Dies ist der 13. Teil der Fortsetzungsgeschichte „Hoffe auf das Beste, aber bereite dich auf das Schlimmste vor“.
„Wisst ihr was mir am meisten fehlt?“, durchbrach Clint die Stille. „Seit die Welt urplötzlich zu einem Haufen stinkender Gedärme explodiert ist, meine ich.“ Der Professor rümpfte die Nase und schüttelte ob Clints farbiger Sprache den Kopf. „Musik?“, riet Tess gelangweilt. Sie schob ihre durchweichten Wanderstiefel dicht über dem Boden durchs feuchte Gras. Die kleiner gewordene Gruppe marschierten seit beinahe vier Stunden über einen Hügelkamm, zu ihrer Rechten führte eine sanfte Böschung zu einem verschmutzten See, auf der anderen Seite ging es steil bergab ins Tal. „Nein.“ Clint jauchzte übermütig und trabte etwas voraus. „Los, weiterraten!“ Tess und Rooster sahen ihm argwöhnisch hinterher und seufzten schließlich unisono. „Keine Ahnung, Clint“, murmelte Tess leicht entnervt. Der junge Mann war vor wenigen Tagen aus seiner Depression aufgewacht und machte ihnen seither das Leben mit Späßen schwer. „Bananensplit, Reality Shows oder YouPorn?“ Sie erschrak sich ab Roosters Lachen, war allerdings froh, den Hünen gutgelaunt zu sehen, selbst Juan konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. Clint machte auf dem Absatz kehrt, beäugte sie gekränkt an, bevor auch er zu Glucksen begann. So kurz vor dem Ziel, erreichte die Stimmung unter ihnen ungeahnte Höhen.
„Quatsch“, presste er belustigt hervor. „Ich mag keine Bananen und man kann den Zombies dankbar dafür sein, dass sie diesen Reality-Dreck beendet haben“, grummelte er. „Und damit du’s weißt: Ich war Pornhub-Konsument.“ Tess rollte mit den Augen, als Rooster dem anderen anerkennend auf die Schulter klopfte. „Dann sag halt“, versuchte sie eine Diskussion über Pornointernetseiten abzuwenden. „Was fehlt dir am meisten?“ Am Rande ihres Blickfeldes erkannte sie, wie der Professor peinlich berührt auf seiner Unterlippe kaute, was ihr erneut ein Schmunzeln entlockte. Hin und wieder kam es ihr trotz den widrigen Umständen so vor, als befände sie sich mit ihren Brüdern auf einem Campingausflug. Es tat gut, zu scherzen. Noch schöner war es, wenn Clint dabei geärgert wurde. Zuweilen gelang es ihr sogar, zu verdrängen, was mit großer Wahrscheinlichkeit aus ihren echten Brüdern geworden sein musste. „Das werde ich dir doch nicht verraten!“, brüskierte sich Clint künstlich. „Aufgrund deines dummen Kommentars wurden dir soeben sämtliche Clint-Privilegien entzogen.“ Ihren blonden Haarschopf zu einem wirren Nest zusammenbindend, streckte Tess ihrem Freund die Zunge heraus. Dieser erwiderte die Geste und gab zu bedenken: „Ich habe dir ein Ohr abgeschossen, ich kann dir gerne das zweite wegballern.“
„Aber nur, wenn du zuerst an unserem Professor Superschlau hier übst“, hustete Rooster. Er hatte sich vor lauter feixen an seiner eigenen Spucke verschluckt. Zugegebenermaßen war seine Abneigung gegen Juan mehrheitlich verflogen, dennoch hielt er es für fair, den Akademiker bei jeder Gelegenheit zu quälen. Immerhin musste Rooster sich um ihn kümmern und ohne den ängstlichen Amateurschützen, könnte er jetzt mit Moira herumalbern.
„Gute Idee“, stimmte Clint zu, woraufhin Rooster sich mit seinem Taurus Revolver zweimal auf die Nase, dann einmal auf Clints Brust tippte, ehe er mit ernstem Ton warnte: „Du schießt nochmal ein Ohr oder sonst einen Körperteil ab und ich verhackstücke dich höchst persönlich zu bekömmlichem Zombiedosenfutter, klar?“
„Ähm, Leute …“ Tess stand hüftbreit an der Kante des Abhangs und verdeckte mit ihrer Hand den Mund. „Da unten ist der Flugplatz.“ Die drei Männer beschleunigten ihren Schritt, wollten sich die unerwartet frühe Entdeckung sogleich ansehen. Sie hatten damit gerechnet, noch Stunden lang unterwegs zu sein, weshalb Clint hektisch die Landkarte aus der Seitentasche seines Rucksacks fischte und ihn ungeschickt auffaltete. „Das kann nicht … Scheiße!“, stieß er aus und betonte dabei jede Silbe des Fluches mit Nachdruck.
Die vier saßen mit dem Rücken zum Abhang auf dem Hügelkamm, Tess hatte ihre Arme verschränkt auf die Knie gestützt, die anderen drei streckten die vom anstrengenden Marsch müden Beine. „Es ist ganz bestimmt der richtige Flugplatz“, erkundigte sich Juan und erntete dafür ein Grollen von Clint. „Ja, verdammt, hör auf zu fragen!“ Nervös zupfte Clint kleine Stücke von der Karte. Tess lehnte sich herüber, entriss ihm das zerknüllte Papier und strich es glatt. Nach längerem hin und her hatte sich herausgestellt, dass sie in einem Dorf weiter unten den falschen Weg eingeschlagen hatten und so auf einem nicht kartographierten Pfad gelandet waren, der sie zufälligerweise schneller ans Ziel geführt hatte. Glück muss man haben, dachte sich Tess, obschon sie lieber noch eine Weile auf die entmutigende Aussicht verzichtet hätte. „Und nun? Aufgeben?“, wollte Rooster wissen. Abgesehen von Juan, der sich ächzend erhob, verweilten alle schweigend auf der schlammigen Wiese. „Ich sehe keine andere Option. Bleibt zu entscheiden, ob wir umkehren, zu David, Barb und Barbara gehen …“, sagte Clint schulterzuckend und fügte widerwillig an: „Oder ob wir uns nach einem anderen Ort umsehen wollen.“ Tess atmete tief ein und rieb sich übers Gesicht. Sie konnte ihren Kumpel gut verstehen, es war tatsächlich verlockend, einfach in die Berghütte zurückzukehren, zu hoffen, dort ein halbwegs ruhiges Leben aufzubauen. Zudem vermisste sie Barbara, den alten Haudegen, die in den letzten Monaten mehr als bloß eine gute Freundin für sie geworden war, sondern ein wichtiger Ankerpunkt, der ihr Sicherheit gab. Zögerlich stützte sie sich auf dem matschigen Untergrund ab, stand auf und gesellte sich zu Juan, dessen Blick starr auf dem Flugplatz unten im Tal gerichtet war. Sie war keineswegs bereit dazu, aufzugeben, sie hatten zu viel riskiert, um diesen vermaledeiten Flugplatz zu erreichen. Trotzdem, realistisch betrachtet blieb ihnen kaum eine andere Wahl. Es widerstrebte ihr, aber Clint hatte wohl recht. „Ich schlage vor“, begann sie, ohne die anderen anzusehen, „wir suchen uns ein vorübergehendes ein Quartier in der Nähe. Dann entscheiden wir, was zu tun ist.“ Clint holte hörbar Luft und schien ihr widersprechen zu wollen. Zu ihrer aller Erstaunen, kam ihm der Professor zuvor, der resolut meinte: „Nein.“ Tess wandte sich dem hageren Mann zu. Er begegnete ihrem skeptischen Ausdruck mit einem breiten Grinsen. „Mir ist bewusst, dass ihr mich für einen unfähigen Klotz am Bein haltet und vermutlich stimmt das. Ihr vergesst jedoch eine Kleinigkeit.“ Gespannt drehten sich nun auch die beiden Männer zu ihm um, wobei ihn Clint erwartungsvoll, Rooster hingegen leicht spöttisch musterten. „Ich bin bedeutend klüger als ihr alle zusammen“, stellte Juan beiläufig fest und sprach weiter, ehe Rooster ihn hätte tadeln können. „Ihr seht da unten lediglich eine Horde gefräßiger Monster, die jeden Winkel des schmalen Flugfeldes gestürmt haben. Ich, ja, ich sehe jede Menge strategische Möglichkeiten. Fluchtwege, Barrikaden, Ablenkungsmanöver, Fallen und nicht zuletzt, Gallonen von Kerosin. Es ist richtig, ich mag weder stark noch geschickt genug sein, um diese Biester zu erledigen. Aber ich kann euch durchaus erklären, wie ihr das zustande bringt.“
„Was willst du damit sagen?“, wagte sich Clint nach einigen Sekunden das Wort zu ergreifen. Rooster tat es ihm sofort gleich: „Ja, was soll der Mist? Du willst uns in dieses Höllennest schicken, bist du komplett durchgeknallt?!“ Beide sahen sie zu Tess, warteten offenbar darauf, dass sie den implizierten Plan ebenfalls ablehnt. „Hm.“ Nachdenklich fixierte sie die Meute, die am Fuße des Anhangs ziellos auf den Rollfeldern herumirrte. Käme der Wind aus der anderen Richtung, wäre der Gestank gewiss unfassbar beißend. „Gut, Professor Superschlau“, bedeutete sie ihm fortzufahren. „Dann schieß los.“ Rooster schlug die Hände über dem Kopf zusammen und stieß mehrere derbe Kraftausdrücke aus. „Ihr seid echt vollkommen irre!“
„Rooster.“ Tess bemühte sich darum, ihre Stimme beschwichtigend klingen zu lassen. „Wir können uns den Plan wenigstens anhören. Morgen, nachdem wir uns ausgeruht haben. Zuerst suchen wir eine Bleibe für die Nacht. Und du“, murrte sie schalkhaft mit dem Finger auf Clint zeigend, „verratest mir, was dir am meisten fehlt.“