Dies ist der 11. Teil der Fortsetzungsgeschichte „Hoffe auf das Beste, aber bereite dich auf das Schlimmste vor“.
„Keinen Schritt weiter“, blaffte eine unbekannte, kratzige Stimme. Nur wenige Sekunden später strauchelte ein alter Mann durch die Büsche, eine kurzläufige Schrotflinte auf die kleine Truppe gerichtet. „Was habt ihr mit meinem Damm angerichtet?!“, wetterte er vollkommen entgeistert und begann, aufgeregt mit seiner Waffe zu fuchteln. Rooster linste zu Clint, welcher offenbar zwischen Schock und vollkommener Verwirrung auf den Greis im abgewetzten Blaumann starrte.
„Deinem Damm?“, fragte Juan schließlich. Der fremde Typ machte zugegebenermaßen keinen sonderlich bedrohlichen Eindruck, vielmehr wirkte er zerzaust, unkoordiniert, so, als könnte man von ihm eine spontane Slapstick-Einlage erwarten. Aber genau dieses erratische Verhalten machte Rooster, dessen Pranke um den schweren Taurus Revolver lag, skeptisch. Der Alte war unberechenbar und das gehörte zu den vier Eigenschaften, die er so gar nicht mochte – die anderen drei waren Weinerlichkeit, Gesprächigkeit sowie Faulheit, was auch seine Abneigung gegen Juan erklärte.
„Ja. Ihr Vollpfosten habt sie alle erledigt“, murrte er auf die getöteten Zombies im Tunnel deutend weiter. „Habt ihr eine Ahnung, wie lange es gedauert hat, diese Biester einzusammeln und aufzustapeln?“, holte er frustriert aus, ehe er sich seufzend über die Glatze strich und meinte: „Egal. Geschehen ist geschehen. Es lässt sich sowieso nicht mehr ändern.“
„Du hast den Mähdrescher dahin gestellt?“ Rooster grunzte entnervt, hatte er es doch bloß mit unvorsichtigen Idioten zu tun. Lediglich Martha bewies etwas Versand, als sie sich verunsichert hinter ihm versteckte. Clint hingegen übersah Roosters eindeutige Geste des Missfallens allerdings absichtlich und fuhr unbeirrt fort: „Alle Achtung, du bist ein begnadeter Tetris-Spieler!“ Bevor der Hüne seine Kameraden dazu anhalten konnte, den Quatsch endlich zu lassen, lachte der Fremde schallend los.
„Genau, genau“, gluckste er amüsiert, steckte die Schrotflinte weg und ging dann mit ausgestreckter Hand auf die drei Männer und Martha zu. „Man muss sich ja irgendwie die Zeit vertreiben. Ich bin übrigens David.“
„Ich bin Clint, wie Clint Eastwood.“ Schultern wurden geklopft, verhornte Hände geschüttelt und Lächeln ausgetauscht. „Das hier ist Juan, der Professor, der Riese da ist Rooster und dieses zauberhafte Wesen“, flötete Clint auf das Mädchen zeigend, „ist Martha.“
„Freut mich, freut mich, ich sehe selten neue Gesichter. Erst recht keine so hübschen“, schwärmte David, ehe er vor der Kleinen in die Hocke ging und ihr übers blonde Haar strich. „Also gut“, ächzte er, als er sich mühsam aufrichtete, „wollen wir?“
Die Einladung zum Abendessen war im Grunde keine Bitte, sondern ein Befehl gewesen. David hätte ein Nein nicht akzeptiert, wenn es denn überhaupt jemanden gegeben hätte, der die Aussicht auf ein richtiges Essen ausgeschlagen wollte. Alle, sogar Tess, die bislang keine unnötigen Zwischenstopps geduldet hatte, waren sofort begeistert von der Idee gewesen, einen Abend in Davids Berghütte zu verbringen, welche eine knappe Marschstunde vom Tunnel entfernt lag. Kaum dort eingetroffen, wurden sie von Barbara, Davids Frau, überschwänglich begrüßt. „Ah-ha ha“, hatte die Farmersfrau gemacht, als sie ihre Namensvetterin kennenlernte. „Nennt mich einfach Barb, damit es keine Verwechslungen gibt.“ Die Hütte war winzig, so wie es Berghütten in diesen Teilen der Erde eben waren, sie bot genügend Platz für ein bis zwei Leute, einen Stall für Schweine oder Schafe sowie einen Heuboden, auf dem die Besucher kurzerhand einquartiert wurden.
„Wenn ihr alles verstaut habt, gibt es Suppe und etwas Brot.“ Tess‘ Kopf schnellte nach oben, sodass er gegen einen Stützbalken knallte.
„Ihr habt Brot?“, fragte sie erstaunt und rieb sich die Beule.
„Wir haben etwas Roggen- und Maismehl. Kein Vergleich zum Bäcker um die Ecke, aber meine Backkünste sind schon besser geworden seit … Nun ja, seit das ganze Theater mit den Zombies losging“, erwiderte Barb schief grinsend.
„Himmlisch!“, rief Tess aus, bevor sie dermaßen eilig die Leiter herunterkletterte, dass Barbara sich um ihr Wohlergehen sorgte. Immerhin war es noch keine drei Stunden her, seit Clint seiner Freundin unbeabsichtigt das rechte Ohr weggeschossen und sie relativ viel Blut verloren hatte. „Darf ich ein Stück haben?“
„Na klar, Schätzchen. Es ist genug für alle da.“
Das Abendessen war ruhig verlaufen, nur Clints gelegentliches Schmatzen sowie Barbaras darauffolgende Rügen hatten hier und da die Stille durchbrochen. Die Gruppe war nach der beschwerlichen Reise und dem spärlichen Dosenessen hungrig. Erfreut beobachtete Tess Barbara, die richtig reingehauen hatte und nun neben Rooster auf einer Holzbank neben der Hütte saß – zum ersten Mal nach Jacks Tod hatte sie ihren Appetit wiedergefunden.
„Das hat gut getan, nicht?“ Die Angesprochene nickte und klopfte sich auf den dünner gewordenen Bauch.
„Ja, das war toll. Vielen Dank, Barb.“ Clint, der Professor und David waren vor einigen Minuten in den Wald verschwunden, nichts weiter dabei als zwei Langbögen und eine Pistole. Sie wollten ihr Geschäft erledigen und bei der Gelegenheit gleich noch einige Fallen überprüfen. Wenn sie Glück hatten, gäbe es am nächsten Morgen vor ihrer Abreise Kaninchenbraten, dachte Rooster zufrieden. Sein Misstrauen hatte sich in Luft aufgelöst – er war froh um die Pause, hoffte sogar, sie mochten statt einer Nacht etwas länger hierbleiben.
„Ach was, das war mir ein Vergnügen“, sagte Barb beinahe schüchtern. „Es ist schön, mal wieder Besuch zu haben. So weit draußen sieht man kaum je Reisende. Wo wollt ihr eigentlich hin?“
„Zum Flugfeld am …“ Ein ohrenbetäubender Knall durchbrach die Dämmerung, einige Vögel flogen verängstigt aus den Bäumen. Während Barbara, Tess und Rooster hochsprangen, ihre Waffen zückten, kauerte Barb bei der Feuerstelle nieder.
„Was zum Teufel war das?“, flüsterte Rooster hin- und herblickend. „Die Jungs?“
„Nein, ich glaube es kam von drinnen.“ Tess klang irritiert, wartete ab, bis Barbara ihren Worten zustimmte, ehe sie die knarrende Holztür aufstieß und in die Hütte rannte.
Helens Schädel war regelrecht in Fetzen gerissen worden. Aus der geringen Distanz hatte Davids Schrotflinte kurzen Prozess mit ihrem Gesicht gemacht – es bestand kein Zweifel, sie war tot.
„Oh mein Gott!“ Barbara war im Türrahmen stehengeblieben, schreckerstarrt. „Oh mein Gott“, wiederholte sie fassungslos. Marthas dünner Körper war von Blut- und Gewebespritzern überzogen, auf ihren Lippen ruhte ein seliges Lächeln.
„Martha, gib mir die Waffe“, forderte Tess sanft, ihren Arm dem Mädchen entgegenstreckend. Sie zitterte, konnte die Situation nicht einordnen und hatte panische Angst, die Kleine könnte jeden Moment mit ihr dasselbe machen, was sie ihrer Mutter angetan hatte. Was war bloß geschehen?
„Du kannst sie gleich haben“, erklärte die Blonde beherrscht, behielt die Flinte derweil fest in ihren schmalen Händen. „Ich brauche sie noch.“
„Martha, was soll das?“ Nun wagte sich auch Barbara vor, langsam ging sie auf die Kleine zu und kniete neben Helens Leichnam auf den Dielenboden. „Martha, hör mir zu. Du musst mir die Waffe geben, okay?“
„Nein“, kreischte das Mädchen plötzlich, sodass alle Anwesenden zurückwichen. „Mama und ich gehen jetzt in den Himmel zu Papa und meinen Brüderchen!“ Trotzig kniff sie die Augen zusammen und zielte sie auf Tess, die wie paralysiert den Atem anhielt.
„Martha, Süße, bitte gibt mir die Waffe, danach schauen wir gemeinsam, wie wir in den Himmel kommen“, versuchte es Barbara erneut – leider ohne Erfolg. Mit einer ungeschickten, dennoch schnellen Bewegung, stellte Martha das Schulterstück der Flinte vor sich auf den Boden, beugte sich darüber und fädelte ihre winzigen Finger durch den Abzugsbügel.
Barbs Schluchzen blieb lange das einzige Geräusch, nachdem der Schuss abgeklungen und Marthas schmächtige Gestalt über der Flinte erschlafft war.