Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Elizabeth ächzte fassungslos und lehnte sich an den Rand des Korbes, der am Heißluftballon hing. Sie fröstelte in ihrem Negligé, bei den eisigen Schneeflocken, die aus dem Nachthimmel fielen, kein Wunder. „Verdammt!“, zischte sie und wünschte sich in ihr warmes Bett zurück. Verschlafen rappelte sich Steve, ihr Partner seit mehreren Monaten, auf und wollte wissen: „Was zum Teufel …? Wo sind wir?“
„Es tut mir so leid, ich habe die Heizdecke gesucht, die Autokorrektur muss daraus ‚Heißluftballon‘ gemacht haben.“ Unsicher sah sich Elizabeth um, versuchte, ihre Höhenangst zu ignorieren, die ihr den Magen zusammenzog und grübelte, wie sie aus dieser Misere herauskämen. Unter ihr erstreckte sich endlose Schwärze, weit weg waren einige Lichtpunkte erkennbar, vermutlich ein Dorf.
„Wir sind auf einer Ballonfahrt? Meine Fresse …“ Steve setzte sich auf und musterte seine viel zu dünnen Pyjamahosen, bevor ihm Elizabeths Spitzennachthemd auffiel. „Du meine Güte, du erfrierst ja bald.“
Sie zupfte einen heruntergerutschten Träger zurecht. „Ist nicht mein erstes Mal, zum Glück habe ich das Handy in der Hand gehalten und jetzt dabei.“
„Solltest du die Zaubersprüche nicht langsam auswendig können?“, beschwerte sich ihr Freund leicht genervt. „Als du Raben heraufbeschwören wolltest und es stattdessen Rabatt-Coupons geregnet hat, war ja noch lustig, fast schon niedlich, aber mittlerweile bange ich echt um mein Leben.“
„Es tut mir wirklich wahnsinnig leid! Ich bin eine Level-1-Hexe, die Sprüche sind noch zu lang für mich“, seufzte Elizabeth, entsperrte das Smartphone und öffnete die App, die sie bei der Aufnahme in den Orden heruntergeladen hatte. Geblendet blinzelte sie. „Kein Dark Mode, und das ausgerechnet bei der Enzyklopädie der Schwarzen Magie.“ Ohne Brille war sie beinahe blind, das grelle Licht des Displays trug dazu bei, dass sie kaum etwas entziffern konnte. „Rückgängig … zurück ins Bett vielleicht?“, murmelte sie, auf der Suche nach einem Zauberspruch, der sie aus ihrer misslichen Lage befreite. Telepathisch nahm sie wahr, wie ihr derzeitiger Freund es ein wenig bereute eine Beziehung mit einer Anfänger-Hexe zu haben. Sie konnte es ihm schlecht verübeln, immerhin stürzten sie beide in den Tod, sollte sie mit dem nächsten Zauberspruch versehentlich den Ballon entmaterialisieren. Nein, daran durfte sie auf keinen Fall denken, das lenkte sie bloß von ihrem Vorhaben ab. Leider war es verdammt schwierig ruhig zu bleiben, wenn man vor Kälte zitterte, nichts sah und gegen Angst kämpfte. „Ballon in fahrbaren Untersatz verwandeln“, nuschelte sie, wählte das viel zu kleine Suchfeld der Zauberspruch-App an und redete sich Mut zu: „Bald sind wir auf dem Boden in einem Auto … oder Eselskarren, so genau weiß ich das auch nicht, Magie ist nicht sonderlich präzise.“ Sie hob ihre Stimme und las den automatisch übersetzten Zauberspruch vor. „Diis inferis! Vas color detrahet me!“
„Halt mal, ich verstehe ein wenig Latein, was du sagst ergibt gar keinen …“, begann Steve, wurde jedoch von einem grellen Blitz, gefolgt von einem Donner unterbrochen, da materialisierte sich ein siebartiger Gegenstand im Ballon. Verstört starrte Elizabeth auf das Gebilde: „Was ist das denn?“
„Ein Farbabstreicher“, stöhnte Steve sichtlich verärgert. „Du hast statt einem fahrbaren Untersatz ein Pinsel-Abstreich-Sieb heraufbeschworen, verdammt. Willst du etwa den Ballon neu streichen oder was?“ Damit hob er es auf und pfefferte es in den Abgrund. „Bitte, bring uns runter“, meinte er schließlich versöhnlich.
„Okay, okay.“ Elizabeth atmete tief durch. „Ich lasse uns Flügel wachsen, dann gleiten wir sanft wie Falter zu Boden.“
„Egal wie, bring uns einfach hier weg.“
Frenetisch tippte sie auf dem Smartphone, was Steve zum Vorschlag veranlasste: „Ohne Brille bist du fast blind, soll ich dir …?“
„Nein, unter keinen Umständen“, fiel sie ihm ins Wort. „Wenn jemand diese App öffnet, der keine Hexe ist, verwandelt sich das Handy in einen Feuerball, das haben sie mir eingebläut.“
„Okay, wie du meinst.“
Elizabeth fühlte wie Steve die Augen verdrehte, zwang sich jedoch dazu, sich auf die App zu konzentrieren, Beziehungsprobleme waren gerade zweitrangig. „Flügel … Gib mir starke Flügel …“ Sie tippte, bis ein Zauberspruch angezeigt wurde und rief: „Da mi basia mille papiliones!“
Mit unzähligen Knallen entstanden viele kleine, flatternde Punkte um den Ballon herum. Elizabeth schrie entsetzt: „Oh Gott, was ist das?“
Steve streckte eine Hand aus, fing eines der Insekten ein und hielt es ihr unter die Nase. „Ein Seidenspinner. Du hast tausend Schmetterlinge heraufbeschworen, du Nuss!“
„Das ist nicht so simpel wie es scheint. Ein Detail ist falsch und die Autokorrektur macht alles zunichte. Die automatische Übersetzung taugt auch nichts und ich sehe einen Scheißdreck!“
„Scheiße, mach irgendwas, wir verrecken sonst hier oben!“
Wie gelähmt fixierte Elizabeth das Handy, die Panik drohte die Oberhand zu gewinnen. Plötzlich hatte sie einen Einfall. Hoffnungsvoll tippte sie einige Worte und ließ sie übersetzen. „Bitte, sei diesmal richtig“, flüsterte sie beschwörend, verkündete anschließend mit neuem Mut: „Diis inferis! Moderor Z, moderor Z, moderor Z!“
Ein Donnerschlag ertönte, als sich erst die Falter, dann der Ballon auflösten und beide in der Luft schwebten. Steve stieß einen panischen Schrei aus.
Es dauerte nahezu drei Sekunden, ehe die Hexe und ihr Freund sich im Schlafzimmer von Elizabeths Apartment wiederfanden. Bibbernd kroch Elizabeth unter die Bettdecke und zog die Wärmeflasche an sich. Steve schaute sie verwirrt an und fragte nach einem Moment skeptisch: „Wie hast du das gemacht?“
„Ich kam auf die Idee, Control-Z zu seinem Zauberspruch umzuwandeln und dreimal anzuwenden. Wenn man am PC damit Fehler rückgängig machen kann, wieso nicht in der Schwarzen Magie? Ich hatte nur keine Ahnung, ob die automatische Übersetzung der App mir auch das richtige Wort vorschlägt und die Götter der Unterwelt das verstehen.“
Steve rieb sich übers Gesicht, gefolgt von einer langen Pause. Sie wusste, was er sagen wollte. Wahrscheinlich wäre die Trennung für seine Gesundheit besser und Elizabeth hätte so die Gelegenheit, eine Horde schwarzer Katzen als Weggefährten heraufzubeschwören. Oder sie könnte daran arbeiten, einen Zauberspruch für mehr Sehstärke zu erfinden. Ob sie dann aber bereit wäre, ihr Augenlicht der Autokorrektur oder der grauenhaften Übersetzungsfunktion der Schwarzen-Magie-App anzuvertrauen, war ein anderes Thema. Ihre Beziehung hatte diese Scheißapp schon ruiniert, das war vorerst genug. Sie streckte sich und tapste nach der Brille auf dem Nachttisch, während sie sich mental auf das bevorstehende Trennungsgespräch vorbereitete.