Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Wie das langgezogene Fauchen eines faulen Löwen grollte der Donner über Mitch Mitchels hinweg. Auf einen trüben Tag, folgte ein ebenso düsterer Abend. Murrend packte der hochgewachsene Mann seinen Wäschekorb, warf einen Blick in die Wolken und schlurfte vorbei an den stets verdreckten Waschräumen in Richtung seines Campers. Wenn er sich recht überlegte, so waren nicht bloß dieser Tag sowie der dazugehörige Abend finster. Die ganzen drei Monate, die er nun schon hier auf dem Campingplatz zur Dauermiete hauste, hatte sich die Sonne in seinem Leben rar gemacht. Mitch Mitchel schielte nach links, nach rechts, nochmals nach links, ehe er die Hände vom Korb nahm und sich eine Zigarette anzündete. Das Weidengeflecht, in dem seine feuchte Wäsche lag, schwebte wenige Zentimeter vor seinem Bauch, auf der Höhe des Nabels, voran. Soweit war es also gekommen, sinnierte er tief durchatmend und gab dem Korb einen Schubs. Ein verwundertes Blinzeln, dann blieb er stehen, um die Delle zu betrachten, die sich unter seinem zerlumpten T-Shirt abzeichnete. In der Ferne bellte ein Hund, übertönte Mitch Mitchels resigniertes Seufzen. Er, der glorreiche Mister Grandiotastic, war drauf und dran zum ordinären Versager mittleren Alters zu verkommen, zu einem Typen, dessen einziger Nachlass ein liebloses Gedicht, ausgesucht von einem namenlosen Praktikanten, in den Todesanzeigen sein wird. „Naja“, brummte er, gab dem Wäschekorb einen weiteren Schubs mit dem Bierbauch und sah einsame Stunden auf sich zukommen.
Donner und Blitz gaben sich über dem dünnen Blechdach seines Campers die Hand. Ein Ohr ins Kissen gedrückt, hörte Mitch Mitchel mit dem anderem dem Hagelrhythmus zu, der ihn vom sehnlichst herbeigewünschten Schlaf abhielt. Die Nacht auf Mittwoch, den zweiten März, war die letzte gewesen, die er friedlich durchschlummert hatte. Damals lag er in einem großzügigen Apartment in der Innenstadt, in sauberer, nach Lilien duftender Bettwäsche. So schnell kann er kommen, der Abstieg, ging es ihm nicht aus den Kopf. Da mühte er sich lange Jahre ab, um ein Stück des Glücks zu erhaschen und schwups lag er auf einem schmutzigen Kissen, in einem improvisierten Bett, in der Ecke eines winzigen Trailers auf einem versifften Campingplatz am Rande der Zivilisation. Mitch Mitchel brummte unzufrieden, schwang seine haarigen Beine unter der Decke hervor und beschloss, noch eine zu rauchen, statt vergeblich auf Schlaf zu hoffen. Die Schachtel mit den Glimmstängeln gehorchte seinem Fingerzeig ohne Berührung, ebenfalls die Schranktür, an deren Innenseite mahnend der royalblaue Anzug hing. Leise klackend fiel sie zu.
Mitch Mitchels Schaukelstuhl war eigentlich ein verrosteter Rollstuhl. Eine Trophäe, mochte manch einer behaupten. Das quietschende Ding hatte einst einem der Schurken gehört, die Grandiopolis zuweilen in Maßen erschuf – wie in so vielen Städten, glichen die Gefängnisse eher einer Ganovenschule als einer rechtschaffenen Erziehungsanstalt. Knapp über dem Boden schaukelte der fett gewordene Rächer hin und her, vor und zurück. Er war mit seinem Latein am Ende, wusste nichts mehr mit sich anzufangen, ja wusste weder ein noch aus. Hoch über seinem Haupt flackerte grünlich das Grandiotasten-Signal, drei Lichtkegel vereint zu einem toxisch leuchtenden Asteriskus. Zum wiederholten Male verfiel Mitch Mitchel dem kläglichen Seufzen, war es doch um so vieles einfacher zu jammern, anstelle davon, seiner Pflicht nachzukommen. Für ihn hatte diese allerdings jeden Reiz verloren, denn während einige die Arbeit eines Superhelden bewunderten, ja ihn gar darum beneideten, so war sie für ihn lediglich Mittel zum Zweck gewesen – oder besser: Motiv zum Fotografieren.
Als das fordernd grüne Glühen ihm lästig wurde, glitt Mitch Mitchel mitsamt dem Rollstuhl über die vier Stufen seiner Veranda auf den sandigen Vorplatz, sodass er dem Westen den Rücken zukehrte. Lauwarmer Regen prasselte ihm ins Gesicht und er genoss das Gefühl der Tropfen, die Falte um Falte nachzeichneten. Solche Kleinigkeiten waren er früher unbemerkt an ihm vorbeigezogen, schließlich war er mit seiner Kariere, seiner Berufung beschäftigt gewesen. Wer ein wahrlich fantastischer Journalist, eines Mister Grandiotastic würdig, sein wollte, so Mitch Mitchels Devise, hielt sich niemals mit schönen Nebensachen auf. Schön war für ihn nämlich vor allem eines, das Journalistendasein. Dafür hatte er bereitwillig eine sinnlose Auseinandersetzungen nach der anderen in Kauf genommen, telekinetische Schlachten gegen wahnsinnige Wissenschaftler, gierige Konzernbosse sowie entrückte Psychopathen geschlagen. All das nur, um dem Chefredakteur am nächsten Morgen, wenn die Wunden gesäubert und das Kostüm geflickt worden waren, eine brandheiße Story präsentieren zu können. Dann kam ein Bösewicht, dem er nicht gewachsen war, dessen unerbittliche Klauen seine Existenz auseinanderpflückten, als wäre sie eine Geburtstagstorte im Pausenraum der Redaktion.
Kaum war er in seine schäbigen vier Wände geflogen, natürlich darauf bedacht, von keinem seiner meist stark alkoholisierten Nachbarn gesehen zu werden, vernahm Mitch Mitchel ein pulsierendes Vibrieren. Zuerst ignorierte er das vertraute Geräusch, entschlossen, sich nicht von der Verlockung eines neuerlichen Abenteuers verleiten zu lassen und kroch ins Bett. Ohne seine Kamera, ohne die Zeitung, die seine Hochglanzbilder druckte, erkannte er keinen Wert im Retten der Stadt. Es surrte und surrte aus seinem Schrank und das dreckige Kissen war vollkommen nutzlos darin, den Störfaktor auszublenden. „Ach, verflucht“, knurrte Mitch Mitchel, warf die Bettdecke beiseite und riss die Schranktür mit einer fahrigen Handbewegung aus den Angeln – der royalblaue Anzug, in dessen Brusttasche noch immer der Journalistenausweis auf ihn wartete, segelte mit ihr in die Kochnische. „Ich sagte, ich will meine Ruhe!“, wollte er ins Grandiofon blaffen, entschied aber dagegen. Es war der Bürgermeister von Grandiopolis, ausgeschlossen, dass dieser Quälgeist jemals von ihm abließ. Also wirbelte er das eigens für ihn entworfene Kommunikationsgerät hoch in die Luft, direkt durch den schmalen Spalt seines Plastikdachfensters, soweit seine telekinetischen Kräfte es erlaubten. Weil er so zornig mit sich und der Welt war, seine geliebte Schreibmaschine vermisste, schleuderte er sein giftgrünes Kostüm gleich hinterher. Wahrscheinlich schlugen die Relikte seiner Superheldenzeit bei den Docks auf, vielleicht fielen sie sogar ins Wasser – Hauptsache weit weg, dachte Mitch Mitchel sich. Sollen sich Megalo-Boy oder Fantastilliardia um die Nöte des vermaledeiten Bürgermeisters kümmern, wetterte er innerlich, er hatte die Nase voll von Capes, Strumpfhosen und albernen Fönfrisuren. „Verdammt sei das Internet!“, brüllte Mitch Mitchel durch die Sardinenbüchse, die nun sein Zuhause sein sollte. „Ein Leben ohne Print? Pha! Da lacht ja sogar der schreckliche Professor Krächzerbunt und sein Gehilfe der fiese Doktor Frisstviel!“ Da, ganz plötzlich begriff Mister Grandiotastic etwas Essenzielles – der Gedanke an Krächzerbunt brachte ihn auf die richtige Fährte. „Wenn du sie nicht schlagen kannst, schließe dich ihnen an“, murmelte er und schoss im Bett gerade auf. „Ich hab’s! Ich schreibe einen Blog!“