Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Diese Kurzgeschichte erschien im Rahmen der vierten Clue Writing Challenge.
„Wissen Sie eigentlich, wie gefährlich es ist, sich nicht an die Feuerschutzbestimmungen zu halten?“, blaffte der Inspektor mit hinter dem Rücken verschränkten Händen. Wieso stand der Typ nur so da, fragte sich Biedermann und sah sich hilfesuchend im Büro um. Niemand außer ihm war in der Nähe, um ein Stück des Zorns des feuerpolizeilichen Hünen abzubekommen. „All Ihre Brandmelder sind defekt, aus manchen wurden gar die Batterien entfernt. Was für eine Nachlässigkeit!“
Biedermann, seines Zeichens Abteilungsleiter und damit ein naheliegendes Ziel für das Wüten des Inspektors, musterte roten Kopfes den grauen Spannteppich, der schon bessere Zeiten gesehen hatte. Der Kaffeefleck unter seinem Schreitisch war wirklich hässlich, er hatte …
„Hören Sie mir überhaupt zu?“, empörte sich der Fremde mit der unglaublichen Macht, Feuer zu verhindern. Biedermanns Kopf schoss in eine aufrechte Position, er straffte die Schultern wie ein ertappter Schuljunge. Stammelnd entgegnete er: „Nein … Ich meine, ja. Feuer ist schlecht.“ Spätestens jetzt wäre er am liebsten im Boden versunken, Kaffeefleck hin oder her. Dieser Mann schaffte es, ihn in ein völlig neues Universum der Scham zu transportieren, ohne mit der Wimper zu zucken. Der Inspektor kniff die Lippen zusammen, während er offensichtlich angestrengt nachdachte. „Warum sollte jemand die Batterien aus den Brandmeldern entfernen?“
„Ich habe keine Ahnung“, konterte er trotzig, ehe er ergänzte: „Vielleicht hat sie einer in seinen Taschenrechner gemacht oder in ein anderes Gerät.“ Er war ein Büroangestellter, nicht der Hauswart, also war es ein Leichtes, Unwissenheit über die Brandschutzanlage vorzuschützen.
Der Inspektor gab ein fatalistisches Seufzen von sich, das Biedermann gerne geteilt hätte, da Seufzen eine erholsame und in solchen Situationen entspannende Tätigkeit war. Der Gedanke an seine eigenen Verfehlungen, die ihm diesen Salat beschert hatten, legte eine gesunde Verzweiflung als angemessene Reaktion nahe.
„Und was nun?“
Von seinem amtlichen Block ein Stück gelbes Papier abreißend, das er anschließend Biedermann unter die Nase streckte, erklärte der Inspektor bestimmt: „Sie haben eine Woche, die Beanstandungen zu beheben, dann komme ich wieder. Seine Stimmung wandelte sich innert Sekundenbruchteilen von verärgert zu fröhlich. „So, Zeit fürs Mittagessen, danach kann ich mal sehen, was die Deppen im vierten Stock alles falsch gemacht haben.“
Nach einem überschwänglichen Abschied zottelte der eben erst selbst einer Brandgefahr gleichende Kerl der Feuerpolizei von dannen, einen sichtlich entnervten Biedermann zurücklassend.
„Rudi, du Schwachkopf“, schimpfte Biedermann, als er in die Küche des Büros trat. „Warst du das mit den Batterien?“
Der Angesprochene fuhr hoch, wandte sich hastig um und starrte mit den angstgeweiteten Augen eines Rehs in Biedermanns grimmige Mine. „Batterien? Meinst du die von den Brandmeldern?“
„Natürlich, welche denn sonst?“ Der Abteilungsleiter warf eine Münze in den Kaffeeautomaten und wählte sich anschließend einen starken Espresso. Rudi dagegen nippte an seinem Tee, ehe er in die Defensive überging: „Wieso würde ich so etwas tun? Hältst du mich etwa für so blöd? Außerdem bin ich erst seit einem halben Jahr hier und es ist wohl kaum mein Job, sicherzustellen, dass die feuerpolizeilichen Bestimmungen eingehalten werden.“
„Okay, okay“, brummte Biedermann, unzufrieden mit der Antwort – zu gerne hätte er den Schuldigen gefunden. „Weißt du denn, wessen Job es ist?“
„Öh, ja …“, murmelte Rudi kleinlaut, ohne sich weiter dazu zu äußern, was Biedermann anstachelte, nachzubohren: „Na? Komm, sag schon, dem Kerl möchte ich gehörig die Leviten lesen!“
„Nun ja“, begann Rudi, schluckte, rang sich zu einer Antwort durch. „Es ist dein Job, Boss. Die anderen behaupten, dich ständig daran zu erinnern.“
Biedermann schluckte – konnte es sein, war er derart nachlässig? Natürlich würde das Haus nicht brennen, immerhin war es ein Bürokomplex aus Beton, aber trotzdem schwor er, sich gleich am nächsten Tag endlich um die Brandschutzanlage zu kümmern.
Der Rauch brannte ihn in Hals und Schleimhäuten, das Geflacker der Flammen erschwerte die Orientierung. Biedermann, innig seine Überstunden verfluchend, stolperte durch den Gang in das Großraumbüro, um einen Weg nach draußen zu finden. Seine Anzugschuhe streiften über den grauen Teppich, der bereits an mehreren Stellen zu glühen begonnen hatte – wenigstens beseitigte das auch den Kaffeefleck, dachte sich Biedermann trocken. Wieso hatte er nie auf die unzähligen Warnungen gehört, dass er die Brandmeldeanlage selbst regelmäßig prüfen müsse? Er kannte den Aufbau des Gebäudes nach Jahren auswendig, wusste, wo der Notausgang war – er musste er nur einmal quer durch den großen Raum schaffen, dann wäre er im Treppenhaus, wo er sich kaum verlaufen konnte.
Er zwang sich, ruhig zu bleiben und genau hinzusehen, um sich eine bessere Übersicht zu verschaffen. Er müsste, ganz entgegen seiner Instinkte, an dem Ort vorbeigehen, wo die Flammen am größten waren. „Geh weiter, du schaffst das“, keuchte er sich selbst Mut zu, ehe er von seinem Adrenalinrausch getrieben losrannte. Seine Füße fühlten sich bei jeder Berührung des Bodens warm an, der Rauch quälte seine Atemwege und die Ungewissheit, ob er es schaffen würde, marterte ihn. Ein Schritt, der nächste, immer weiter – er zwang sich, an nichts anderes als seine Bewegungen, sein Ziel zu denken. Da tauchte sie vor ihm auf, die rettende Tür! Er streckte die Hand aus, langte nach der Klinke und schrie gepeinigt auf, als das heiße Metall seine Haut verbrannte.
„Das darf doch nicht wahr sein“, flüsterte Biedermann erschöpft gegen den Drang ankämpfend, sich einfach hinzulegen und aufzugeben – es gab keinen Ausweg. Erst, als er die Stimmen auf der anderen Seite der Tür hören konnte, kehrte die Hoffnung wieder und er schrie, so laut er konnte.
„Was genau meinen Sie damit, dass das Ihre Schuld sei?“, erkundigte sich der Sanitäter, der dem angesengten Biedermann eine Decke um den Oberkörper gelegt hatte. Vor ihnen leckten Flammen aus den Fenstern des Bürohauses und tauchten zusammen mit dem Flackern der Blaulichter alles in ein surreales Farbenspektakel.
„Die Brandmelder“, entgegnete Biedermann wie gelähmt. „Ich habe mich nicht um die Brandmelder gekümmert. Ich wollte es gleich morgen früh tun.“
„Das ist jetzt unwichtig“, ermahnte der Sanitäter, der seit einigen Minuten erfolglos versuchte, Biedermann dazu zu bewegen, in den Krankenwagen zu steigen. „Sie müssen sich wirklich untersuchen lassen.“
Widerwillig gab der Büroangestellte nach und kraxelte in den Wagen. Das Letzte, was er hörte, bevor der Sanitäter die Tür hinter ihm zuschlug, war der Ruf eines Feuerwahrmanns: „Wir haben eine Leiche gefunden.“