„Scheiße, scheiße, scheiße!“, keuchte Samantha, als sie die Treppe hochhastete. Die Pistole in ihrer Hand fühlte sich ungewohnt an, schwer, wenn auch zugleich beruhigend. Im Gegensatz dazu war der Schweiß an ihrem Körper nur unangenehm, stellte sie nebenbei fest, fasziniert, konnte sie im Adrenalinrausch noch solche Nebensächlichkeiten bemerken. „Verfluchtes Haus“, wetterte sie, als wie wieder im zweiten Stock anlangte, die ganzen Treppen machten ihr irgendwann noch den Garaus. Ein weiterer Grund zur Sorge, denn in einer kollabierten Gesellschaft würde sie entweder ganz schnell abnehmen und fit werden oder mit dem Großteil der Menschheit abkratzen.
Geistesgegenwärtig entschloss sie sich, Peters Waffe vorerst in die Tasche ihres Strickjäckchens zu stecken, ehe sie in die Küche zurückkehrte. Ihr Mann war trotz seiner Mitgliedschaft im Schützenverein der netteste Kerl, den man sich denken konnte und sie traute ihm zu, sogar angesichts der Umstände die Pistole im Keller lassen zu wollen. „Immerhin haben wir noch keine Kinder“, meinte sie atemlos, als sie die Reisetasche, die sie geholt hatte, aufs Bett warf. „Wer will seine Kleinen schon in einer verdammten Zombieapokalypse großziehen?“
„Eines nach dem anderen“, versuchte ihr Mann sie zu beruhigen. „Jetzt packen wir erstmal hier alles und versuchen, aus der Stadt zu kommen, bevor die große Panik ausbricht. Wir schaffen das schon.“
Samantha war unsicher, ob sie sich derzeit eher in einem Zustand der Panik oder der koordinierten Ruhe befand. „Alle Dosennahrung, Fertiggerichte, Teigwaren, Reis, warme Kleider …“, überlegte sie laut, als sie in Richtung der Küche hastete und Lebensmittel in Papiertüten zu packen begann. „Wie lange, hast du gesagt?“
„Wie lange, was?“, erkundigte sich Peter, der ihr nicht mehr wirklich folgen konnte.
„Bis das öffentlich wird, meine ich.“ Ihr Mann war vor einer knappen halben Stunde viel zu früh von der Arbeit nach Hause gekommen, um ihr die Nachricht zu überbringen, dass innert Kürze die Welt unterging. Einer der Vorteile, wenn man mit jemandem verheiratet war, der bei dem CDC in der Administration arbeitete und dem seine Frau wichtiger als seine Pflicht war – etwas, worüber sie sich zugleich geehrt, wenn auch etwas verstört fühlte.
„Vielleicht eine Stunde, keine Ahnung“, entgegnete er. „Aber so oder so, bis dahin könnte die halbe Stadt infiziert sein, wir müssen so rasch wie möglich weg.“ Er schnappte sich vier Tüten und fügte hinzu: „Ich stelle das schon mal in den Wagen, Sam.“
„Okay.“ Samantha hatte mittlerweile alle Vorratsschränke geplündert und hastete zurück ins Schlafzimmer, um alles notwendige aus dem Kleiderschrank in einige Koffer zu packen. Keine Haustiere, keine Kinder, was für ein Glück, fiel es ihr wieder ein. Noch immer kam ihr die Situation total absurd vor, wandelnde Tote, eine Biowaffe, ein Supervirus, wer wusste das schon. Kein Gegenmittel, hatte ihr Peter eingebläut, wer einmal infiziert ist, für den ist es aus – genau wie in ihren Lieblingsserien. „Was für eine Kacke“, zeterte sie und stopfte ihre und seine besten Wintersachen zuunterst ins Gepäck, es könnte sehr gut sein, dass sie im Winter noch in ihrer Blockhütte in den Bergen ausharren mussten. Wie viele Schuss Munition hatte Peter und könnte man mit der Pistole wohl auch einen Hirsch erlegen? Genau, die Munition, erinnerte sie sich und griff die Schachtel, die hinter Peters alten Hüten im Kleiderschrank gebunkert war. Er war zwar irgendwann paranoid genug geworden, die Waffe im Keller zu lagern, nur die Munition hatte er oben vergessen – eine Tatsache, die einzig Samantha wusste, denn in ihrem Haushalt kannte sie den Platz jedes kleinen Dinges. Dafür hatte sie Peter oft aufgezogen, jetzt, da die Welt vor die Hunde ging, konnte er ihr dankbar sein: Er wäre schon nur beim Suchen nach Reisetaschen derart lange verlorengegangen, dass ihn Untote verspiesen hätten. Trotz dem Ernst der Lage musste Samantha bei dem Gedanken kurz lachen, zu absurd war er, um ihr kein Kichern zu entlocken. „Was für eine Scheiße ist das nur?“, wiederholte sie ihr ungewolltes Wort des Tages von neuem, stopfte einige Pullover in die Tasche und machte sie fahrig zu.
Peter stellte die vollbepackten Tüten in den Kofferraum und blieb kurz in der Garage stehen, um durchzuatmen. Langsam bezweifelte er, dass Sashas Idee derart gut gewesen war. Als er in der Mittagspause erzählt hatte, er wolle Samantha zu einem Überraschungsurlaub in ihre Blockhütte mitnehmen, kam Sasha auf die Idee mit der Zombieseuche. „Du hast doch gesagt, deine Frau guckt die ganzen Zombie-Seien und Filme, oder? Erzähl ihr einfach was von einer Apokalypse, so habt ihr sogar eine Abenteuerreise dahin, das wäre echt lustig.“ Die Immunologin war schon immer der Scherzkeks in ihrem Team gewesen, wenn Peter auch manchmal befand, man sollte Scherzkekse nicht mit Kampfstoffen experimentieren lassen. Aber das war nun mal Sasha, begeisterte alle für jeden Blödsinn. Und als dann all seine Kollegen die Idee lustig fanden und Peter anzufeuern begannen, hat er schließlich nachgegeben. Nun kamen ihm erste Zweifel, ob das so ein guter Plan gewesen war, ganz entgegen seiner Erwartungen hatte Samantha den Witz nicht einfach durchschaut, sondern ihn abgekauft – wohl, weil Peter sonst kaum für seinen Humor bekannt war. Was, wenn sie ihm die Sache übelnahm? Er würde es ihr gleich erzählen, besser, er käme jetzt mit ihr ins Reine als auf halbem Weg aus der Stadt, vielleicht hätte Sashas Idee noch nicht allzu viel Unheil angerichtet. Ehe er weiterdenken konnte, kam Samantha mit zwei Taschen in die Garage gestolpert und warf sie achtlos in den Kofferraum. „Das ist alles, los, wir müssen verschwinden!“
„Du …“, setzte Peter an, doch sie schnitt ihn im Satz ab „Später, fahr, bring uns von hier weg.“
„Okay“, stimmte er mechanisch zu und setzte sich in den Wagen – er hatte seine Frau noch nie derart stur und auf ein Ziel fixiert erlebt. Verdammt, was sollte er nur machen, schalt er sich selbst. Diese Suppe hatte er ihnen eingebrockt, jetzt musste er sie auch auslöffeln, er sollte es ihr einfach sagen, es führte sowieso kein Weg darum herum. Trotzdem betätigte er den Zündschlüssel, zurrte den Sicherheitsgurt fest und lenkte den Wagen aus der Garage.
„Scheiße!“, schrie Samantha, gestikulierte auf den Zombie vor ihnen in der Einfahrt und nestelte dann irgendwas in ihrem Strickjäckchen herum. Was geschah hier gerade, fragte sich Peter, musterte ungläubig das torkelnde, röchelnde Wesen vor ihnen. Hatte Sasha den Scherz auf ein neues Niveau gebracht und sich tatsächlich als Zombie verkleidet? Nein, das konnte nicht sein, in derart kurzer Zeit hätte sie unmöglich das Make-Up so gut hinbekommen, dem Ding hingen gar Gedärme aus der aufgerissenen Bauchdecke.
Der Knall war so laut und kam für Peter derart unvorbereitet, dass er nahezu das Gaspedal durchgetreten hätte. Entsetzt sah er zu Samantha hinüber, die seine Fünfundvierziger aus dem Beifahrerfenster gehalten hatte. Sein Blick wanderte zu dem Zombie, der nunmehr mit einem Loch im Kopf auf dem Asphalt lag.
„Fahr schon, verdammt!“, rief Samantha. „Tritt aufs Gas!“
„Meinst …“, begann Peter, nur um dann instinktiv zu tun, wie ihm geheißen. Noch als er den Wagen auf die Hauptstraße lenkte und drei weitere Zombies über den Bürgersteig stolperten, konnte er seine Frau fragen hören: „Wieso kommt es mir so vor, als sei ich die einzige, die nicht total unvorbereitet ist?“