„Für fünfzig, bitte.“ Die Frau, nennen wir sie Francesca, war so nervös wie nie, immerhin war das, was sie hier gerade tat, alles andere als legal. Der junge Mann mit dem Kapuzenpulli grinste sie an, ihm war bewusst, wie fremd diese Welt für sie sein musste, in welcher er die Oberhand hatte. Fairerweise müsste der geneigte Beobachter anmerken, dass wohl jeder Ausflug von ihm in ihre Welt mit einem Rauswurf geendet hätte. Die Mittvierzigerin war in einen grauen Trenchcoat gehüllt, der zweifellos doppelt soviel gekostet hatte als sein Auto – die Schuhe fallen in dieselbe Kategorie.
Jazeel, wie der junge Mann mit dem Vorstrafenregister hieß, fasste in die tiefe Tasche des Kapuzenpullis, lehnte sich an die Mauer des schmuddeligen Hauses und nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette. „Klar – lass erst die Knete sehen.“
„Ich habe einen Taser“, murmelte Francesca leise. „Das wollte ich sicherheitshalber erwähnt haben.“
„Was? Du kamst zu mir.“ Er stierte sie entgeistert an, lachte dann trocken, was in dem schmalen Durchgang zwischen den zwei Häusern hallte. „Hey, ich raub‘ dich schon nicht aus! Komm, lass uns das Ding durchziehen, es hat überall Cops und du fällst in diesem Block auf.“
Francesca atmete scharf ein, schien mit sich zu ringen, ehe sie mit Entschlossenheit erwiderte: „Okay.“ Sie zog eine Fünfzig-Dollar-Note aus der Tasche und hielt sie hoch. „Das Geld.“
Jazeel brachte mit einer fließenden Bewegung das Plastiktütchen, in dem Marihuana steckte, zum Vorschein und rief halblaut: „Ta-daa!“
„Das ist niemals fünfzig Dollar wert.“ Francesca deutete mit vorwurfsvollem Blick auf die kleine Drogenmenge. „Ich bin zwar nicht von hier, aber auch nicht von einer verdammten Welpenschule – diese Hündin kann verdammt nochmal beißen!“
Jazeel machte eine überdramatische Gangstergeste, die, kombiniert mit dem urplötzlich doppelt so ausgeprägten Slang, zum Ziel haben musste, seine Straßengangster-Reputation zu verstärken. „Ey, ich hab‘ genug Street Cred, ich brauch‘ die Scheiße nich‘! Das Zeug is‘ verdammt potent.“ Nach einem kurzen Wettstarren gab er klein bei, sei es, weil er Francesca als Alpha-Weibchen akzeptierte oder weil er bei einem Deal keinen Streit vom Zaun brechen wollte: „Okay, ich beweis‘ dir das jetzt.“
„Haaa, du hattest Recht“, lallte Francesca und brach in mädchenhaften Kichern aus. „Das Zeug ist echt stark.“ Sie hatte sich mit ihrem Tweedrock auf eine schmutzige Holzkiste gesetzt, die quer in dem von alten Ziegelsteinen und Abfällen verstellten Durchgang stand. „Echt stark!“
Jazeel gab ein zustimmendes Geräusch von sich. „Ja, ich fliege so hoch, wie ein Drache steigen kann. Ich verkaufe nur Stoff, denn ich auch selbst rauche statt der billigen Scheiße, die das Kartell jedem verticken will.“
„Hm?“ Francesca hörte nur mit halbem Ohr zu, da sie mit einem ihrer Bleistiftabsätze höchst fasziniert eine rostige Coladose über den unebenen Boden schob. Dabei blieb die Dose an einem Grasbüschel hängen, was sie mit einigen deftigen Flüchen kommentierte.
„Und was machst du so?“ Jazeel gestikulierte fahrig in ihre Richtung. „Du passt so ganz und gar nicht hierhin.“
„Mein Sohn ist ausgezogen“, murrte Francesca. „Er hat früher das Gras beschafft, er fiel weniger auf als ich.“ Sie sah gen‘ Himmel, vermutlich folgten ihre Pupillen einer Wolke. „Ich arbeite bei einer Versicherung, ziemlich weit oben in der Nahrungskette. Wenn es in diesem Bezirk einen Millionenschaden gibt, landet das Dossier irgendwann auf meinem Tisch, bevor wir auszahlen.“ Gebannt musterte sie ihre Hände. „Scheiße, hab ich vielleicht Macht! Ich entscheide, wie lange es geht, bis Leute das Geld ausgezahlt erhalten, das sie zum Wiederaufbau ihrer Existenz brauchen.“
„Du bist sowas von high“, grunzte Jazeel, der sich kaum mehr einkriegen konnte.
„Und du so?“, wollte die Versicherungsfrau wissen, ergänzte dann hastig: „Also, nicht wie, du weißt schon, wie high du bist, sondern, du weißt schon, was du machst? Also, beruflich meine ich, natürlich …“
„Du bist sowas von high“, wiederholte der junge Mann wörtlich mangels einer besseren, naheliegenden Antwort. Schließlich rang er sich doch dazu durch, das Offensichtliche zu erklären: „Ich bin Straßendealer, hast du das vergessen?“
„Ah, ja, richtig.“ Für eine Weile saßen die beiden schweigend da, nahmen einige weitere Züge vom Joint. Da dies über spärlichen Unterhaltungswert verfügt, wollen wir es ignorieren und zur letzten interessanten Stelle kommen.
Francesca fasste die zerfransten Haare des Jungen an und rief begeistert: „Wie flauschig die sind … Whoa! Du könntest mein Sohn sein, das Alter passt!“
„Ööh …“, machte der Dealer, der anscheinend weniger stark auf das Marihuana reagierte. „Nicht so wirklich, wir haben nicht mal dieselbe Hautfarbe.“
Eine entschiedene Gebärde Francescas ließ keine Widerrede zu. „Ach, papperlapapp! Ich könnte dich adoptieren, dann könntest du mir immer Stoff besorgen und ich könnte meinen natürlichen Alterungsprozess vergessen, weil ich Mutter spielte. Das wäre lustig.“
„Ich bin zweiundzwanzig“, gab der junge Mann zurück und richtete seinen Kapuzenpulli. Möglicherweise bereute er, ihr am helllichten Tag einen Joint angeboten zu haben, nur, das werden wir nie so genau wissen, weil er es uns wohl kaum erzählen wird. „Echt, ich brauch mehr von dem Zeug, um mit dieser Konversation mithalten zu können.“
„Dann rauch von dem Stoff, schnell!“ Sie deutete auf seinen Kapuzenpulli und sich erkundigte: „Wie viel hast du überhaupt dabei?“
„Eine Menge“, erklärte er stolz und zog einen großen Plastikbeutel hervor. „Siehste?“
„Stehenbleiben, Polizei!“ Die Stimme, die außerhalb unseres Sichtbereichs liegt, brachte Unruhe in die gemütliche Versammlung. Francesca warf laut „Fuckfuckfuck!“ rufend den Joint in einen Gully und rannte durch den schmalen Durchgang auf Stöckelschuhen davon, hinter sich den einen oder anderen Mülleimer umwerfend. Jazeel dagegen hatte weniger Glück, fror entgegnen den Gepflogenheiten eines Dealers ein und hob die Arme über den Kopf.
Der Richter fixiert mich durchdringend, bohrt mit seinen Augen Löcher in mich – gleich werde ich in Flammen aufgehen, zweifellos! Der Staatsanwalt grinst, ermahnt mich trotzdem: „Sir, Sie müssen das Videomaterial der Überwachungskamera nicht derart ausführlich kommentieren, das hier ist nicht der National Geographic Channel oder eine Fernsehserie über Drogenkonsum.“
Ich schaue leicht beschämt weg, mal wieder sind die Pferde mit mir durchgegangen. Aber irgendwann, nach zwanzig Jahren in einem Gerichtssaal aussagen und ebenso vielen schlaflosen, mit Doku-Filmen verplemperten Nächten … Nun ja, Büroarbeit für das Police Department ist niemals so spannend, wie das Fernsehen nahelegt. Der Staatsanwalt unterbricht meine Betrachtungen: „Können Sie den Inhalt des Videos zusammenfassen?“
„Gerne.“ Ich räuspere mich. „Der Angeklagte wurde beim Verkauf sowie dem öffentlichen Konsum von Marihuana aufgezeichnet.“
„Keine weiteren Fragen.“ Damit wendet er ab und ich überlege mir, ob Jazeel wohl auch im Gefängnis gefilmt wird – ich mag eben Dokus. „Kommen wir zu Beweisstück C: Den Drogen, welche der Angeklagte zum Zeitpunkt der Verhaftung auf sich getragen hat.“ Während der Staatsanwalt in den Aktenkisten wühlt, wandelt sich sein Gesichtsausdruck von siegessicher zu unruhig. „Wo ist Beweisstück C?“
Es dauert einige Sekunden, bis ich begreife: Ich habe in der Mittagspause Beweisstück C mit meinem eigenen Stoff verwechselt – dieser Fall wird in Rauch aufgehen.