Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Herr Hauenstein lehnte lässig an einer der Säulen, die den Zugang zum Amtsgericht flankierten. Er nahm einen tiefen Zug von seiner filterlosen Zigarette und schnippte sie dann achtlos auf die über Jahrzehnte abgelatschten Granitstufen. Mit einem halbherzigen Bad-Boy-Grinsen zog der junge Anwalt die Sonnenbrille (deren Nutzen unter der winterlichen Nebeldecke mehr als nur ein bisschen zweifelhaft war) aus und steckte sie in die Tasche seines Armani-Anzugs, ehe er durch das eindrückliche Portal ins Gebäudeinnere trat.
„Na, schön brav Abgase geschnüffelt?“, frotzelte ihn die Staatsanwältin, Frau Wichterich. Sie war in etwa in seinem Alter, genauso arrogant, ja, gar genauso gutaussehend wie er. Da sie beide Singles waren, welche ihre gesamte Energie in ihre hoffentlich bald steilen Karrieren steckten, war ihr pragmatischer Ansatz wenig verwunderlich: Die beiden trafen sich, wenn sie in einer Verhandlung die gegnerischen Parteien vertraten, auf dem Damenklo (das Herrenklo wäre aufgrund seiner Lage nahe der Cafeteria sowie akustischen Gründen eine ungeeignete Wahl) zu einem Schäferstündchen. Eigentlich konnte man es kaum traute Zweisamkeit nennen, denn wenn die beiden die Toilette wieder verließen, zierten unzählige Kratz- und Bissspuren ihre Körper unter der Kleidung. Herr Hauenstein hatte in Anbetracht der Tatsache, dass er sich gerade darüber Gedanken gemacht hatte, wie sie jeweils das Biest mit zwei Rücken formten, vergessen, seiner Gegenspielerin eine schnippische Bemerkung um die Ohren zu donnern. Seine Abgelenktheit verfluchend, huschte Herr Hauenstein in den Gerichtssaal und machte sich geistig auf einen harten Prozess gefasst.
„Ich fasse es nicht“, seufzte Frau Wichterich und rieb sich eine Träne von der Wange, bevor sie sich schwer und müde gegen die Säule im leeren Foyer sacken ließ. Ihr Lachkrampf hatte geschlagene drei Minuten gedauert und ihr Gegner des verstrichenen Prozesstages hatte bereits Anstalten gemacht, einen Krankenwagen zu rufen, bevor sie sich ausreichend unter Kontrolle gebracht hatte. „Echt, welcher Vollidiot bricht bei seinem Nachbarn ein, um dessen Schamhaare anzuzünden? Und haben wir diesen Fall wirklich gerade eben verhandelt?“
„Bedeutend wichtiger ist die Fragestellung: Woher wusste der Täter, über welche Menge an Intimbehaarung das Opfer verfügte?“, meinte Herr Hauenstein im besten Kreuzverhör-Tonfall seines Repertoires. Noch immer senkte und hob sich die Brust der Staatsanwältin heftig, ihre Atemprobleme waren zweifellos ihrem Amüsement über den bislang absurdesten Fall ihrer Karriere geschuldet. Erschwerend kam hinzu, dass die dämlichen Kommentare ihres geschätzten Kollegen in keiner Weise hilfreich waren. Dieser begriff das sehr wohl, da er eben mit parodischem Nachdruck ergänzte: „Euer Ehren, wir hegen den dringenden Tatverdacht, der Angeklagte habe beim Opfer eine Schamhaarzustandsüberwachung vorgenommen.“
Frau Wichterichs Eingeweide verkrampften sich endgültig in einem humoristischen Äquivalent zu einem epileptischen Anfall, ihre Absätze knickten weg und sie ging ungehemmt grölend in die Knie. „Hör schon auf, du Vollpfosten!“
„Bist du dir sicher?“, fragte Herr Hauenstein etwas pikiert und lehnte sich an die kühlen Wandfliesen der rollstuhlgängigen Klokabine in dem mittlerweile gänzlich verlassenen Amtsgericht. Die Staatanwältin, genauso nackt wie ihr Kollege, deutete glucksend auf seine dichte Intimbehaarung. „Aber ja doch. Ich werde nie wieder mit dir schlafen können, so lange du Schamhaare trägst. Ich meine, soll ich sie nach der Verhandlung heute nicht anzünden wollen, um herauszufinden, ob sie gut brennen?“
„Nein!“, rief der Verteidiger protestierend aus und angelte sich panisch seine Unterhose. „Du wirst sicherlich nicht meine Hoden anzünden, ich möchte mich eines Tages fortpflanzen!“
Nun war es an Frau Wichterich, Blödsinn zum Besten zu geben, während sie sich daran machte, ihre Unterwäsche zusammenzukramen, dabei ab und an zu ihrem edel gravierten Feuerzeug schielend: „Klar, was die Welt jetzt braucht, sind noch mehr kleine Anwälte, die Schamhaarpyromanen verteidigen!“
„Wenn man bedenkt, wie gerne du das jetzt selbst ausprobieren würdest, hat die Welt solche Anwälte bitter nötig“, wandte er ein. „Außerdem weißt du genauso gut wie ich, Berufswahl ist wohl kaum erblich bedingt.“
Gerade setzte Frau Wichterich zu einem weiteren Kommentar in dem Wortwechsel an, als die Leuchtstoffröhren an der Decke des fensterlosen Raumes erloschen und die beiden nahezu unbekleidet in absoluter Dunkelheit zurückließen. „Scheiße, welcher Vollpfosten hat den Strom abgedreht?“
„Eine Zeitschaltuhr?“, schlug der Mann vor und griff in der Finsternis nach seinem Hemd, wobei er seiner Kollegin beinahe einen Kinnhaken verpasste. „Ups, sorry!“
„Hey, pass auf!“, wetterte sie, wechselte dann nahtlos zu einem anderen Thema: „Halt mal, vielleicht ist das auch eine Zombieapokalypse oder jemand hat eine Atombombe hochgejagt und das Kraftwerk zerstört.“
Unsicher, ob in ihren Scherzen ein Fünkchen Ernst steckte, erkundigte sich Herr Hauenstein, der endlich sein Hemd ertastet hatte: „Hast du etwa getrunken?“
„Nein, ich versuche nur, den Abend ohne Schamhaarbrände spannend zu gestalten“, gab sie zurück und senkte die Stimme dramatisch. „Stell dir vor, wir wären die letzten Überlebenden in unserer Stadt und müssten uns gegen gefräßige Untote durchschlagen …“
„Du meine Güte, ausgerechnet mit dir? Ich würde ja jemanden mit Turnschuhen und Cargo-Hosen bevorzugen, nicht die überschminkte Staatsanwältin von nebenan!“
„Ich habe praktische Wanderkleidung und dank meinem Job kenne ich mittlerweile schon ziemlich viele Arten, wie man einen Zombie oder nuklearen Mutanten umbringen könnte.“
„Na, dann mal los – an die Waffen!“, rief Herr Hauenstein mit Überzeugung.
Frau Kohlbrunner war schon seit über zwanzig Jahren die Raumpflegerin im Amtsgericht und wusste mehr über die Anwälte und Richter, als jemand der alten Dame mit dem klapprigen Putzwagen zugetraut hätte. Es war für sie kein Geheimnis, dass der überhebliche Herr Hauenstein und die selbstgefällige Frau Wichterich, wenn sie sich im Gerichtssaal gegenübergetreten waren, ihren Sieg oder Verlust mit Beischlaf im öffentlichen Klo zelebrierten. Und Frau Kohlbrunner hatte beschlossen, sich an diesem Abend ein kleines Späßchen zu erlauben: Vor gut zehn Minuten hatte sie den Schalter der Sicherung umgelegt. Nun wartete sie, geduldig auf ihr Putzwägelchen gestützt, bis die beiden das Klo, welches Frau Kohlbrunner als „Anwaltskammer“ betitelte, verließen. Diese Szene wollte sie sich um keinen Preis entgehen lassen.
Als die Tür aufgerissen wurde und sie zwei halbbekleideten, mit Klopapierrollen bewaffneten Gestalten gegenüberstand, bekam aber gar sie es mit der Angst zu tun. Panisch schreiend rannte sie aus dem Gerichtsgebäude und ließ zwei betreten starrende Anwälte zurück.