Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Eigentlich bin ich ein Katzenmensch, Hunde finde ich aber auch unterhaltsam. Trotzdem befand ich das Ausbildungszentrum für Therapiehunde, dessen Gelände ich vor kurzem betreten hatte, für denkbar langweilig, insbesondere weil alle Hunde sehr folgsam waren. Da war niemand, dessen Frustrationstoleranz auf die Probe gestellt wurde oder der über eine Leine stolperte. Das normale Leben war gerade bestenfalls doppelt so langweilig wie Reality-TV, und das wollte etwas heißen. Ich ließ mich auf einer Bank nieder, deren Beine sicherlich von unzähligen Therapiehunden in ihrer Pinkelpause besucht wurde, und streckte mich.
Ich fuhr zusammen, als ein Fremder sich neben mich plumpsen ließ, sodass die Holzlatten sich bogen.
„Tagchen“, lachte der Kerl in Jeansjacke, blinzelte in die Sonne und zündete sich eine Kippe an. „Schön heute.“
„M-hm“, bejahte ich, in der Erwartung, er ließe mich möglichst rasch in Ruhe auf meine Verlobte warten. Leider irrte ich mich. Das musste einer von der Sorte Quatschköpfe sein, die schlichtweg jeden zutexteten. Lässig gestikulierte er auf die entfernten Hunde. „Schöne Tiere, was? Da wünscht man sich beinahe, man wäre auch son Typ, der einen Therapiehund braucht.“
„Hm.“ Ich versuchte den Kerl mit einsilbigen Antworten dazu zu bewegen, mich in Frieden zu lassen. Stattdessen zeigte er auf meinen rechten Hemdsärmel. „Bist ‘n Anzugsheini, was? Rädchen im Getriebe mit langer Signatur unter jeder Mail, damit alle wissen, wie wichtig du bist?“
Halbherzig entschied ich mich dazu, mich auf das Geplänkel einzulassen, ich hatte sowieso nichts Besseres zu tun. „Ja, sowas in der Art“, meinte ich grienend. „Du?“
„Ich habe etwas viel wichtigeres als Geld“, betonte er mit der Weisheit eines Straßenpredigers und senkte verschwörerisch die Stimme. „Ich kenne die Wahrheit.“
„Und was ist die Wahrheit?“, erkundigte ich mich. Vielleicht wurde das Gespräch spaßig – schlimmer als der Holocaust-Lügner im Speisewagen von letzter Woche konnte er wohl kaum sein. Ich vergaß meinen Wunsch, in Frieden gelassen zu werden und fühlte mich angespornt, ihn zu veräppeln.
„Hunde“, brummte er, just in dem Moment, als eine Hundetrainerin einen Labrador mit lautstarker Begeisterung lobte.
Ich konnte ihm da durchaus zustimmen: „Ja, Hunde existieren.“
„Lach du nur, mit den Hunden fängt alles an!“, zischte er theatralisch. „Denen werden schon heute Chips implantiert, weißt du?“
Schade, dachte ich mir, dieser Verschwörungstheoretiker war keiner von der kreativen Sorte, das machte die Sache zwar simpler, allerdings ebenso weniger herausfordernd. Ich nickte brav, um ihn zum Weiterreden anzuspornen und bald war er nicht zu bremsen. „Die Dinger sind kleiner als eine Linealziffer, die kann man gar nicht mehr messen! Mikroelektronik, Mann, sie ist überall, kontrolliert unsere Hunde, Katzen, Küchengeräte, Kinder …“
„Bist du dir sicher, dass es bloß die Kinder sind?“, wollte ich mit einem süffisanten Lächeln wissen.
Das Gesicht meines Gegenübers nahm einen leichten Rotton an, der hervorragend zu den Wiesenblumen passte. „Hör auf dich über mich lustig zu machen, du Yuppie-Arsch!“
„Das tue ich doch gar nicht“, erkläre ich ihm todernst. „Ich habe solche Chips in einem menschlichen Augapfel gesehen, in fünf Jahren können wir sie direkt ins Gehirn einpflanzen um Verhalten zu modifizieren.“
„Halt mal … Wenn du ‚wir‘ sagst, meinst du die Menschheit als Ganzes, oder?“
„Klar. Und natürlich uns.“ Ich zuckte bedeutungsvoll mit den Schultern, kramte ein Zigarettenetui aus meinem Jackett und zündete mir unter dem wachsamen Blick des Verschwörungstheoretikers eine Kippe an. Schließlich, nachdem ich das Etui wieder verstaut hatte, nahm ich die Sonnenbrille hervor und setzte sie auf. Der Heuschnupfen plagte mich und ich glaubte, es sei eine gute Idee, meine gereizten Augen zu schützen. Damit wie einer der Men in Black auszusehen, war ein praktischer Nebeneffekt.
Mein Banknachbar musterte mich übermäßig skeptisch und es dauerte eine geschlagene Minute, bis er vorsichtig fragte: „Was weißt du über das Chip-Programm?“
„Nicht so viel wie andere“, berichtete ich wahrheitsgetreu. „Alles, was halt offensichtlich ist: Überwachung, Verhaltensmodifikation, Gedankenkontrolle …“ Ich unterbrach mich, da mich mein Laster zum Husten brachte und nutzte die so entstandene Pause, um Dramatik aufzubauen. Genüsslich nahm ich einen weiteren Zug vom Sargnagel und beobachtete den zufrieden schwänzelnden Labrador, der weiterhin tat, was die Hundetrainerin ihm befahl. „Stell dir vor, wie effizient das sein wird“, fuhr ich auf die Szene vor uns zeigend, fort. „Es gibt bereits Handyprogramme, die es einem erlauben, die Versuchspers…, ich meine, den Hund via Bluetooth zu steuern. Echt, die Welt ist ein viel besserer Ort mit Bluetooth.“
Nun wurde es dem Verschwörungsheini langsam ungemütlich, seine Körpersprache war eindeutig – Defensiv verschränkte Arme, angespannte Muskeln, verkniffene Lippen. „Das ist krank, Mann. Bitte sag, du willst mich verscheißern?!“
„Nein“, gab ich ungerührt zurück und zog mein Smartphone aus der Tasche. „Spielt so oder so keine Rolle, du wirst dich dank Bluetooth an nichts erinnern.“
Eilig sprang er auf, rannte außer Bluetooth-Reichweite, bevor es mir gelang mein Handy zu entsperren. Kurz darauf verschwand er endgültig zwischen den Bäumen eines nahen Wäldchens. Ich summte die ‚X-Files‘-Melodie, lehnte mich mit einem selbstgefälligen Grinsen zurück und genoss die Sonnenstrahlen, die meine Nase kitzelten. Grillen zirpten, weiter weg rief jemand „Gib Laut!“ und der Labrador bellte – eine wahre Idylle. Erst nach einer Weile, in der ich die Stimmung und meine neugewonnene Ruhe auskostete, vibrierte das Handy und ich las die Nachricht, welche mir meine Verlobte geschickt hatte: „Bin auf dem Weg.“
In der Tat kam sie sogleich dahergeschlendert und winkte mir fröhlich zu. Ich erhob mich, machte einige Schritte auf sie zu und umarmte sie. „Na, wie war dein Tag, Schatz?“
„Gut, danke. Wir haben einen neuen Hund, er lernt sehr schnell – ich mag ihn. Deiner?“
„Das Übliche“, flötete ich in Vorfreude auf den gemütlichen Abend zuhause. Ihr war offenbar meine Sonnenbrille aufgefallen, denn sie wollte beiläufig wissen: „Na, hast du heut Morgen wieder mal vergessen dein Antihistamin zu nehmen?“
„Ja“, gab ich zu, fügte aber feixend hinzu: „Und ich bin ein Regierungsagent, der Gedankenkontrolle beherrscht.“
Sie stutzte, starrte mich verwirrt an, ehe sie in Gelächter ausbrach. „Du hast Ferdinand kennengelernt? Der ist regelmäßig hier und spinnt seine verrückten Theorien, hat mich schon mehr als einmal in der Pause zugetextet.“
„Ja, das muss wohl dein Ferdinand gewesen sein. Der kann ziemlich flink rennen.“
Ihre Augen weiteten sich. „Was um Himmels willen hast du ihm denn erzählt?“
„Na was wohl? Die Wahrheit“, flüsterte ich gespielt ernst. Sie boxte mich auf die Schulter und gluckste: „Okay, okay, wenn du es nicht sagen willst … Ich hoffe einfach, er ist bereit für“, sie veränderte den Tonfall und wisperte bedrohlich, „die Wahrheit!“
„Vermutlich, sind ja keine Chemtrails oder sowas, er wird lediglich Leuten im Anzug mit Bluetooth-Handys fernbleiben.“
Kichernd schlenderte sie neben mir her in Richtung des Parkplatzes. „Du bist so gemein, Schatz. Echt jetzt, der hätte einen Herzanfall kriegen können.“
Ich murmelte unverständlich, da ich damit beschäftigt war, nach meinem Autoschlüssel zu nesteln. Sie hatte sich derweil von ihrem Amüsement erholt und schlug vor: „Ist Rosenkohl-Auflauf okay zum Abendessen?“
Verstohlen entsperrte ich mit der freien Hand mein Smartphone und tippte in einer App, die kaum jemand besass, ein Symbol an. Sie schüttelte plötzlich vehement den Kopf. „Nee, ich mag ja gar keinen Rosenkohl – wie wäre es mit Steak und Salat?“
Die Welt ist ein viel besserer Ort mit Bluetooth.