Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Diese Kurzgeschichte erschien im Rahmen der dritten Clue Writing Challenge.
Ich habe immer geglaubt, Weihnachten sei etwas Besonderes, ein Fest der Ruhe, des Friedens. Nun ja, zumindest bisher hat mir die Erfahrung Recht gegeben und so verwundert es nicht, dass ich auch dieses Jahr nicht auf eine handfeste Schlacht vorbereitet war – mein bisher schlimmster und vermutlich letzter Fehler. Den Kometen am Himmel zu sehen war keine Überraschung, schließlich wurde sein Erscheinen von Wissenschaftlern vorausgesagt. Aber das, was mit ihm kam, spottete jeder Beschreibung, wir nannten sie „Die Erlöser“. Mit offenen Armen und voller Enthusiasmus wurden die Außerirdischen von uns empfangen, die gesagt haben, dass sie in Frieden kämen. Wieso sie unsere Sprache kannten, erklärten sie uns gar nicht erst, denn kaum wogen wir uns in falscher Sicherheit, haben sie ihre Todesstrahlen benutzt. Es dauerte drei Tage, bis die Lichtblitze nicht mehr im Minutentakt aufleuchteten, unterdessen war wohl ein beachtlicher Teil der Menschheit ausgelöscht worden. Sogar ein Schaf habe ich im Fernsehen explodieren sehen, Määh-Kawumm-und-weg!
Doch ihr Vormarsch wird ein Ende finden, und zwar heute, genau hier, in meinem Wohnblock. Es gibt einige Dinge, die ich mir nicht bieten lassen muss und eine Alien-Invasion an den Festtagen gehört zweifelsohne dazu!
Meine nackten Fußsohlen machen kaum ein Geräusch auf dem abgenutzten, grauen Teppichboden, mit dem die Gänge in dem alternden Backsteingebäude zugekleistert waren. Eigentlich wollte ich mir nur frisches Deo-Spray aus der Nachbarwohnung holen – eigentlich, denn jetzt haben die Biester auch noch Bodentruppen entsandt. In meinem gepunkteten Pyjama schleiche ich mich durchs frühmorgendliche Halbdunkel, meine Waffe im Anschlag. Wieso ich im Schlafanzug bin, fragt ihr euch? Na, ganz einfach, wer macht sich denn schon die Mühe, sich zur Apokalypse badass anzuziehen? Ich wohne hier mit meiner Partnerin, in der Dreizimmerwohnung auf der Südseite des zwölften Stocks, und ich gehe nicht weg, Punktum und Schluss. Noch zwei Schritte bis zur nächsten Biegung im Gang, ich kann bereits ein Flattern hören. Bis gestern hatte ich mich damit abgefunden, hier zu sterben, durch meine Agoraphobie von der Flucht nach draußen abgehalten. Dann, als ich das erste von den engelsgleichen Alien-Viechern zu Hackfleisch verarbeitete, wurde mir klar, dass sie eine beachtliche Schwäche aufweisen. Noch ein Schritt, ich halte die Luft an – es muss mich ja nicht kommen hören. Ich hebe meine Waffe, mache einen Sprung in die Wegbiegung, drücke auf den Auslöser und verfehle es um wenige Zentimeter. Au Backe, was für eine Kacke! Wild mit den Flügeln fuchtelnd kommt es auf mich zu und hebt die Strahlenkanone. Es hält mich anscheinend nicht für eine Gefahr, nimmt sich Zeit, noch bleibt mir eine Chance. Ich drücke erneut ab, das Viech macht ein Geräusch, das an einen erdrosselten Specht erinnert und fällt zu Boden. Willkommen im Ghetto, Arschloch!
Vorsichtig stoße ich die Tür zu meinem Apartment auf, die natürlich ein lautes Knarren von sich geben muss. „Na, hast du einen erwischt?“ Meine Freundin sitzt auf der Fensterbank und schaut träumerisch aus dem Fenster. Die Morgendämmerung taucht die unbeleuchtete Stadt in ein nebliges Orange, weit über allem schwebt ein Ufo – malerisch, dieser Weltuntergang. Ein erster Sonnenstrahl lässt ihre blonden Haare funkeln, als ich hinter mir abschließe und das Deodorant achtlos auf die Couch werfe. „Sieben Stück“, entgegne ich, als ich es mir neben ihr bequem mache. Das marode Holz der Fensterbank knarrt unter unserem vereinten Gewicht, hält jedoch. Schweigsam beobachten wir wie der Wintertag heraufdämmert. Schließlich unterbreche ich die Stille: „Haben wir noch viele Teelichter? Ich braue mal einen Kaffee.“
„Hundert oder so“, meint sie schulterzuckend und springt auf. „Passt schon, ich mach das. Du kannst so lange basteln.“
„Was basteln?“, will ich wissen. Zur Antwort wirft sie mir eine Paketröhre zu, die ich gerade noch auffangen kann. „Irgendwas, das Ka-Bumm geht. Hab ich unterm Bett gefunden.“
Manchmal muss ich sie einfach für ihre Genialität, ihren Pragmatismus und ihre trockenen Kommentare genießen. „Willst du noch eine Gewürznelke im Kaffee?“, reißt sie mich aus meinen Gedanken, ich verziehe angewidert das Gesicht. Okay, sogar ihren offensichtlichen Mangel an Geschmacksknospen finde ich unglaublich! Muss wahre Liebe sein.
Während sie die letzte Hunderterpackung Ikea-Teelichter aufmacht (ist die erst alle, müssen wir andere Apartments plündern) und ein paar unter der Kaffeekanne anzündet, nehme ich die Deo-Spraydose zur Hand, schiebe sie vorsichtig in das Rohr – passte perfekt, mein Raketenwerfer ist fertig. Hätten wir von Anfang an gewusst, dass die Erlöser auf die feinsten Spuren von Deodorant dermaßen allergisch reagieren und sogleich tot umfallen, hätten wir sie besiegt, bevor sie den Großteil der Menschheit ausgerottet hatten. Na, immerhin gab es jetzt unglaublich viel Munition in den verwaisten Apartments.
„Willst du das wirklich machen?“, fragt sie, legt mir einen Arm um die Taille, mustert prüfend das Ufo, das stetig tiefer heruntersinkt. „Na ja, es sieht nach organischer Technologie aus. Wahrscheinlich wird sie auch auf das Deodorant reagieren.“
„Aber absolut, es recht mir! Das hier ist unser Block, es ist inakzeptabel, dass sie den desintegrieren!“ Ich schäume beinahe, als ich das Fenster aufmache und dem Ufo den Stinkefinger zeigend zurufe: „Holt mich, wenn ihr könnt, Drecksäcke!“
Tatsächlich, das Flugobjekt senkt sich rasch tiefer, anscheinend wollen sie nicht mit Todesstrahlen schießen, wenn ihre eigenen Leute noch in der Nähe sind. Meine Freundin schmiegt sich näher an mich, zündet eine Zigarette an und bläst den Rauch aus dem Fenster. Noch ein paar Sekunden … Sie umfasst die Ahle, während ich das Paketrohr in den richtigen Abschusswinkel bringe. Das Ufo ist nun höchstens noch ein Stockwerk über uns, eigentlich ein kleines Ding, wenn man bedenkt, wie viele Invasoren darin Platz finden. Stapeln die ihre Aliens etwa übers Kreuz oder was?
Sie rammt die Ahle in die Deodorantdose und zündet in derselben Bewegung das austretende Deo an. Mit einem „Fump“-Geräusch fliegt die Dose ab, prallt an die fliegende Untertasse und explodiert – mit überwältigendem Erfolg. Ein Loch wird in die Außenhülle gerissen, das Schiff fängt Feuer, panische Alien-Schreie sind zu vernehmen, während das Ufo rasch ansteigend versucht zu entkommen. Bevor es außer Sichtweite gelangt, kann ich beobachten, wie immer mehr von dem organischen Gewebe abstirbt und der Brand sich ausbreitet. Endlich geht es in Flammen auf, bricht auseinander und brennende Erlöser stürzen am Horizont auf die Erde nieder wie unzählige kleine Sternschnuppen. „Das ist sooo romantisch“, flüstert sie, unterdessen entfaltete sich vor uns ein wundervolles Bild. „Richtig weihnächtlich, wie tausende Lichter.“
Ein brodelndes Geräusch hinter mir reißt uns aus unserer Bewunderung. Der Kaffee ist fertig und der vierte Tag nach dem Untergang der Zivilisation beginnt vielversprechend.
Verwuenschtes Mobiltelefon. Wollte alle Sterne als Wertung geben und Hab nur 3 erwischt.
Hehe, kein Problem, kannst nochmals anklicken, dann passt es ;)