Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Wütend oder traurig, so genau wusste Adeline das nicht mehr, drückte sie auf ihren Autoschlüssel und gab ein lautes Fauchen von sich, als sie feststellte, dass ihr treues Gefährt nicht sofort aufblinkte. Sie trug knappe Jeans Shorts und dazu unpassende Kniestrümpfe, Dr. Martens Stiefel und ein ausgeleiertes AC/DC T-Shirt, nicht etwa, weil sie das modisch fand. Dieses Ensemble war, wie eigentlich all ihre Outfits, zustande gekommen, weil die Einzelteile dazu zufälligerweise den obersten Platz in ihrem Schrank besetzt hatten. Es war nun zwanzig Minuten nach Elf und während die Grillen zirpten, konnte sich das nahende Gewitter nicht entscheiden, ob es über die Sommernacht hineinbrechen oder weiterziehen sollte. Heute war einer dieser Tage, an denen einfach alles zum Kotzen war. Selbstverständlich gab es überhaupt keinen objektiven Anlass dazu, eine schlechte Laune zu haben, aber das machte das Ganze im Prinzip bloß schlimmer. Die Arbeit war schleppend gelaufen, am Ende hatte sie dann doch noch alles erledigen können und obwohl ihre gute Freundin keine Zeit für sie gehabt hatte, hatte sie ihr versprochen, morgen bei ihr auf einen Kaffee vorbeizukommen. Sogar die Katze, auf die sie derzeit für eine Bekannte Acht gab, hatte sie vorhin freundlich begrüßt und sich sogar streicheln lassen, anstelle dessen nur nach Futter zu betteln. Das was ihr die Stimmung verdarb, war nichts, was passiert war, sondern einfach der generelle Lebensfrust, der heute Abend schlicht und einfach aus ihr herauswollte.
Adeline war stets gelangweilt von ihrer Arbeit, genervt von ihrer Familie, enttäuscht von ihrem Freundeskreis, viel zu dick und allgemein unzufrieden mit ihrer momentanen Situation. Trotzdem mochte sie ihre Arbeit, liebte ihre Familie und Freunde und der Unmut übers Dicksein verblasste angesichts eines einzigen Stücks Bananenkuchen. Und genau das war im Grunde ihr größtes Problem, denn keines der Dinge, die sie zur Verzweiflung brachten, störte sie genug, dass sie etwas daran ändern wollte. Vielleicht, dachte sie, während sie sich hinters Steuer fallen ließ, ist es normal sich ab und an so zu fühlen und sie würde sich daran gewöhnen müssen. Mit einem beherzten Ruck zog sie den Sicherheitsgurt über ihre Brust und riss dabei gleich einige ihrer langen Haare aus.
„Verdammte Scheiße!“, fluchte sie keifend und schlug einmal kräftig auf das Lenkrad. Ihr war zum Heulen zumute, doch anstelle davon stieß sie einen schrillen Schrei aus und kratzte sich mit ihren abgekauten Fingernägeln über die Augenlider. „Hör auf damit!“, befahl sie sich schließlich, atmete tief aus und wollte endlich nach Hause fahren, um diesen vermaledeiten Tag im Bett zu vergessen.
„Kein Ton, oder ich erschieße dich!“ Sie zuckte vor Schreck so heftig zusammen, dass sie ihren Ellenbogen ins Fenster rammte.
„Was zum Teufe l…?“ Instinktiv wirbelte sie auf dem Fahrersitz herum, hob ihre Hände vors Gesicht und brüllte den fremden Mann an, der auf ihrer Rückbank saß. Er hielt eine silberne Handfeuerwaffe auf sie gerichtet, hatte schmutziges Haar und eine Nase, die wohl schon einige Male gebrochen worden war.
„Halt dein dummes Maul, habe ich dir gesagt!“ Sie versuchte dem Schlag auszuweichen, der Lauf traf sie dennoch und riss eine Fleischwunde in ihre Stirn. „Du wirst jetzt brav das tun, was ich dir sage, verstanden?!“ Mit zittrigen Fingern tastete Adeline nach der Stelle an ihrem Kopf, die verflucht weh tat und stellte verwirrt fest, dass dort etwas Nasses war. Abwesend nickte sie und hielt mit flatternden Nüstern ängstlich inne, bis weitere Instruktionen folgten.
„So ist’s gut“, goutierte der Angreifer ihr Verhalten. „Also, jetzt fahren wir erst einmal etwas durch die Nacht, damit du dich beruhigen kannst.“
„Wohin soll ich fahren?“ Adeline fiel ein, dass ihr Hund zuhause auf sie wartete und war froh, dass sie ihn ausnahmsweise nicht mitgenommen hatte. Es war schlimm genug, dass sie angegriffen wurde, aber wenn der Typ ihrem haarigen Freund etwas antun würde, dann … Alleine der Gedanke an dieses rein hypothetische Szenario ließ ihren Kampfgeist aufbrodeln. „Sagen Sie schon, wohin?!“ Er lachte auf, verstummte sogleich wieder und kniff seine Augen schmal zusammen, ehe er ihr einen erneuten Hieb auf die Schläfe gab.
„Bloß nicht so frech, du dumme Hure!“ Sie biss sich auf die Unterlippe und schaute auf die Fußmatte des Beifahrersitzes. „Fahr einfach los, ich sage dir schon, was du zu tun hast.“ Erst jetzt nahm Adeline den alten Schweißgeruch wahr, der von ihrer Rückbank durch den ganzen Wagen strömte und ihr wurde schlecht. Gegen den plötzlichen Brechreiz ankämpfend drehte sie sich nach vorne, steckte den Schlüssel in die Zündung und startete den Motor. Langsam ließ sie die Kupplung kommen und rollte ohne sich umzublicken rückwärts aus dem Parkplatz, ehe sie auf die kleine Nebenstraße bog, die zum Dorfeingang führte.
„Super, ich sehe, du hast begriffen. Und jetzt fährst du artig bis zum Waldrand.“ Im Rückspiegel konnte sie sehen, dass er die Waffe etwas nach unten nahm, sodass er nun durch den Fahrersitz auf sie zielte. Wahrscheinlich wollte er bei der Durchfahrt durch die dicht bewohnten Gebiete keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen, obwohl um diese Tageszeit ohnehin niemand mehr unterwegs wäre. River Creek war eine kleine Ortschaft, die bloß in der Wintersaison einige Touristen anlockte und den Rest des Jahres eher einer Geisterstadt glich. Genau deshalb war sie vor einigen Monaten hierhin gezogen, weil sie den Lärm der Metropole nicht mehr ausgehalten hatte und nie im Leben wäre sie darauf gekommen, dass sie ausgerechnet hier von einem Fremden mit einer Pistole bedroht werden würde.
„Was haben Sie vor?“, fragte sie nach einer Weile und stellte fest, dass sich ihr Herzschlag durch das Lenken des Autos tatsächlich etwas beruhigt hatte. Es gab eigentlich nur zwei Antworten, die in Frage kamen. Der krummnasige Mann hatte offensichtlich kein Interesse an ihrem Wagen oder ihrer Handtasche, wenn es so wäre, hätte er sich beides schon längst geschnappt. Ebenso schien er es nicht darauf abgesehen zu haben, zu flüchten, denn in der Richtung, in die sie fuhren, war nichts außer einer Sackgasse und dahinter ein dicht bewaldeter Berg. Übrig blieb bloß Mord und was auch immer davor geschehen mochte.
„Das wirst du noch früh genug erfahren“, gab er ganz beherrscht zurück und lehnte sich gegen das abgewetzte Polster. Adeline zwang sich einen weiteren Blick in den Rückspiegel zu werfen und sich das Gesicht des Angreifers genauer anzusehen. Neben seiner auffälligen Nase lagen zwei große, stahlblaue Augen, umrandet mit dichten Wimpern und ein schmaler Mund. Er war ungefähr fünfunddreißig, vielleicht etwas älter und wirkte weder besonders kräftig, noch untrainiert. Sie bereitete sich darauf vor, der Polizei eine möglichst genaue Beschreibung zu geben, wenn sie denn diese Begegnung überhaupt überleben würde.
„Mein Name ist Adeline, meine Mutter heißt Stefanie und ist schwerkrank. Ich muss mich um sie kümmern.“ Sie hatte vor langer Zeit einmal gelesen, dass man Gewalttäter von sich erzählen soll, damit sie mit der Menschlichkeit ihrer Opfer konfrontiert und davon abgeschreckt werden. Der Fremde kicherte jedoch nur und meinte spöttisch: „Na dann, schön dich kennenzulernen, Adeline.“
„Sie hat Krebs und fragt sich sicher schon, wann ich nachhause komme und ihr …“, log sie weiter, als er ihr, nun deutlich verärgert, ins Wort fuhr: „Das funktioniert nicht, du dumme Schlampe, das turnt mich bloß noch mehr an! “ Damit war Adeline klar, was am Waldrand auf sie warten würde.
Als hätte sich ein Schalter in ihrem Kopf umgelegt, wich jede Angst aus ihr. Sie mochte ihren langweiligen Job tolerieren, ihre nervige Familie weiter alle zwei Wochen besuchen, ihren Freunden den Bananenkuchen servieren, den sie nicht essen sollte und in diesem Alltagsfrust irgendwie zufrieden sein, aber auf gar keinen Fall würde sie diese Situation einfach so hinnehmen. Ohne über die Konsequenzen ihres Vorhabens nachzudenken, trat sie auf das Gaspedal und murmelte: „Nein!“
„Wie war das?“ Sie glaubte ehrliches Erstaunen in seiner rauen Stimme erkennen zu können und, davon ermutigt, wiederholte sie ihren Trotz: „Ich habe Nein gesagt!“ Sie beschleunigte weiter und raste durch den schlafenden Vorort River Creeks.
„Spinnst du?!“, donnerte er lautstark. „Glaubst du echt, du kannst mich ficken?!“ Den Blick auf die enge Straße fokussiert, hörte sie, wie er sich auf der Rückbank aufrichtete und wohl versuchte, zu ihr nach vorne zu klettern. Adeline streckte ihre Ellenbogen durch, platzierte ihren linken Fuß und stand mit dem rechten Stiefel mit aller Kraft auf die Bremse.
Der kleine Wagen kam mit quietschenden Reifen abrupt zum Stehen und für einen Augenblick hatte sie das Gefühl, als würden all ihre Organe aus ihr herausgerissen. Der Sicherheitsgurt schnürte ihr die Luft ab, hatte vermutlich einige Rippen gebrochen, aber das Adrenalin in ihrem Kreislauf verschonte sie vor den Schmerzen. Sofort schreckte sie hoch und stieß den Arm des Typen weg. Er war gegen die Armaturen geschleudert worden und blutete stark, bewegte sich allerdings zaghaft und schien nach etwas zu tasten. Rasch begriff Adeline was er vor hatte, suchte den Wagen ab und schnappte dann die Waffe. Sie schrie auf, als sie ausstiegen wollte, ins Straucheln kam und zu Boden fiel. Als sie an sich herunter sah, entdeckte Adeline eine unnatürliche Krümmung in ihrem Schienbein. Hastig untersuchte sie die Waffe des Angreifers und versicherte sich, dass sie auch geladen war, ergriff dann die Fahrertür und zog sich auf die Beine. Darauf bedacht, die Pistole nicht zu weit ins Innere des Autos zu halten, zielte sie auf den Oberschenkel des Fremden und bellte ihn an:
„Du hast dir den falschen Tag ausgesucht, um mich verarschen zu wollen, du verdammtes Stück Scheiße!“ Noch benommen vom Aufprall streckte er wortlos die Hand nach ihr aus und ohne nur einen Sekundenbruchteil zu zögern, schoss sie ihm ins linke Knie. Er heulte auf, doch sie war noch lange nicht fertig mit ihm. „Halt deine dreckige Fresse und gibt mir das Telefon!“, fuhr sie ihn mit dem Lauf auf ihr Handy deutend an. Er tat, wie ihm geheißen wurde und schob das Gerät auf den Fahrersitz, wo sie es mit einer schnellen Bewegung aufhob. Ohne die geringste Emotion zu zeigen, tippte sie die Notrufnummer ein.
„Hallo, hier ist Adeline McMahon, ich bin in River Creek auf der Dreißigsten Richtung Viewpoint und bin angegriffen worden. Ich glaube, er wollte mich vergewaltigen. Ich habe den Angreifer überwältigt und halte ihn in Schach.“ Sie wartete nicht ab, bis die Dame vom Notruf Fragen stellen konnte, sondern sprach mit einem kalten Grinsen weiter: „Beeilen Sie sich, wenn der Bastard etwas versucht, werde ich ihn mit seiner eigenen Waffe kastrieren.“
Was auch immer in den nächsten Minuten passieren würde, Adeline schwor sich, heute Abend ein Stück des verdammten Bananenkuchens zu essen.
Suoer. Spannend. Fesselnd.
Aaaaaaaaaah!!! Schmetterling!
*hüstel*
Ich meinte natürlich: Hallo werte Frau Hilgert. Besten Dank für Ihren freundlichen Kommentar. :P
Wow – mit so einem Text habe ich bei dem Titel echt nicht gerechnet :O
Hallo-lo-lo-lo-looo
Um ehrlich zu sein, war genau das meine Intention ^^
Keine Ahnung wieso genau, aber als ich deine Titelvorgabe gelesen habe, dachte meine Gedankenstimme im O-Ton:
„Mmmmmh, Bananenkuchen! Ich geh was essen!“
Dann, nachdem der Hunger aus dem Weg war, ging es so weiter:
„Bananenkuchen. Was mache ich mit Bananekuchen? Genau! Etwas, an das niemand denken würde, wenn er das Wort Bananenkuchen hört!“
Und nein, ich bin nicht fies, seltsam oder moralisch fragwürdig. Das nennt sich „möchtegern-exzentrisch“! ;)
Liebe Grüsse uuuuuund… megalotastische Grüsse
Rahel