Dies ist ein Interludium zur Fortsetzungsgeschichte „Hoffe auf das Beste, aber bereite dich auf das Schlimmste vor“.
„Testsubjekt Oscar, Lima und Quebec weisen erste Anzeichen der …“ „… signifikante Veränderungen der Wucherung am …“ „… Verhaltensauffälligkeiten. Das Subjekt erreicht Stufe vier auf der …“
Er streichelt einen Beagle. Das Tier schläft ruhig auf seinem Schoß, atmet leise ein und aus. Ein und aus, während die Bildschirme zeigen, was mit ihnen allen geschehen wird. Ein und aus. Die Welt, sie steht in Flammen und Juan soll sie löschen. Deswegen streichelt er den Beagle.
„… aggressive Reaktion auf Sierra. Außerordentlich erstaunlich, finden Sie …“ „Der Verlauf scheint sich zu beschleunigen, wenn …“ „ … aus dem Plasma zugeführt. In einem nächsten Schritt …“
Der Beagle zuckt mit der Hinterhand und wacht gähnend auf. Juan ist, als sauge der Hund alle Furcht, alle Hektik in sich auf. Faul wedelt er mit der Rute, begrüßt seinen neuen Spielkammeraden und einstigen Folterknecht mit der Wärme, die ihm selbst verwehrt worden ist. Juans Aufmerksamkeit haftet weiterhin an der Tragödie, die stummgeschaltet über die Fernsehgeräte flackert.
„Ich injiziere nun die dritte Dosis DeLaZ-786 und …“ „… bei Tango? Verstanden, Sir. Die Chromosom-Analysen werden umgehend …“ „Ach du meine Güte! Professor, das müssen Sie sich dringend …“
Bislang hat er die Versuchstiere lediglich im betäubten Zustand zu schätzen gewusst. Juan ist leitender Wissenschaftler und konnte sich den Luxus leisten, die Opfer seiner Arbeit nicht persönlich kennenzulernen, obschon sie täglich sein und das Leben vieler anderer retteten. Dieser Beagle tut das in diesem Moment des absoluten Chaos genau dasselbe. Er rettet Leben. Dieses Mal allerdings nicht mit seiner Leidensfähigkeit, sondern seinen hellbraunen Augen, in denen Juan sich zu verlieren sucht.
„…ssor! Professor, hören Sie mich?“ „Spinnen die Anzeigen oder hat Quebec das Bewusstsein verloren? Das sollte nicht …“ „… schnell her! Scheiße, ist Oscars Fibula wegen den Krämpfen gebrochen? Wir müssen sofort …“
Ob der Beagle die Normalität wohl vermisst, fragt sich Juan und streicht zart über das knochige Köpfchen, krault die weichen Öhrchen. Immerhin hat er nie etwas anderes als seinen Zwinger, den Untersuchungsraum oder die weitläufigen Flure des Labortrakts gesehen, hat weder Gras geschnüffelt noch die Sonne auf dem Fell gespürt. Nein, beschließt Juan erleichtert, gleichwohl zerrissen von Schuldgefühlen, nein. Es gab keinerlei Schönheit, die das Tier zu verlieren hatte. Die Gabe eines lebenslangen Fluchs. Freudig bewegt sich das Schwänzchen hin und her. Hin und her, da wird er unsanft an der Schulter gepackt.
„Professor! Sie müssen sich das schleunigst ansehen“, drängt Kathy. Sie ist die vielversprechendste seiner Studenten, hätte eine große Zukunft vor sich gehabt, gäbe es diese noch.
„Was denn, Kathy?“ Widerwillig löst er seinen Blick vom flachen Gerät, dem einzigen Fenster zur Außenwelt, schlagartig wird er vom Stimmenwirrwarr übermannt und bedeutet ihr näherzutreten.
„Schauen Sie“, sagt sie ihm aufgeregt einen Ausdruck zuschiebend. „Da!“ Der Beagle streckt sich, ehe er sich gemächlich auf Juans Schoß zusammenrollt.
„Meinen Sie das?“ Juan legt den Finger auf ein auffälliges Ergebnis und tastet ohne hinzusehen nach seiner Teetasse. „Es ist zu erwarten, dass die Leukozyten … Oh.“ Er nimmt einen Schluck der kalten Brühe, bevor er den Hund aufhebt, um ihn auf dem Tisch abzusetzen. „Wie viel Zeit liegt dazwischen?“
„Weniger als eine Stunde, Prof“, antwortet Kathy prompt und zieht eines der Blätter aus dem Stapel, den sie zwischen Ober- und Unterarm eingeklemmt bei sich trägt. „Genau achtundvierzig Minuten.“ Nervös, schlimmer noch, hoffnungsvoll beobachtet sie Juans Gesicht, als dieser die Papiere vor sich ausbreitet und angestrengt begutachtet. „Und?“
„Kathy“, seufzt er gleichermaßen mitleidig wie genervt. „Die Leuko-Zahl ist nicht einmal annährend im grünen Bereich.“
„Aber, sie ist gestiegen, das ist doch ein guter Anfang!“, protestiert die Biologin schrill. Die Panik macht vor niemandem Halt, selbst Kathy, deren Abgebrühtheit ihr den Spitznamen „Iron Lady“ eingebracht hat, verfällt ihr zunehmend.
„Kat, für gute Anfänge sitzen wir bereits zu tief in der Scheiße“, erklärt er zu den Bildschirmen nickend. „Wir brauchen einen Durchbruch, ein Wund…“
„Guten Abend, die Herren“, tönt ein lächelnder Typ in Armeeuniform durch das Labor, sieht sich um und fügt an Kathy gewandt hinzu: „Die Dame.“ Hinter ihm tauchen fünf weitere Uniformierte auf, die sich stoisch bei den Eingängen postieren.
„Chief, was wollen Sie?“ Es gab im Team seit längerem einen Disput um Dr. Akshay Kapoor, den Chief of Biological Research Science and Biological Technology. Die meisten mögen den stets freundlichen Vorgesetzten, Juan hingegen hasst ihn mit einer Leidenschaft, die er ansonsten Anhängern der neuen Star Wars Filme vorbehält.
„Professor Zayas, ebenfalls schön, Sie zu sehen. Wie üblich herrscht hier Bombenstimmung“, erwidert der Militärheini gelassen und lehnt sich an einen Marmorblock. Seine Forschergruppe war vor einigen Wochen hierher, in das Labor der Meteorforscher, verlegt worden. Aus Sicherheitsgründen, wie man ihnen mitteilte, bevor man sie mit den Worten „Drittes Untergeschoß“ in die Liftkabine geschubst hatte. Jedenfalls lagen noch immer Utensilien der Vorbenutzer herum und verstopften die Gänge zwischen den Käfigen.
„Nochmal, Sir, was wollen Sie?“ Juans größtes Problem mit dem dauergrinsenden Chief war die entspannte Art, mit der er sich durch sein Reich bewegte, der Typ schien sich von nichts aus der Ruhe bringen zu lassen, selbst die scheußlichsten Befehle führte er ohne zu murren aus.
„Wir wollten überprüfen, ob Sie auf die kommenden Detonationen vorbereitet sind, Prof. Sie haben sich an das Protokoll gehalten, ja?“
„Selbstverständlich“, gibt Juan zurück und freut sich schon auf das Ende der unliebsamen Interaktion. Da macht ihm Dr. Kapoor einen Strich durch die Rechnung.
„Wie ich sehe, sind die Vorbereitungen noch nicht abgeschlossen“, meint er. Mit wenigen Schritten ist er direkt vor Juan und seinem auf dem Tisch dösenden Beagle. „Ich vermute, dieses Subjekt wird nicht für die Versuchsreihe verwendet, richtig?“
„Nein. Wir können dafür nur Primaten verwenden“, klärt Juan auf, obwohl er sich sicher ist, diese Tatsache in jedem bisherigen Briefing erwähnt zu haben.
„Gut, dann geben Sie es mir. Ich werde mich um die Extermination kümmern.“ Er streckt seine Hand nach dem Tier aus, aber Juan schießt dazwischen, stellt sich breitbeinig vor den Beagle und begreift in diesem Augenblick, wie lächerlich seine Geste aussehen muss. Der Chief überragt ihn zwar nicht, ist sogar einige Zentimeter kleiner als er, dafür wiegt der Militär mindestens das Dreifache und sein Brustkasten ist so breit wie der von einem Schwimmer. Wahrscheinlich könnte er Juan einfach aufheben und beiseite stellen. „Professor Zayas, ich bitte Sie.“ Das Lächeln verschwindet für eine Sekunde aus den Zügen seines Vorgesetzten, nur um sogleich zurückzukehren. „Sie wurden vor drei Tagen informiert und instruiert die unnütz gewordenen Versuchstiere zu töten.“
„Nein.“ Juan versteht die Gründe, weiß, weshalb diese Maßnahme notwendig ist. Ihre Nahrungsmittelreserven sind zwar militärtypisch groß, doch mit dem baldigen Bombenabwurf auf die umliegenden Städte gäbe es keinen Nachschub und jedes Maul, das gestopft werden wollte, muss seinen Wert beweisen. Die Beagle haben da neben Niedlichkeit wenig zu bieten.
„Professor“, mischt sich Kathy schüchtern ein und gesellt sich zu den beiden. „Er hat leider recht, die …“
„Ich habe nein gesagt.“ Ihre schlichtenden Gesten bleiben in der Luft hängen, da entdeckt Juan, wie sich zwei von Kapoors Männern von ihrem Posten entfernen und in Richtung der Käfige marschieren. Sie wollen zu den anderen Hunden!
Er muss einen kühlen Kopf bewahren, also atmet er ein und aus. Ein und aus, während sein Geist auf Hochtouren arbeitet. Niemals wäre er in der Lage, sie aufzuhalten, weder ist er ihnen physisch gewachsen, noch wollen im Argumente gegen die Eliminierung unfähiger Fressmaschinen einfallen. Kapoor hat recht, Kathy hat recht, sie alle haben recht, es gibt keinen logischen Grund, die Tiere am Leben zu halten, er hat keine Handhabe, außer …
Flink nutzt Juan das Überraschungsmoment und reißt einen Revolver aus Kapoors Schultergurt, welcher offensichtlich nicht mit so einer Aktion des Wissenschaftlers gerechnet hat.
„Ich widerhole: Nein!“, keift er und hält sich die Mündung an den Hals, richtet sie so, dass die Kugel direkt durch sein Stammhirn schießen würde.
„Oh Gott“, stößt Kathy entsetzt aus und selbst der besonnene Chief reißt die Hände empor, stolpert sogar ein wenig zurück.
„Sie brauchen mich, korrekt? Sie brauchen mich, weil ich, soweit wir das wissen können, das einzige Arschloch auf der Welt bin, das vielleicht eine Lösung für diesen Wahnsinn finden kann.“
„Zayas, machen Sie jetzt bloß keinen Fehler“, dringt der beschwichtigende Tonfall seines Gegenübers zu ihm durch.
„Ist das korrekt?!“ Er schreit. Zum ersten Mal in seiner Karriere, nein, seines gesamten Lebens, schreit Juan einen anderen Menschen wutentbrannt an. Nun ist sie also auch bei ihm eingekehrt, die Panik, die von jedem Besitz ergreift.
„Ja, Professor, das ist korrekt.“ Resigniert winkt Kapoor seine Soldaten herbei und ordert: „Ihr habt den Mann gehört, die Beagle bleiben. Vorerst.“
„Die hier behalte ich“, sagt Juan und steckt die Waffe in seine Jeanstasche. Dann nimmt er den verschüchterten Hund vom Tisch, setzt sich wieder hin und streichelt den Beagle. Das Tier beruhigt sich, atmet leise ein und aus. Ein und aus, während die Welt in Flammen steht, saugt es Juans Panik in sich auf.