Werte Clue Reader,
ab sofort wird Clue Writing euch nicht nur regelmässig mit Kurzgeschichten, sondern auch mit Tipps versorgen. Wir wollen euch unter der Kategorie „Clue-Writing-Tipps“ andere Blogger und Autoren vorstellen, die ihr nicht verpassen dürft. Selbstverständlich handeln wir nicht auf eigene Faust, sondern wollen die werten Damen und Herren Autoren selbst für sich sprechen lassen, weshalb wir sie zum Interview beten.
Wer gerne in unseren Clue-Writing-Tipps vorgestellt und Interviewt werden möchte, kann jederzeit gerne mit uns Kontakt aufnehmen – Keine Angst, wir sind meistens freundlich.
Den Anfang macht heute Martin Bühler, Autor und Tabubrecher aus dem deutschen Norden, der seit 2011 acht Bücher veröffentlicht hat. In seinen Werken beschäftigt er sich offen mit Tabuthemen wie Samenspende und Kinderwunsch, aber auch mit der Lebensgeschichte seines Vaters. Oft greift er Inhalte auf, die in unserer Medienlandschaft nur zu gerne beschönigt oder totgeschwiegen werden und verarbeitet sie auf tabulos-ehrliche Art und Weise.
Das Martin Bühler ein vielfältiger Zeitgenosse ist, wird spätestens dann klar, wenn er über Radikaldiäten schreibt und uns zur Abwechslung mal eine männliche Perspektive zu diesem vielumstrittenen Thema schenkt.
Martin Bühler erntet von seinen Lesern und der Presse positive Kritiken und überzeugt neben seinen Buchveröffentlichungen mit seinen Blogs. Dort schneidet er politische und vor allem gesellschaftskritische Fragen an und liefert Einblicke in seine Arbeit als Autor, Publizist und Tabubrecher.
Aber lassen wir ihn doch selber sprechen und kommen gleich zum Interview:
Hallo Martin,
bevor wir ans Eingemachte gehen, erzähl uns landrattigen Schweizern mal, wie es sich am Meer denn so lebt.
Vielen lieben Dank für Eure Interview-Einladung, es freut mich riesig, dass ich Eure Fragen beantworten darf. Am Meer lebt es sich einfach wunderbar. Ich komme ja aus dem süddeutschen Raum, vor 15 Jahren entschloss ich mich, die deutsche Westküste zu meinem Lebensmittelpunkt zu wählen. Ich habe es nie bereut. Diese unendliche Weite, die Gewalt des Meeres fasziniert mich Tag für Tag. Ich habe Euch spontan ein Bild mitgebracht.
Du bist der Mann der Tabuthemen und willst dich weder von Unsicherheit, Sturheit noch Angst stummschalten lassen. Aber gibt es sogar für dich Themen, über die du nicht schreiben möchtest? Gibt es Tabus, die sinnvoll sind oder gibt es heute etwa gar keine richtigen Tabus mehr?
Ich glaube, dass man sich als Autor und Publizist immer weiterentwickelt. Hättest Du mich vor Jahren gefragt, ob ich über den Tod schreiben möchte, hätte ich dies mit Sicherheit verneint. Wenn man aber eine Tabu-Hürde überschritten hat, sucht man in weiteren Themen die nächste Herausforderung. Daher würde ich sagen, das ich bestehende Tabu gerne literarisch brechen würde.
Du hast es sicher schon geahnt, die Frage, die sich vielen aufdrängt ist: Wie bist du dazu gekommen, über die Themen „Kinderwunsch“ und „Samenspende“ zu schreiben?
In jungen Jahren war ich selbst Samenspender, so lag es nahe, über dieses Thema zu schreiben. Als ich noch als Samenspender aktiv war, wunderte ich mich, warum die Öffentlichkeit ein so großes Problem mit diesem Thema hatte. Wenn ich mir heute Ausschnitte von TV-Sendungen ansehe, frage ich mich häufig, ob diese ins jugendfreie Vorabendprogramm dürfen. Damit hat aber selten jemand ein Problem. Unsere Gesellschaft hat ein enorm hohes „Level“ an Verträglichkeit, wenn es um Erotik und Pornografie geht. Auf der anderen Seite schreit die gleiche Gesellschaft laut auf, wenn es um ganz normale und selbstverständliche Themen wie z. B. die Kinderwunscherfüllung geht. Ich schrieb in einem medizinischen Magazin einen Gastartikel, was dann kam, war völlig überraschend. Es folgte ein Sturm der Entrüstung auf diesen Artikel. Danach hatte ich nur die Möglichkeit, weiter über das Thema zu schreiben und die Öffentlichkeit richtig aufzuklären oder aber einen Rückzug zu tätigen und Gras über die Sache wachsen zu lassen. Ich entschloss mich für den ersten Weg und fing an, Öffentlichkeitsarbeit zu leisten.
Du gibst in deinen Büchern Hetero- wie Homopaaren Tipps zu Kinderwunschfragen und denkst dabei auch noch an unsere körperlich behinderten Mitmenschen. Ist das reines Interesse an der Materie oder steckt da ein sozialaktivistischer Gedanke dahinter?
Die Materie hat mich in der Tat schon immer fasziniert. Reproduktionsmedizin ist ein so komplexes Thema, man könnte Tausende von Seiten damit füllen. Ich bin froh und dankbar, dass ich kein Mediziner geworden bin, ich könnte die Schwelle zwischen Ethik und Moral in der Reproduktionsmedizin niemals einhalten und würde viel weiter als gesetzlich und ethisch erlaubt gehen. Auch mit der Kinderwunscherfüllung bei körperlich behinderten Menschen habe ich mich beschäftigt, so entstand mein Buch „Grenzwertig“.
Weshalb ist es inakzeptabel, dass Homopaaren und körperlich Behinderten die Erfüllung ihres Kinderwunschs erschwert wird?
Niemand hat ein Recht auf Kinder, aber jeder sollte das Recht haben, von allen medizinischen Möglichkeiten Gebrauch zu machen, um seinen Wunsch nach eigenem Leben erfüllen zu können.
Eine zivilisierte Welt sollte Minderheiten nicht diskriminieren, sondern dafür Sorge tragen, dass diese Gruppen ein Teil unserer Gesellschaft werden und somit für sie die gleichen Maßstäbe gelten wie für den Rest der Bevölkerung.
Woran glaubst du liegt es, dass viele Paare mit unerfülltem Kinderwunsch sich für eine Samenspende entscheiden, anstelle davon, ein Kind zu adoptieren?
Das ist eine sehr schwierige Frage. Uns ist Jahrhunderte lang von den Weltreligionen und von der Weltpolitik eingetrichtert worden, wie eine Familie gestaltet zu sein hat. Es gab keine Alternativen, daher denken viele Menschen auch heute noch, dass sie ein Kind nur lieben können, wenn es die Gene zumindest eines Elternteils in sich trägt. Ich persönlich behaupte, dass ich ein Kind genauso lieben kann, auch wenn es ganz ohne meine Gene existiert.
Es ist sicher schwierig, aus deinem Erfahrungsschatz nur eine Kleinigkeit herauszupicken, aber bitte erzähl uns doch kurz, was hat dich während deiner Arbeit mit diesen Themen am meisten berührt? Gab es eine Begebenheit, die dich vor Freude hat jauchzen oder vor Wut hat brüllen lassen?
Was mich zutiefst berührt hat, war das erste Gespräch mit einem Spenderkind. Dies war unglaublich emotional und gab mir innerlich die Bestätigung, dass mein damaliges Handeln war. Das beschreibe ich auch in meinem Buch „Der Samenspender“ recht ausführlich.
In deinen Werken „Schattenlicht“ und „Zelle 25“ widmest du dich deiner eigenen Familiengeschichte. Wie kam es dazu?
Als ich die Aufzeichnungen meines verstorbenen Vaters fand, war ich regelrecht besessen davon, diese so schnell als möglich zu lesen. Sein Manuskript gab mir Einblicke in eine mir so bis zu diesem Zeitpunkt unbekannte Welt. Ich hatte mir nie über die 20er-Jahre Gedanken gemacht. Diese dörfliche Gemeinschaft, diese Solidarität, aber eben auch diese unglaubliche Armut weckten immer mehr meine Neugier. Ich kapierte das erste Mal, wie das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte – der Nationalsozialismus – sich entwickeln konnte. Mir war klar, diese Aufzeichnungen sind ein Stück Zeitgeschichte und sollten veröffentlicht werden
Das Familienleben und damit auch die Lebensgeschichten der Familienmitglieder sind für viele von uns eine sehr persönliche, teils sogar intime Angelegenheit. Wie war es für dich, dieses Tabu zu brechen?
Ich habe damit nur für mein Umfeld ein Tabu gebrochen, für mich und auch für meine Familienmitglieder war es nie eines. Ich bin in einer unglaublich intakten Familie aufgewachsen, wir haben immer über alles gesprochen. Das Wichtigste, was meine Eltern mir mitgegeben haben, ist, dass ich immer meine eigene Meinung haben und mitteilen durfte. Auch dann, wenn meine Meinung eine andere war als die der übrigen Familienmitglieder. Die einzigen Menschen, denen ich abkaufe, dass sie sich über 30 Jahre geliebt haben, sind meine Eltern.
Bevor es mit dem Schreiben losging, wie war es für dich, die Aufzeichnungen deines verstorbenen Vaters zu lesen? Haben die neugewonnen Einblicke dein Bild von ihm verändert?
Ja, ich habe unglaublich viele Einblicke gewonnen und ärgere mich heute darüber, dass ich meinem Vater früher nicht viel mehr zugehört habe und ihm nicht noch mehr Erfahrungen entlocken konnte.
Du schreibst auch über das Leben deines Vaters und damit über eine Epoche, die vielen von uns heute ungreifbar scheint. Aus welchem Grund glaubst du, dass viele der Probleme und Freuden von damals noch immer aktuell sind?
Ich bin überzeugt, dass der größte Teil der Menschheit sich nach einer intakten Solidargemeinschaft sehnt, aber nicht fähig ist, diese zumindest im kleinen, also in der Familie und im Freundeskreis umzusetzen. So kommt es, dass dieser Wunsch bis heute besteht, aber so gut wie nie von der Menschheit realisiert wird. Daher stammt auch die Vereinsamung in unserer Bevölkerung.
Dein Projekt „Todestag“ beschäftigt sich mit dem Thema „Sterbehilfe“, auf das du eher zufällig gestossen bist, dem du dich danach aber in gewohnt offener und leidenschaftlicher Manier gewidmet hast.
Du hast letztes Jahr eine starke Frau kennengelernt und sie auf ihrem letzten Weg begleitet und deine Erlebnisse und Eindrücke auf deinem Blog geteilt. Wie hast du dich von ihr verabschiedet?
Todestag war das komplizierteste und schwierigste Projekt in meinem Leben.
Eigentlich sollte das Buch schon längst erschienen sein. Aber das Erlebte niederzuschreiben, ist in diesem Fall so schwer und emotional, dass ich es nur in Etappen erledigen kann. Als Caroline starb, hielt ich ihre Hand, das Letzte, an was ich mich erinnere, ist dieses allerletzte, lang anhaltende Atmen. Man meint, das Ausatmen hört nie wieder auf, es wird immer schwächer und schwächer und es erfolgt kein erneutes Einatmen mehr.
Der Tod ist und bleibt für viele ein Tabuthema und gerade weil er uns alle betrifft sind Gedanken an den Tod oft geprägt von Unsicherheit und Angst. Inwiefern haben deine Erlebnisse während des letzten Jahres deine persönliche Einstellung zum Tod verändert?
Sehr schwierige Frage, ich glaube, es hat meine Einstellung nicht verändert.
Seitdem habe ich noch mehr die Bestätigung, dass es keinen Gott gibt, zumindest nicht so, wie wir ihn uns vorstellen können oder wollen. Meine Einstellung zum Freitod hat sich sehr geändert, ich vertrete nach Carolins Tod die These, dass jeder das Recht hat, in einer medizinisch aussichtslosen Lage zu Hause im Kreis seiner Familie sterben zu dürfen.
Du möchtest mit deinem Projekt „Todestag“ etwas bewegen und dazu beitragen, dass in Deutschland über die Gesetzeslage bezüglich Sterbehilfe nachgedacht wird. Was ist dir hier wichtig und wie können wir und unsere Leser dich dabei unterstützen?
Ich möchte erreichen, dass es in Deutschland möglich ist, unter bestimmten Umständen mit medizinischer Betreuung sterben zu dürfen, wie es bei Euch in der Schweiz möglich und legal ist. Dass deutsche Bundesbürger zum Sterben in die Schweiz fahren müssen, halte ich für einen politischen Skandal. Jeder, der über das Thema spricht, hilft mit, diese Zustände zu ändern. Ich wurde, völlig zurecht, von Religionsgemeinschaften stark kritisiert für meinen Tweet „Gott ist eine Bestie“ kurz nach Carolins Tod. Dafür habe ich mich öffentlich entschuldigt, es war ein emotionaler Tweet, der wirklich Sekunden nach dem Tod ins Internet gelangte.
Nun zu etwas leichterer Kost, man könnte sogar mit Recht behaupten, es wäre extrem leichte Kost. Du hast in deinem Buch „Radikaldiät“ über deinen Fasten-Selbstversuch geschrieben und dafür zum ersten Mal forsche Kritik einstecken müssen. 50kg abnehmen in 90 Tagen war dein Ziel und du warst erfolgreich aber das nicht ohne Nebenwirkungen. Da müssen wir gleich skeptisch nachfragen: Wieso denn gleich mit Null Kalorien am Tag? Immerhin hätte das mit mindestens 1500 zwar langsamer, aber dafür wesentlich gesünder geklappt. Jetzt mal im Klartext, ging es dabei nur ums Spiegelbild?
Viele Jahre hatte ich die unterschiedlichsten Diäten und Nahrungsumstellungen probiert, alles blieb erfolglos.Mir war bewusst, wenn ich es nicht radikal angehe, werde ich dick bleiben.
Ich brauchte die Motivation, endlich Herr über meinen Körper zu werden. Jetzt oder nie war meine Devise. Es war eine tolle Erkenntnis, zu was der menschliche Körper fähig ist, wenn der Wille vorhanden ist. Das Problem bei gesunder Nahrungsumstellung ist, dass es bis zum Erfolg extrem lange dauert, in dieser Zeit fallen die meisten Menschen wieder in ihre alten Essgewohnheiten zurück. So war es auch über viele Jahre auch bei mir.
Trotz massiven Beschwerden während der Fastenzeit ziehst du für dich das Fazit, dass sie dir den richtigen Start in ein neues, schlankeres Leben gegeben hat. Wem würdest du aber trotzdem von diesem extremen Selbstversuch abraten und welche Vorsichtsmassnahmen sollten im Vorfeld unbedingt getroffen werden?
Mit dem Buch „Radikaldiät“ wollte ich lediglich zeigen, dass man mit dem eigenen Willen sein Ziel erreichen kann. Daher auch der Titel „Selbstversuch“. Ich möchte niemanden belehren, diesen radikalen Weg zu gehen, solange er eine Möglichkeit sieht, auf gesunde Weise abzunehmen.
Wer sich jedoch ohne Alternative sieht, kann diesen Weg mit der entsprechenden ärztlichen Begleitung gehen und wird so zum Erfolg kommen.
Nervt es dich, dass du früher wegen deinem Gewicht und heute wegen deiner Abnahme-Methode kritisiert wirst?
Nein, nicht im Geringsten, dafür ist mein Ego zu groß :)
Ich hatte mit der Kritik gerechnet, jeder muss für sich die Entscheidung treffen, das kann einem niemand abnehmen.
So wie es aussieht, wirst du deinen Autorenhut noch lange nicht an den Nagel hängen und dir stehen einige wichtige Termine bevor. Willst du uns ein wenig über deine Pläne erzählen?
Die journalistische Autorentätigkeit fasziniert mich sehr und das wird auch so bleiben.
In Kürze erscheinen Schattenlicht Teil 2 und Teil 3, darauf freue ich mich sehr.
Am 15.12. kommt mein Sylt-Buch auf den Markt, 180 Seiten Enthüllungen über eine Insel, die in der kommerziellen Gier versinkt. Der Entschluss zu diesem Projekt kam, als ein einfacher BlogArtikel von mir (Insel der Gier) über 70.000 Aufrufe erhielt. Das zeigte mir, wie sehr dieses Thema, das sicher auch auf andere Touristengebiete zutrifft, die Öffentlichkeit interessiert.
In den nächsten Tagen gibt es dann noch mein Kochbuch „Kochen frei Schnautze –die feinsten Fisch- und Seafoodgerichte“.
Eine langweilig scheinende und trotzdem unheimlich spannende Frage zum Schluss:
Was fehlt unserer Welt in deinen Augen oder hat sie womöglich zu viel des Guten?
Wir brauchen ein denkendes Volk, freien Journalismus und charismatische Politiker mit Visionen, dann werden wir das Gute auf unserer Welt behalten und versuchen, das Schlechte besser zu machen.
Deine berühmten letzten Worte in diesem Interview sind?
Vielen lieben Dank an Euch, es ist das interessanteste Interview, das ich in den letzten Jahren gegeben habe. Eure Fragen waren tiefgründig und ab vom Mainstream. Ich wünsche Euch für Euer Projekt, aber auch für Euch ganz persönlich alles Gute. Ich hoffe, wir werden noch viel gemeinsam unternehmen.
Wir von Clue Writing möchten uns herzlich bei Martin Bühler bedanken und zwar nicht nur dafür, dass er sich die Zeit für dieses Interview genommen hat. Wir möchten uns für sein unermüdliches Engagement bedanken, unserer Gesellschaft zu zeigen, dass nachhaltiger Fortschritt immer nur im offenen Dialog stattfinden kann.
Wir können die Lektüre seiner Bücher nur empfehlen und hoffen, dass ihr ihn und seine vielfältigen Projekte in den unendlichen Weiten des Internets im Auge behaltet.
Besucht Martin Bühler auf seinen Seiten:
Martin Bühlers Autorenseite
Blog zum Projekt „Todestag“
Blog zum Projekt „Radikaldiät“
Vielen lieben Dank an Martin und unsere werten Leser
Eure Clue Writer
Rahel und Sarah
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Dieses Interview wurde von Rahel geführt.