern beschlossen wurde? Bevor wir allerdings vorm Fernseher durchdrehen, lasst uns lieber wieder einmal ganz bewusst auf den roten Knopf oben links drücken.
Nun vom tragisch-realen Gegeneinander zu dem, was uns alle verbinden könnte und kann, der Freude am Schreiben und Lesen. Ein Oisillon hat uns gezwitschert, dass der Beginn deiner literarischen Reise mit einer tatsächlichen begonnen hat und weil das ganz apart ist, musst du uns diese Geschichte natürlich erzählen.
Wie kam es, dass du deine Koffer gepackt und in die Métro geschleppt hast?
Neben einer großen Portion Fernweh, die ich seit jeher in mir getragen habe, war der Hauptgrund meine damalige große Leidenschaft, der Tanz (Hip Hop/House). In Paris gibt es eine herausragende Szene mit vielen bekannten Studios und Lehrern, vielen interessanten Events. So war die Wahl schnell getroffen und im Frühling 2010 kam ich mit Sack und Pack in einem Pariser Banlieue an. Vor allem aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse wurde mein neuer Alltag zu einem ganz schönen (manchmal auch gar nicht schönen) Abenteuer: von der Jobsuche über unzumutbare Wohnverhältnisse und jede Menge skurriler Bekanntschaften – in der Theorie alltäglich klingende Aufgaben und Geschehnisse wurden zu wahrlichen Herausforderungen. Schaut euch dazu gerne meinen Blog an, in dem ich genaueres darüber erzähle (den Link findet ihr am Ende des Interviews). Im Nachhinein stelle ich mir manchmal sogar die Frage, wie es kommt, dass ich nicht eine Woche nach meiner Ankunft heulend in den Flieger gesprungen bin. Gleichzeitig habe ich hie und da das Gefühl, dass mein Leben erst mit meinem Aufbruch in die Ferne wirklich begonnen hat. Ich mag den Gedanken, alles von Null zu beginnen, auf sich selbst gestellt zu sein, sich neu zu (er)finden. Jede(r) sollte sein gewohntes Umfeld zumindest eine Zeit lang verlassen, um zu erfahren, wie viel von sich selbst wirklich man selbst und wieviel vom Umfeld beeinflusst ist. In meinem Fall habe ich gar nicht bemerkt, wie die Zeit verflogen ist. Fünf Jahre später habe ich immer noch nicht vor, nach Österreich zurückzukehren. Verliebt habe ich mich natürlich auch, aber die Geschichte erzähl ich euch hier nicht. Viel zu kitschig – verliebt in Paris, sowas passt doch nicht auf die Cluewriting-Seite. :)
Gut, jetzt zum blassrosa Elefanten im Raum oder sollten wir sagen, zum Éléphant rose pâle? Dein Werk strotzt nur so von frankophonen Phrasen, von unheimlich praktisch über herzhaft lustig bis hin zu, naja, geradeheraus unhöflich. Als Schweizer sind wir des Französischen zwangsläufig, pardon, erfreulicherweise mächtig, das geht jedoch nicht allen so, weswegen dein Werk gnädigerweise mit zahlreichen Übersetzungen in Fussnoten trumpft.
Hattest du Bedenken, dass die ungewohnte Sprache bei einigen den Lesefluss brechen könnte?
Nein, beim Schreiben hatte ich die absolut nicht, sonst hätte ich die französischen Ausdrücke einfach weggelassen. Mittlerweile habe ich verschiedene Rückmeldungen von Lesern bekommen. Auf Lovelybooks, Amazon und anderen Webseiten gibt es schon ganz tolle Rezensionen. Was die französischen Ausdrücke betrifft, gehen die Meinungen auseinander; die einen meinen tatsächlich, es störe den Lesefluss, die anderen finden, es erzeugt ein zum Buch passendes Flair. Das ist natürlich Geschmackssache – mich persönlich würden Wörter in einer Sprache, die ich nicht beherrsche, nicht stören, aber ich bin auch sehr sprachinteressiert, also wohl nicht das beste Beispiel. Sehen wir es doch so – für die Leser, die bis jetzt noch kein Französisch sprechen, ist ein Basis-Vokabel-Kurs im Buchpreis inkludiert.
Da wir gerade von französischer Couleur sprechen. Deine Sprachkenntnisse haben sich in den letzten Jahren von „entre le zist et le zest“ zu „oh là là, c’est manifique“ entwickelt. Da gerade umgangssprachliche Phrasen Kultur ausdrücken und die Sprache zieren, interessiert uns natürlich:
Welches französische Bonmot sollte man unbedingt kennen?
Passend zu den Pariser Vororten: Dort ist ein Slang, der sich „Verlan“ nennt, entstanden, laut Suchmaschine als Geheimsprache im zweiten Weltkrieg. Heutzutage wird dieser vor allem von Jugendlichen (und Junggebliebenen) benutzt. Gebildet wird ein Wort im „Verlan“, indem man einen ursprünglichen Ausdruck halbiert und die beiden Wortteile(nicht unbedingt Silben) mit einander austauscht. Manchmal wird auch ein Selbstlaut weggelassen oder hinzugefügt. Eine der ersten, in Paris oft gehörten Wortkombinationen, die man mir beigebracht hat ist „truc de ouf“. Dabei ist „truc“ ein korrekter- und „ouf“ ein Slang-Ausdruck. Truc (Ding) ist als Sprachenlerner natürlich sehr praktisch, weil man unbekannte Wörter damit ersetzen kann. Ouf kommt von fou (verrückt) – das heißt „Truc de ouf“ kann man immer dann anwenden, wenn man besonders beeindruckt oder entsetzt ist – egal ob im positiven oder negativen Sinne.
Als ich Französisch zu lernen begonnen habe, wusste ich manchmal nicht, ob die Wörter, die ich benutzte, korrekt oder „verlan“ waren, da ich vor allem durchs Zuhören lernte und viele Begriffe unbewusst aufgeschnappt habe. So ist es mir manchmal aus Versehen passiert, dass ich bei der Arbeit Slang-Ausdrücke benutzte, was gar nicht gerne gesehen wird.
Selbst ein flüchtiger Blick auf deinen Erstling gibt gleich ein besonderes Bijou preis und, wie sollte es anders sein, auch hinter dem steckt eine Geschichte. Blassrosa auf Sepia Grund thront ein schmales Haus über dem vielbesuchten Garten und wir wollen gleich verraten, das Schmuckstück stammt aus Stift und Pinsel deines Papas.
Wie war es für dich, dein Cover zum allerersten Mal zu Gesicht zu bekommen?
Ich war von Anfang an begeistert vom Blassrosa-Cover. Allerdings kann man meine Wahrnehmung mit der der Leser nicht vergleichen, da ich bei der gesamten Entstehung dabei war. Mein Papa hat mir verschiedene Skizzen geschickt – eine der ersten findet ihr auf der letzten Seite des Romans. Wir (der Verlag und ich) baten dann hie und da um kleine Änderungen. Als nach einiger Zeit alle Beteiligten zufrieden waren, kam der Entwurf auf eine Leinwand. (Was meiner Meinung nach dem Cover einen speziellen Effekt gibt, da man den Untergrund weiterhin gut erkennt.) Der Schriftzug wurde von Attila, einem der Grafiker vom Verlag 3.0, entworfen. Da mich das Gemälde an sich an einen Krimi denken ließ, wünschte ich mir einen auflockernden Schriftzug, passend zum humorvollen Inhalt. Attila hat das wunderbar umgesetzt. Als ich Blassrosa dann, so „ganz echt“ in den Händen hielt, habe ich festgestellt, dass es in natura sogar noch um einiges besser aussieht als auf dem Bildschirm. „Jetzt muss nur noch was G‘scheites drinstehen.“, hat mein Papa kurz vorm Erscheinungstermin gemeint. Davon dürft ihr euch natürlich gerne überzeugen! Das Originalgemälde steht übrigens seitdem in meinem Wohnzimmer.
Alors, wir geben reumütig und mit hängenden Öhrchen zu, dass wir erst seit kurzem vom „Buch ist mehr – Verlag 3.0“ wissen. Man könnte uns nun rügen, oder unsere Neugier stillen … Wie bist du zu deinem Verlag gekommen?
Aber nein, rügen kann ich euch da nicht. Der Verlag 3.0 ist schließlich ein sehr junger Verlag, gegründet 2011. Diese Unbekanntheit kann uns Autoren nun demotivieren oder anspornen – für mich werden wir dadurch Teil einer besonders interessanten Zusammenarbeit. Als Autoren sind wir von Anfang an mittendrin im Geschehen, kriegen die Verlagsarbeit hautnah mit. Nach der Fertigstellung des Blassrosa-Skripts habe ich Recherchen im Internet betrieben und war dem Verlag 3.0 gegenüber sogleich positiv gestimmt. Abgesehen von dem schicken Verlags-Violett finde ich vor allem die familiäre Atmosphäre super. Das habe ich schon während dem ersten Mail-Austausch mitbekommen, während dem ich ins Verlagshaus eingeladen wurde. Wir Autoren haben die Möglichkeit uns persönlich einzubringen. Außerdem gibt es ein Forum, in dem Leser und Autor mit einander kommunizieren können. Mir macht das große Freude und für die Leser ist es bestimmt auch sehr spannend.
Dein Verlag wirbt mit den Worten „Wo Leser und Autor sich begegnen“ – das ist keinesfalls ein leeres Versprechen, sondern ein Ehrenwort. So hat der Verlag 3.0 für seine Autoren mehr als nur ein place au calme zu bieten und du kommst neben Vorstellungen auch auf deinem Blog zu Wort auf dem du … Ach, was reden wir überhaupt? Das Wort gehört natürlich dir …
In meinem Blog erzähle ich von meinen Auswanderer-Abenteuern, meinen Eindrücken und Erlebnissen – Von meiner Ankunft über spannende Bekanntschaften, bis hin zum ganz alltäglichen Arbeitsalltag. Mittlerweile haben sich auch einige gesellschaftskritische Kurzgeschichten darunter gemischt. Was auch immer meine Gedankenwelt beschäftigt, wird auf verschiedene Art und Weise niedergeschrieben. Von humorvoll/satirisch bis traurig/nachdenklich ist alles dabei. Meinen Blog (und auch den der anderen Autoren) kann man übrigens ganz unkompliziert, ohne Registrierung lesen.
So, jetzt ab ins Banlieue zum blassrosa Häuschen – mitsamt Koffer und zum Händedruck gezückten Fingern. Die Geschichte deines Erstlings beginnt allerdings nicht im Garten, sondern im Gefängnis, wo der schlaue, leicht paranoide Fuchs sein zukünftiges Heim beim Spiel gewinnt. Und er wird nicht der einzige Bewohner bleiben, dessen Weste nicht lupenrein ist.
Was reizt dich an den, vielleicht nicht ganz so sauberen, Typen?
Was ich besonders interessant finde, ist wie schmal der Grat zwischen „uns“ und „denen“ – den Verbrechern, Ausgestoßenen, den „Anderen“ – ist. In Blassrosa verschwimmen die Grenzen zwischen Gut und Böse, genau wie sie das im echten Leben tun, auch wenn uns das nicht immer bewusst ist. Weil jemand ein von anderen Menschen erfundenes Gesetz nicht befolgt – bedeutet das zwangsläufig, dass er ein schlechter Mensch ist, von dem man sich abgrenzen muss? Ich finde es wichtig, dass wir versuchen auch die „Anderen“ zu verstehen, die Beweggründe für ihr Handeln, ihre Geschichte. Und was ist, wenn wir alle ein bisschen „anders“ sind? Deshalb schreibe ich gerne über Außenseiter. Wie eine meiner Rezensentinnen so schön gesagt hat, gibt es nicht nur schwarz und weiß, sondern ganz viel dazwischen. Das möchte ich in Blassrosa aufzeigen.
„Blassrosa oder die geheime Taktik des Monsieur F“ ist ein Werk, das nicht bloss durch seine Charaktere lebt, sondern ebenso von ihnen erzählt wird. Egal um was es geht, ob um Kuchen, Telefone oder die Geheimpolizei, immer schwingen die persönlichen Gedanken und Eindrücke deiner liebevoll aufgebauten und unheimlich diversen Protagonisten mit. Und ja, als Leser fühlt man sich hier und da richtiggehend ertappt (im Positiven wie Negativen), wenn man literarischer Zeuge einer Überlegung wird.
Haben deine Charaktere reale Vorbilder oder wie gelingt es dir, selbst den absurdesten Zeitgenossen nachvollziehbar und überspitzt-realistisch zu gestalten?
Die Protagonisten sind frei erfunden. Trotzdem habe ich einige Charakterzüge oder andere Ideen, oft unbewusst, vom Erlebten abgeleitet. Irgendwoher muss man schließlich seine Ideen haben! Um nicht vom Faden abzukommen, habe ich nach einiger Zeit Notizen zu jeder Figur angelegt. Je öfter ich das Skript überarbeitet habe, desto besser habe ich Ungereimtheiten wahrgenommen: Passt die Reaktion dieser Person zu ihrem Charakter? Würde die Person einen solchen Ausdruck benutzen? Um jemanden glaubhaft darzustellen, ist es besonders wichtig, sich in seine Charaktere einfühlen zu können. Zugegebener Weise haben mich diese wochenlangen Überarbeitungen manchmal sogar richtig genervt. Aber wenn man dann das Resultat in den Händen hält, ist das in Sekundenschnelle vergessen.
Leider nicht nur immer wieder, sondern eher ständig aktuell ist ein Kernthema deines Werks: die Anderen.
Sei es nun die Herkunft, Religion, Sprache, Beruf oder gar der Kleidungsstil, wir Menschen sind ja ausserordentlich gut darin, uns anhand diverser Wichtig- und Nichtigkeiten voneinander zu unterscheiden. Während es zweifelsohne zu unserer Natur gehört, uns abzugrenzen, um unsere Identität zu festigen, nimmt diese Eigenschaft teils scheussliche Züge an. Wir wollen aber nicht gleich von Krieg und Zerstörung sprechen, sondern fragen lieber:
Was glaubst du, wie können wir dieser Separation in unserem Alltag ein wenig entgegenwirken?
Da kann ich wohl nicht anders als zurück zum Einfühlen zu kommen. Für die andere Person bist du doch auch anders. Lasst uns versuchen die positiven Seiten dieses anders-seins zu sehen, durch den Austausch von diesen zu profitieren. Solange wir offen für neue Ideen sind, uns auf andere Menschen einlassen und miteinander kommunizieren gelingt das, versprochen.
Verdacht, Skepsis und der gleichzeitige Wunsch nach Weltoffenheit – oder wenigstens dem schönen Schein davon. Einige deiner Protagonisten könnte man die Worte „Ich bin ja nicht rassistisch, aber …“ in den Mund legen und du schaffst es, einerseits deutlich zu machen, weshalb diese Aussage falsch ist, und andererseits den guten Willen darin anzuerkennen.
Was möchtest du all jenen sagen, die diesen Satz in aller Ernsthaftigkeit benutzen?
Um dazu etwas Ernsthaftes sagen zu können, müssten wir uns erst einmal die Frage stellen, wie jemand zu so einer Einstellung kommt. Gehört derjenige zu der Sorte Mensch, die ihr Dorf nur verlässt, um einmal im Jahr in den Cluburlaub zu fahren, um sich dann darüber aufzuregen, dass die Speisekarte nicht auf Deutsch übersetzt wird? Dann würde ich sagen: „Schau dir erst einmal die Welt an, bevor du über andere urteilst.“ Ich bin auch überzeugt davon, dass wenn ein solcher Mensch wirklich diesem Rat folgt, er umdenken kann.
Schwieriger ist es bei der Sorte Mensch, die überzeugt davon ist alles gesehen und erlebt zu haben und in Wahrheit nach einer schlechten Erfahrung „die alle“ in einen Topf wirft. Da verweise ich auf das Zitat aus dem Kleinen Prinzen: „Es ist verrückt alle Rosen zu hassen, nur weil dich eine gestochen hat.“
Der Ausgrenzung gehen meist Vorurteile voraus. Werden sie bestätigt, brennt sich das in unser Gehirn, werden sie widerlegt, naja, tendieren wir oft zur Vergesslichkeit. Da du nun auf liebenswürdig-sarkastische Art über diese Thematik geschrieben hast, möchten wir annehmen, dass du ein magisches Wesen ohne jegliche Befangenheit bist. Der gemeine Realist lässt diesen Glauben freilich nicht zu, weshalb es uns reizt dich zu fragen, welche Vorurteile dich bis heute begleiten.
Es gibt da eins, gegen das ich mich bis jetzt nicht wehren kann. Ich finde diese reichen, Midlifecrisis-geplagten Typen mit ihren viel zu jungen Frauen mit falschem Lächeln und falschem Busen einfach zum Kotzen. Wenn ich so ein Pärchen sehe, denke ich automatisch daran, dass er sich nur wegen ihres Aussehens und sie sich nur wegen seines Geldes mit ihm sehen lässt. Da könnte man natürlich sagen, es sei kein schlechter Deal. Aber solche Oberflächlichkeit … Seht ihr – ich schreibe Punkte statt Wörtern, weil es mich wirklich nervt. Dann gibt es das Argument, das könnte trotzdem etwas mit einer normalen Beziehung zu tun haben. Da überzeugt mich noch eher das andere, dass mich Liebesbeziehungen anderer Menschen schlicht und einfach nichts angehen.
Grundsätzlich bin ich kein Fan von Leuten, die ihren Status oder ihr Geld ständig zur Schau stellen. Will mich jemand mit seinem neuen Auto oder Fernseher beeindrucken, habe ich automatisch das Gefühl, der habe wohl nicht besonders viel im Kopf, obwohl das eine und das andere nicht unbedingt etwas miteinander zu tun haben müssen. Vorurteile haben wir bestimmt alle. Aber heißt das jetzt, das mit dem magischen Wesen hab ich mir nur eingebildet?
Sozialer Status lässt sich nun mit vielerlei Ding erkaufen und ergattern und oft projiziert man dabei die eigenen Wünsche auf andere. Es verwundert daher nicht, dass zwischen Fremd- und Eigenbild eine mehr oder minder grosse Diskrepanz entstehen kann, mit der du auf wunderbar witzige Weise spielst. Deine Charaktere verstricken sich deshalb nämlich oft in köstlich unterhaltsamer Gedankenakrobatik.
Willst du uns ein kleines Beispiel davon geben, wie man sich hoffnungslos in der Angst um das eigene Ansehen verwickeln kann?
Ich denke, dazu sehen wir jeden Tag die verschiedensten Beispiele. Warum kauft man sich ein neues Handy, obwohl das alte noch einwandfrei funktioniert? Warum schmeichelt man Leuten, die man eigentlich nicht mag? Warum trägt man Markenklamotten, die man sich eigentlich nicht leisten kann? Normalerweise müssten doch die Konsumenten von den Marken bezahlt werden, für die zur Verfügung-Stellung einer Werbefläche. Und wieso kauft sich deine Kollegin jedes Jahr zur Firmenfeier ein neues Kleid, weil sie das andere schon letztes Jahr getragen hat – ist es deshalb weniger schön? Was soll daran peinlich sein, dasselbe Kleid öfter zu tragen? All das sind ganz alltägliche und doch völlig widersinnige Gedankengänge und Verhaltensweisen. Je mehr wir uns bewusst werden, wie unwichtig all diese Statussymbole sind, desto mehr werden wir zu dem, was wir wirklich sind.
Schonungslos schreibst du über das manipulative Verhalten einiger Protagonisten, deren Namen wir selbstverständlich nicht spoilern werden. Von zur Schau gestellten Tränen über Notlügen bis hin zum dreisten Ausnützen der Gutmütigkeit (oder Gleichgültigkeit) anderer, einige sind sich nicht zu schade zu diesen Mitteln zu greifen, um sich etwas Bequemlichkeit zu ergattern.
Was sagt diese Art von Opportunismus in deinen Augen über jemanden aus?
Als erste Reaktion würde ich sagen: Das ist purer Egoismus. Natürlich kann (und sollte) man dann wieder hinter die Fassade blicken. Da stellt man vielleicht fest, dass der Egoist nicht immer Egoist war und schlicht und einfach enttäuscht von der Welt ist, der er jetzt antut, was ihm selbst angetan wurde. Im Grunde also eine verbitterte Seele. Mitleid entlockt mir das aber nicht unbedingt, schließlich ist jeder selbst für sein Handeln verantwortlich – so wie jeder mit seinen Enttäuschungen zu kämpfen hat.
Manchen Menschen scheint es auch zu gefallen, andere zu täuschen und zu manipulieren, und sie machen das ganz bewusst. Wir sollten uns im Klaren sein, wie sehr unser Verhalten andere beeinflussen kann, denn dann können wir es auch im positiven Sinne einsetzen. „Behandle andere nur wie du selbst behandelt werden möchtest“ ist in diesem Fall, wie so oft, angebracht. Deshalb lese ich auch eure Bücher. (Das ist ein Scherz. In Wahrheit lese ich sie gar nicht.)
Manchmal ist es einfacher, getroffene Entscheidungen einfach zu bereuen, statt vorwärtszuschauen. „On ne change pas“, man ändert sich nie … oder eben doch.
Worin siehst du die beste Motivation für Veränderung, vielleicht sogar für einen Neuanfang?
Glücklich zu sein, oder andere glücklich zu machen. Oft ist man so in seinem Alltag gefangen, dass man sich seines Unglücks gar nicht bewusst ist – eine Routine, die uns gar nicht die Zeit lässt darüber nachzudenken, was uns Spaß macht, glücklich macht. Dabei ist gerade das wichtig, anstatt uns denen anzupassen, die Erwartungen an uns stellen, die wir möglicherweise ohnehin niemals erfüllen können. Deshalb finde ich es auch so wichtig, von dem Ansehen, dem Status abzusehen. Vor einiger Zeit habe ich ein Zitat von jemandem gelesen, der meinte als Kind suchen wir nur nach Aktivitäten, die uns Spaß machen, spielen den ganzen Tag, weil uns das gefällt, sind glücklich. Dann irgendwann lässt man uns glauben, wir hätten keine Zeit mehr für das, was uns glücklich macht, da wir jetzt erwachsen seien, das gehöre sich so nicht. Aber stimmt das denn? Natürlich gibt es irgendwann plötzlich Rechnungen, Chefs, Mieten. Aber wir sollten alle die Chance auf unser Glück bekommen und das bedeutet, dass wir uns alle trauen müssen umzudenken, anders zu sein, wenn nötig, das System zu kritisieren.
Würde man uns zwingen, dein Werk in drei Worten zusammenzufassen, würden wir mit dickem Filzstift „Liebevoll“, „Sarkastisch“, und „Verschroben“ auf unseren Schreibblock kritzeln. Unter dieser Tricolore übst du Kritik an Gesellschaft, Religion, Tradition und der Unbeweglichkeit des Denkens. Verschont werden dabei weder deine Charaktere noch deine Leser, trotzdem finden wir keinen Schimmer Verbitterung oder gar Aggression.
Gibt es denn etwas, das selbst dir den Humor raubt, das dich dermassen in Rage bringt, sodass der Witz kurzzeitig auf der Strecke bleibt?
Im wirklichen Leben können mir Intoleranz, Rassismus, Homophobie tatsächlich den Humor rauben. Schließlich ist die Realität kein blassrosa Haus – oder etwa doch? Der Humor kommt auf jeden Fall ganz schnell wieder.
Die Tage der Hausbewohner reichen von oberflächlich ereignislos bis zu ereignisreich, dein Schreibstil bringt jedoch den ausdauerstärksten Leser ausser Atem – im besten Sinne, versteht sich. Rasant hüpfst du neutral-auktorial von Protagonist zu Protagonist und zerschmetterst damit elegant jedes Fitzelchen Langeweile und das ohne den blassrosa Faden zu reissen. Als Schreiberlinge fragen wir uns da natürlich:
Wie baut man so einen Plot sinnvoll auf? Die Aufgabe scheint uns monströs.
Je nach Aufgabe schwanke ich zwischen „ziemlich organisiert“ und „mal schauen was passiert“. Beim Verfassen von Blassrosa war ich eher zweiteres. Das heißt Plot aufbauen oder nicht – darüber habe ich mir keine besonderen Gedanken gemacht. Ich denke, dass ich schlicht und einfach so inspiriert (oder sollte man sagen besessen?) war, dass der Aufbau wie von selbst zustande gekommen ist. Ein bisschen als hätten die Bewohner die Herrschaft über das blassrosa Haus ergriffen. Natürlich ist mir mit der Zeit aufgefallen, dass die Spannung steigt, wenn ich den Leser erst einmal im Unklaren über den Ausgang einer Szene lasse und von einem Protagonisten zum anderen wechsle. Als mir das bewusst wurde, habe ich begonnen damit zu spielen. Genau wie die Gedankensprünge bzw. Perspektivenwechsel – das hat sich so ergeben, fast als hätte Blassrosa sich selbst geschrieben und mit der Zeit, beim Korrigieren, fand ich das dann interessant und habe es so weiter geführt.
So, nun weg von den points essentiels zu dem, was für deinen Roman durchaus essenziel ist: dem Humor. Dein Erstling ist kein Leichtgewicht, weder inhaltlich noch vom Umfang her und trotzdem liest er sich locker flockig, zaubert gleichermassen Schmunzeln und Stirnrunzeln.
Was glaubst du, weshalb eignet sich Humor so gut, um wichtige Inhalte zu transportieren?
Jeden Tag passieren schreckliche Dinge auf unserer Welt, über die wir uns bewusst sein sollten. Gleichzeitig dürfen wir uns von all dem Leid nicht erdrücken lassen, weil das weder Veränderung bringt, noch einzelnen guttut. Wenn wir ernste Themen auf eine humorvolle Art präsentieren, bringen wir die Menschen zum Nachdenken, ohne den Zeigefinger zu erheben. Ich möchte, dass meine Leser weder in Unwissenheit leben, noch unglücklich werden. Der Humor lässt uns ein bisschen Kind bleiben und gibt uns gleichzeitig den Anstoß, uns mit ernsten Themen auseinanderzusetzen.
Nun zu der Frage, die jedem, aber wirklich jedem unter den Nägeln brennen wird, der sich „Blassrosa oder die geheime Taktik des Monsieur F“ einverleibt hat:
Welche Schreibprojekte heckst zu derzeit aus und wie lange müssen wir uns noch gedulden, bis wir wieder in deine Welten eintauchen können?
Ihr könnt schon jetzt diverse Veröffentlichung von mir im Internet finden: von meinen Blogeinträgen bis hin zu Kurzgeschichten (zum Beispiel hier auf Cluewriting). Für alle, die up to date bleiben möchten, verlinkt euch mit mir in den sozialen Netzwerken und schaut hin und wieder auf meiner Homepage vorbei.
Eure Frage ging wohl eher in Richtung Hauptprojekt – das ist seit einiger Zeit ein humoristischer Gesellschaftskrimi. Ich sage absichtlich „humoristisch“ und „Gesellschaft“, mit einem klassischen – oder den typischen österreichischen – Krimis hat der nämlich nichts zu tun. Ich möchte keinesfalls auf die Krimiwelle aufspringen. Im Vordergrund stehen zwischenmenschliche Beziehungen, auf sarkastische Art präsentiert aus verschiedenen Blickwinkeln.
Für mich ist es eine besondere Herausforderung, die Spannung beizubehalten, Widersprüche zu vermeiden, nicht zu viel oder zu wenig über den Täter zu verraten – eine ganz eigene Kunst, die mich schon immer fasziniert hat. Ob mir das gelingt oder nicht, davon dürft ihr euch gerne selbst überzeugen, seid aber bitte nicht zu ungeduldig, denn gut Ding braucht schließlich Weile. Ich kann auch wirklich ganz schlecht sagen, wann es so weit sein könnte. 1-2 Monate brauche ich bestimmt noch fürs Skript und erst dann geht die wirkliche Arbeit so richtig los … Bleibt einfach dran und stattet mir hin und wieder Besuche ab, dann könnt ihr nichts verpassen. Wer meinen Newsletter abonnieren möchte, kann mir gerne seine Mailadresse zukommen lassen.
Bei Frage zwanzig sind wir schon
Ein vollendetes Interview ist der Lohn
Bleibt im Prinzip nur noch eins
Das letzte Wort und zwar deins
Hinterlasse uns was immer du willst
Auf das du unsere Neugier damit stillst
Vielen Dank an Rahel und Sarah für die tolle Zusammenarbeit. Danke auch an alle Blassrosa-Leser: Ich freue mich immer über eure Nachrichten, Rückmeldungen und Besuche auf meinen Seiten. Außerdem bin ich offen für neue Projekte – also wer von euch Ideen für eine Zusammenarbeit hat, nur keine falsche Scheu, ich beiße nicht! Meine nächste Lesung findet übrigens in meiner Heimatstadt Graz statt, am 5.1., im Club „Wakuum“. Unterstützt werde ich dabei vom Autorenkollegen Hc Roth. Damit das ganze besonders abwechslungsreich wird, gibt es zusätzlich Livemusik als Untermalung. Gratis ist es übrigens auch, also sofern ihr nicht Stunden entfernt wohnt, habt ihr wirklich keine Ausrede :)
Wir von Clue Writing möchten uns herzlichst bei Tharina Wagner bedanken, dass sie sich die Zeit genommen hat, unsere Fragen zu beantworten.
Die Lektüre wie auch der Kontakt mit Tharina und ihrem Verlag waren haben uns wahnsinnig Spass gemacht und wir hoffen, dass unsere werten Leser sich sofort auf ihren Erstling stürzen. Wir sagen es selten, aber wenn, dann meinen wir es absolut ernst: „Blassrosa oder die geheime Taktik des Monsieur F“ mit seinen originellen Charakteren, dem Witz, Tiefgang und Charme der Weltstadt, hat absolutes Bestseller-Potential und wir finden, dass ihr dieses Werk nicht verpassen dürft.
Besucht Tharina Wagner auch auf ihren Seiten:
Tharinas Website
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Tharinas Blog auf Buch ist mehr
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Macht mit und gewinnt!
Wer nun nicht schon im Buchhandel seiner Wahl steht, um das gute Stück zu ergattern, kann sich gleich hier ein Exemplar schnappen. Tharina Wagner und der Verlag 3.0 stellen uns freundlicherweise jeweils zwei E-Book und Printexemplare ihres Werks zur Verfügung, die wir unter euch verlosen möchten.
Den Bloggern unter euch empfehlen wir, die zusätzliche Gewinnchance unserer Blogparade beim Schopf zu packen und fleissig in die Tastaturtasten zu hauen. Alle anderen laden wir dazu ein, uns ein Clue Päckchen auf fünf Worten und einem Setting zu hinterlassen. Wer uns bis zum 6. Februar 2016 hier seine Worte hinterlässt und uns wissen lässt, welches Format (Print oder E-Book) gewünscht ist, nimmt automatisch an der Verlosung teil.
Hier ein kleines Beispiel, wie ihr mitmachen könnt:
Vielen lieben Dank an Tharina, den Buch ist mehr – Verlag 3.0 und an unsere werten Leser
Eure Clue Writer
Rahel und Sarah
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Dieses Interview wurde von Rahel geführt.