Es gibt nur etwas, das noch nervtötender ist, als eine halbe Ewigkeit auf ein- und demselben Flecken Asphalt stehenzubleiben und dabei einem gelangweilten Lastwagenfahrer beim Nasebohren zuzusehen: Ebendiesem haarigen Herrn beim Nasebohren zuzusehen, währendem man alle fünf Sekunden zwanzig Zentimeter vorwärts rollt, nur um dann gleich wieder an den Bremslichtern des Vordermanns zu kleben. Wenn es so etwas wie einen Verkehrsgott, einen allmächtigen Blechlawinenlenker, gibt, der es verhindert, dass die vierundachzigtausend Vollidioten, die zur selben Zeit über die verdammte Autobahnbrücke fahren wollen, das Reißverschlusssystem anwenden, dann gibt es keinen Mittelfinger, der groß genug wäre, um ihm meinen Unmut über seine Organisationsfähigkeit auszudrücken. Aber egal, ich schalte lieber das Radio ein, bevor ich mich noch künstlich aufrege.
„Dad?“, fragte meinen Sprössling, dem man anhört, dass er demnächst die Freuden des Stimmbruchs erleben wird. „Ist es ok, wenn ich ab nächstem Semester in den Hockey-Club gehe?“ Ich nicke etwas abwesend und erwische mich bei der beunruhigenden Rechenaufgabe, wie viel man an Baukosten sparen könnte, wenn man keine Armierungseisen in Brücken einbauen würde; meine aktuelle Schätzung beläuft sich auf 4.2 Milliarden Dollar und sie dürfte auch recht präzise sein, wenn man wüsste auf welche Brücke oder Brücken sie sich bezieht, aber so sehr interessiert mich das Ganze dann auch wieder nicht.
„Wenn dein Taschengeld für die Ausrüstung reicht, von mir aus“, antworte ich schließlich etwas ausführlicher, einerseits weil mein Sohnemann mein Nicken vorhin absichtlich überhört und mich nochmal mit genau derselben Frage genervt hat und andererseits, weil ich klarstellen will, dass ich ganz sicher nicht für Schuhe mit aufgeschraubten Küchenmessern aufkommen werde. „Ok, cool.“
Nach den nächsten zwanzig Zentimetern, auf denen eine aerodynamische Schnecke meinen viel zu teuren und unsinnigen Wagen, mit dem ich mich selbst zum Geburtstag beschenkt hatte, hätte überholen können, wage ich einen weiteren Blick aus dem Beifahrerfenster. So groß und knollig wie die Nase des bierbäuchigen Fahrers im Profil aussah, wird er darin bestimmt auf einen Goldschatz stoßen, oder aber Gefahr laufen, dass sein Finger von einem Hydra-Monster mit einer Käseraffel als Gebiss gefressen wird.
„Moment“, unterbreche ich meinen absurden Gedankengang und schaue den Rotzlöffel im Gamma Ray T-Shirt verdutzt an. „Du willst Hockey spielen? Wie kommt das denn?“
„Naja, weißt du Dad“, beginnt er so wie er es immer tut, wenn er eine dumme Erklärung sachte einleiten will, so als könnte er mich über die Blödheit seiner Idee hinwegtäuschen, indem er mich zum Mitwisser macht. „Die anderen Jungs in meiner Klasse spielen schon lange und deshalb dachte ich, ich könnte es vielleicht auch mal ausprobieren.“ Ich brauche meine Augen nicht vom kotzgrünen Streugutbehälter und der lächerlich dünnen Schnur, mit der er auf dem Pickup vor mir befestigt worden war, abzuwenden um zu wissen, dass ich von der Seite mit einem Zahnspangengrinsen bedacht werde.
„So, so“, hole ich im väterlichsten Tonfall, den ich nur mit großer Mühe und Selbstbeherrschung aufbringen kann, aus ohne sofort loszulachen und trommle dabei zur Inspector Gadget Titelmelodie, die mir seit Tagen nicht aus dem Kopf will, auf dem Lenkrad rum. Ich warte weitere zwanzig Zentimeter Asphalt ab, bevor ich fortfahre, denn wer weiß, vielleicht hat das Genie von selbst einen Geistesblitz und realisiert, wie unglaublich dämlich seine Begründung ist. Die Bremslichter leuchten auf und ich seufze ein klein Wenig zu theatralisch, so als wäre gerade eben eine leichtbekleidete Schauspielerin in den Keller gerannt, um nachzusehen woher das gruselige Geräusch kommt, oder als ob jemand sein Quietschentchen mit einem Gremlin ersetzen wollte.
„Du willst also Hockey spielen, weil die anderen das tun. Habe ich das richtig verstanden?“ Selbstverständlich hatte ich das, denn einen anderen Grund für dieses groteske Vorhaben kann ich mir schlicht und einfach nicht vorstellen. Es ist ja nicht so, als wäre mein Zögling zum ersten Mal auf eine äußerst fragwürdige Idee gestoßen und nach dem zu urteilen, was ich im Kästchen auf seinem Bücherregal gefunden hatte, als ich mein iPad gesucht hatte, würde ich mich darauf einstellen müssen, mich in Zukunft mit seltsamen Vorlieben herumzuschlagen. Ich kann mir ja vieles vorstellen, Nasenmonster mit eingeschlossen, doch dass sich mein Sohn tatsächlich für so etwas wie Eishockey begeistern kann, gehört definitiv nicht dazu.
„Naja, weißt du Dad, ich glaube die anderen halten mich für seltsam.“ Eine Weile bin ich mir nicht ganz sicher, ob mir ob dieser so überaus traurig vorgetragenen Teenagersorge das Herz brechen soll, oder ob ich lauthals loslachen will. Ich entscheide mich weder für das eine noch für das andere, sondern grunze nur verständnisvoll und fahre fünf Zentimeter weiter, obwohl mein Vordermann sich seit über dreißig Sekunden nicht bewegt hat.
„Alle denken ich sei ein Streber und halten mich für einen total uncoolen Nerd.“ Nun endlich von der Notwendigkeit zum Handeln überzeugt, bricht mein Herz und bestraft mich mit einem ordentlichen Stich auch noch dafür, dass ich vorhin auch nur an einen fiesen Lacher gedacht habe. Ich würde ihm ja gerne sagen, dass er nichts zu befürchten hat, aber ich glaube mittlerweile ist er alt genug, um solche Lügen sofort zu durchschauen, also beiße ich mir beherzt auf die Innenseite meiner Wange, in der Hoffnung, das würde meinen Verstand kurzerhand ankurbeln. Es bedarf dreier Bisse, bis meine Gehirnwindungen aus ihrem Stauschlaf aufwachen und ich endlich weiß, was ich sagen soll.
„Aber du bist doch ein Streber“, verkünde ich ruhig und warte etwas zu lange, bis ich meinen Aufmunterungsversuch zu Ende führe, so dass mein Nachwuchs kurze Zeit noch niedergeschlagener aus dem Fenster starrt. „Und das ist wunderbar!“ Der verdutzte Ausdruck in seinem von langem Spagettihaar eingerahmten Gesicht ist absolut goldig, denke ich mit etwas irregeleiteter Freude, die eher zum Vater eines Neugeborenen passen würde. Dass ich einen Teenager neben mir sitzen habe, wird mir aber sofort wieder klar, als sich die anfängliche Verwunderung in eine mürrische Schnute verwandelt. „Ach Dad, du hast keine Ahnung von was ich rede.“
„Naja, weißt du Sohn“, hole ich unwillkürlich aus und würde am liebsten einen Hektoliter Pestizid in meinen Gehörgang träufeln, als ich den seltendämlichen Anfangssatz meines Zöglings erkenne. „Ähm, hör zu!“ Ja, das ist besser, lobe ich mich selbst, bevor ich fortfahre: „Im Moment mag es dir so vorkommen, als wär es uncool ein Nerd zu sein, der mit vierzehn Jahren noch mit Legos spielt, gerne diese komischen Comics liest und mehr ausgemusterte Computerteile als Pornohefte in seinem Zimmer liegen hat, aber…“ Aus dem Augenwinkel kann ich sehen, dass der Gute knallrot angelaufen ist, vermutlich weil ich die Hefte erwähnt habe, also räuspere ich mich mindestens genauso peinlich berührt und verfluche ein weiteres Mal die Inspector Gadget Melodie, die in dieser Situation nun wirklich völlig unpassend ist. „Weißt du überhaupt was wirklich cool ist?“ Er schüttelt seinen hängenden Kopf und trägt seine steinharte „Ich bin ein Teenager und was du sagst stimmt sowieso nicht, du alter Sack“-Mine, doch ich glaube hinter seinen fransigen Zotteln ein wenig Neugier, vielleicht sogar so etwas wie ein plötzlicher Anfall von Aufgeschlossenheit für Weisheit zu entdecken, also verschwende ich keine Sekunde.
„Also, wenn es dir so wichtig ist, cool zu sein, solltest du wenigstens wissen, was überhaupt cool ist“, posaune ich im Brustton der Überzeugung hinaus, schlage auf das Lenkrad und hupe versehentlich, was ich natürlich mit Leichtigkeit übergehe, als wäre es nicht passiert. „Wenn du in einer Klasse voller Hockeyspieler Enthusiasmus für Monty Phyton, Linux und die Abendnachrichten zeigst und dich nicht hinter etwas versteckst, dann bist du verdammt nochmal cool, cooler als jeder andere, der seine Liebe zu Science-Fiction-Filmen mit eingeklemmtem Schwanz hinter einer verfluchten Hockeymaske versteckt. Cool ist, wenn man zu dem was man mag steht, ohne Kompromisse und ohne sich dafür zu schämen.“
„Dad“, höre ich meinen Sprössling neben mir sagen, ohne sicher zu sein ob das leichte Flackern in seiner Stimme ein unterdrücktes Lachen oder Weinen ist. „Du bist so seltsam. Und verdammt cool!“