Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Jede Zugstrecke meiner Heimat abfahren
Jede Hauptstadt Europas bereisen ✓
Eine Weile in Schottland leben ✓
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Sie stand nicht auf Leons Liste. Es stand überhaupt keine Sie auf der Liste, genauso wenig ein Er, Kinder sowieso nicht. Sein Leben gehörte ihm, ihm allein. Er wollte das so, hatte nie etwas anderes geplant, selbst als Jungspund keinerlei Wünsche gehabt, die er nicht im Alleingang hätte verwirklichen können. Trotzdem saß er jetzt hier auf einem moosbedeckten Stein, knappe dreißig Meter von seinem Apartment entfernt, und fühlte sich einsam, schlimmer noch, abgewiesen. Zum ersten Mal.
Mit klammen Fingern tastete er in seiner Jeanstasche nach dem Handy. Sie hatte in den letzten zwanzig Minuten dreimal versucht ihn zu erreichen. Typisch. Nie konnte sie lockerlassen, egal um was es ging, sie besaß die Dickköpfigkeit eines uralten Maultiers. Nein, dieser Vergleich erschien Leon nicht ganz passend. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, agierte sie mit der unerbittlichen Unnachgiebigkeit eines trainierten Kampfhundes, der das Kommando zum Loslassen vergessen hatte. Sie wäre eine effiziente Waffe im Kampf gegen den Kokainhandel im Quartier. Schnaubend steckte er das Gerät zurück in die Tasche und starrte in den tristen Himmel.
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Ob sich wohl viele Leute am Valentinstag streiten, überlegte er und nickte seine eigene Frage entschlossen ab. Bestimmt. Der Tag der Blumenhändler und heimlich trauenden Priester war geradezu prädestiniert für Beziehungskrisen. Es war so, als würde dieses Datum jeden einzelnen Fehltritt, egal wie klein er sein mochte, mit dem Scheinwerfer ausleuchten. Der Kontrast war schuld. Die Aufmerksamkeit der Menschen wurde durch plumpes Marketing auf die Liebe gerichtet und unter dem rosarot verklärten Schleier stach das Grün der Eifersucht deutlicher hervor. Leon ging es ebenso, bloß zeigte er es nicht, behielt diese Unsicherheit für sich.
Wieder kramte er das Handy hervor, stellte zufrieden fest, dass die Anzahl der verpassten Anrufe nicht gestiegen war. Keine neue Nachricht. Endlich etwas Ruhe, vielleicht lernte sie dazu. Sie war anders, wenn es um Eifersucht ging. Sehr anders sogar, in fast jeder Hinsicht. Irgendetwas war in ihrer Erziehung wohl schiefgelaufen, denn sie schien keinen Filter zu haben, sagte stets genau das, was sie gerade dachte. Keine Rücksicht auf Verluste, auf Gefühle, seinen Stolz, nur die nackten Tatsachen, die sie derweil ausspie wie ein explodierender Heizkessel. Allerdings sah sie die Dinge oft anders, die Wahrheit war also meistens ihre eigene, entsprach ihrer persönlichen Logik, entsprang ihrer Perspektive, selten seiner.
Das beste Sandkuchenrezept der Welt (er-)finden
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In Madagaskar einen freilebenden Eulenpapagei berühren
Ein Vogel krächzte heiser. Der Winter war noch nicht verflogen, der Schnee hingegen schon länger. Bald hätte sie all ihre Sachen zusammengepackt und er könnte zurück in seine Wohnung. Sein Reich, in dem niemand residierte außer ihm. Sie hatte ohnehin kaum Sachen bei ihm, einen Pyjama, einige Games und die Konsole, das war’s. Leon freute sich darauf. Gleichzeitig grauste es ihm davor. Niemals zuvor hatte er einen solchen Streit erlebt, geschweige denn solche Vorwürfe gehört. Unerhört! Es stimmte zwar, sein Verhalten mochte wenig lupenrein gewesen sein, sinnierte er, seine eigene Starrsinnigkeit kurz übersehend. Dennoch ging es sie nichts an, schließlich war dieses von Sturheit zerfressene Geschöpf nicht einmal seine Freundin, lediglich eine gute Freundin.
Das Handy surrte. Ein böses Grinsen machte sich auf Leons Gesicht breit, es verschwand jedoch sofort wieder. Es war seine Mutter, nicht sie. Die Mutter stand auf seiner Liste, sie hatte darauf keinen Platz, obwohl sie ihn bestimmt gerne eingenommen hätte, wenn nötig mit purer Hartnäckigkeit. Dieses Biest. Zumindest war es bis zum letzten Valentinstag so gewesen, denn nun war alles anders. Wegen ihm. Wegen dem, was er getan hatte.
Etwas Bedeutendes zu meinem Forschungsfeld beitragen
Mutter einen schönen Lebensabend schenken
Papa den Unterschied zwischen dem Nukleus, Protonen, Neuronen und Neutronen beibringen
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Leon wurde nervös. Weshalb, war ihm nicht so richtig klar, wahrscheinlich war es der wiederkehrende Ärger über ihren Ausraster, vermutete er. Er entschloss, dass Ablenkung die Unruhe besänftigen würde, also tippte er auf den Touchscreen, auf der Suche nach dem einzigen Menschen, den er heute ertragen konnte. Achmed war seit ihrer gemeinsamen Kindheit Leons bester Freund, er hatte ihn trotz eines sehr anderen Lebensweges nicht aus den Augen verloren. Während Achmed in die Berufsschule gegangen und Postangestellter geworden war, hatte er sich mit größter Anstrengung durchs Studium gekämpft. Er war der aufstrebende Akademiker, Achmed gleichwohl der Klügere. Es klingelte.
„Na, hat sie sich beruhigt?“, erkundigte sich der andere direkt.
„Sie räumt ihre Sachen zusammen“, stellte Leon fest, ohne es wahrzuhaben. „Das war’s dann wohl.“
„Ach, die kriegt sich wieder ein. Gib ihr etwas Zeit.“ Nein, alle Zeit der Welt konnte es nicht ungeschehen machen. „Die kommt sicher gleich zurückgetingelt.“ Bisher hatte sie das immer getan, postwendend, ohne Wartezeit, meist noch während dem Streit. Sie war wie ein beharrlicher Bumerang, einer mit Kerosin-Antrieb. Auch jetzt?
Eine bedeutende Freundschaft pflegen ✓
Ein eigenes Lied auf der Gitarre komponieren und es jemandem vorspielen
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Der Vogel krächzte erneut, etwas munterer als zuvor. Das Grau des Himmels spiegelte seine Stimmung. Absichtlich? Achmed war keine große Hilfe gewesen, hatte seine Schuldgefühle bestätigt. Er nahm sie für selbstverständlich, war der Meinung, sie ginge nie. Leon brauchte seinen Freund nicht, mochte nicht über den Valentinstag sprechen, nicht jetzt. Ausgeschlossen. Es ging genauso gut ohne ihn, immerhin konnte er beinahe alles alleine. Sie war da kaum anders, dennoch zog sie seine Gesellschaft vor. Wieso? Weshalb nur wollte sie auf seiner Liste stehen, zu seinem Leben gehören?
Ein Blick auf das Handy verriet ihm nichts. Gar nichts. Die Nervosität wuchs für wenige Sekunden zur Panik, wich dann einer leeren Empfindung, Enttäuschung. Hatte sie aufgegeben? „Es ist vorbei“, murmelte Leon, „Einfach nur vorbei.“ Er wartete. Wartete etwas länger, bis die Kälte durch seine dicke Winterkleidung kroch, doch die erhoffte Erleichterung, diese asymmetrische Freundschaft endlich hinter sich lassen zu können, kam nicht. Widerwillig schlug Leon seine Fäuste auf die Knie, erhob sich und blieb eine Weile an Ort und Stelle stehen. Er konnte nicht zu ihr, wollte noch weniger schon wieder nachgeben, sondern an seiner eigenen Perspektive festhalten. Es gab ohnehin keinen Weg zurück, zu viel war geschehen. War es das wert, fragte er sich, war es das, was er wollte? Ein Seufzen durchbrach den Nebel, rasch öffnete er seine Liste, starrte auf das Display und fasste innerlich fluchend einen Entschluss.
Über meinen Schatten springen
Mich für etwas entschuldigen, das nicht grundsätzlich falsch war
Verantwortung für mein Handeln übernehmen
Die Bedürfnisse eines anderen über meine stellen
Sie!