Dario saß auf dem Grat des Ziegeldachs, seine Füße hatte er auf der Südseite abgestellt, während er genüsslich die Frühlingssonne genoss und ab und an einen herzhaften Bissen von seinem Wurstbrot nahm. Fred, sein Lehrling, hatte sich an einer der wenigen Stellen, an denen noch nicht allzu viel Moos auf den alten Ziegeln wuchs, ausgestreckt, die Augen geschlossen und schien vor sich hin zu träumen. Nachdenklich betrachtete Dario den jungen Mann und fragte sich, ob er in seiner Jugend auch so gelassen und unbesorgt gewirkt hatte, bevor er sich wieder seinem Lunch widmete. Das laute Aufheulen einer Kreissäge, das aus der Gegend des Grasteppichs vor dem Haus zu kommen schien, riss ihn abrupt aus seinen Gedanken und ließ Fred aus seinem Nickerchen hochfahren. Ohne zu überlegen rupfte Fred einen ziemlich großen Moosbrocken vom Dach und warf ihn über die Kante in die Richtung des Lärms, bevor er rief: „Wir machen hier Mittagspause, ihr Barbaren!“
Dario konnte nicht mehr an sich halten und brach in Gelächter aus, während unten der nervtötende Lärm wieder verstummte. Schließlich brachte er zwischen zwei Lachsalven hervor: „Bin ich froh, hast du keinen Ziegel genommen.“
„Ups, ‘tschuldigung“, murmelte Fred etwas beschämt, man konnte ihm ansehen, dass er leicht rot geworden war. Natürlich hatte sich Dario auch schon den einen oder anderen Scherz mit seinem Lehrling erlaubt, wie es wohl jeder Meister der alten Schule tat, doch für die besten Lacher sorgte der junge Mann noch immer selbst. Mit einem zufriedenen Seufzer und einem letzten müden Glucksen wandte er sich wieder seinem Sandwich zu, während Fred seine schmutzige Hand an der Hose abwischte und murmelte: „Eine Klopapierrolle wäre jetzt praktisch.“ Auf den skeptischen Blick Darios fügt er hinzu: „Für die Hände, du weißt, was ich meine.“
„Du weißt schon, dass du nicht bekifft auf ein Haus steigen solltest?“, frotzelte Dario und fügte dann hinzu: „Du könntest dabei runterfallen und sterben.“
„Ich nehme keine Drogen“, erklärte Fred überzeugt, gerade bevor er zu begreifen schien, dass Dario ihn mal wieder veräppelte. „Apropos sterben“, fuhr er deswegen fort, „ich habe mal irgendwo gelesen, dass Dachdecker der Beruf ist, bei dem am meisten Leute umkommen. Stimmt das?“
„Keine Ahnung“, entgegnete Dario, den die Frage nicht besonders interessierte. Er warf einen gelangweilten Blick vom Dach hinunter und meinte dann schon wesentlich begeisterter: „Schau mal, da blühen Maiglöckchen im Garten.“
„War ja klar“, brummte Fred gelangweilt und lehnte sich wieder zurück, bis er entspannt auf dem Ziegeldach lag. Dario wollte gerade etwas antworten, verschluckte sich aber an seinem letzten Bissen Wurstbrot. Fred richtete sich blitzschnell auf um zu sehen, was seinem Kollegen fehlte, fror jedoch in der Bewegung ein, als er erkannte, was Dario derart aus der Fassung gebracht hatte. „Nein, das kann nicht sein“, murmelte er ungläubig. „Das ist unmöglich real!“
Die graue Scheibe drehte sich um sich selbst als sie direkt über ihn hinwegschwebte. „Ist das …?“, begann Dario schließlich, während er auf das Ding deutete. Fred schwieg, offenbar schien ihm keine Antwort einzufallen, denn er sah genau dasselbe. Schließlich, nach einer Sekunde die ihnen so vorkam, als hätte sie jemand unnötig in die Länge gezogen, sagte er ehrfürchtig: „Ja, das ist eine fliegende Untertasse.“
„Dann ist das eine verfluchte Invasion“, rief Dario beunruhigt aus und pulte in seiner Panik mühselig einen Ziegel aus dem Dach, wohl in der Hoffnung, er würde damit Außerirdische, die schneller als das Licht reisen konnten, ausschalten können. Fred tat nichts, sondern blieb wie angewurzelt sitzen. Und im nächsten Augenblick materialisierten sich auch schon die Aliens auf dem Ziegeldach, zwei grüngraue Wesen mit überproportional großen Köpfen und schwarzen Knopfaugen. „Hallo …?“, begann Fred mit zitternder Stimme, „wir sind friedlich.“
Zu seinem großen Erstaunen antworteten ihm die interstellaren Reisenden in seiner Sprache, ohne auch nur den geringsten Fehler zu machen. „Keine Angst, wir tun euch nichts.“
„Das kann nicht sein!“, rief Dario aus, bevor er den Ziegel warf. Das gealterte, rotbraune Stück Ton verwandelte sich noch im Flug zu einer Wolke aus Staub, als einer der Außerirdischen seine Hand hob und tadelnd meinte: „Das war nicht gerade höflich.“
„Entschuldigt meinen Freund, er hat nur Angst vor euch“, erwiderte Fred beschwichtigend. „Wir heißen euch auf unserem bescheidenen Planeten willkommen.“ Er kam sich ein wenig seltsam vor, hatte er doch nicht damit gerechnet, dass er als Dachdeckerlehrling irgendwann im Namen der Menschheit Außerirdische würde begrüßen müssen.
„Keine Sorge“, entgegnete nun der andere Alien genauso ungerührt. „Wir sind an eurer Welt vorbeigekommen und haben uns dazu entschieden, euch die Einsamkeit in der großen, weiten Galaxis etwas zu erleichtern.“
„Vielen Dank“, sagte Fred, der sich nun ebenfalls erhoben hatte, während Dario einige Schritte zurück machte, offenbar schien er der Sache noch nicht so ganz zu trauen, was auch seine Frage nahelegte: „Und wie wollt ihr das erreichen?“
„Wir haben unsere Todesstrahlen mitgebracht“, begann der Alien und schnippte mit seinen Fingern. Ein greller Strahl fuhr aus dem Himmel und verwandelte Dario im Handumdrehen zu einer Staubwolke. Erschrocken schrie Fred auf und hob schützend seine Arme vors Gesicht.
„Alles ist okay“, versuchte ihn einer der Aliens zu beruhigen. „Wenn wir euch jetzt vernichten, müsst ihr nicht mehr eine einsame und klägliche Existenz auf diesen trostlosen, unzivilisierten Planeten führen.“
„Und was, wenn …“ begann Fred mit zitternder Stimme, just in der Sekunde, als nochmals ein gerader Blitz aus dem Himmel zuckte und auch ihm den Rest gab.
Das kreischende Geräusch riss Fred aus seinem Mittagsschlaf. Panisch fuhr er hoch und wandte sich um. Dario saß noch immer auf dem Grat und aß sein Wurstbrot, die Sonne schien und neben ihm lag ein wie ein UFO bemaltes Frisbee auf dem Dach. „Ich habe geträumt?“, fragte er ungläubig. Benommen rappelte er sich auf und ging auf und ab, um sich nach diesem verwirrenden Traum aufzuwecken. „Verfluchte Außerirdische“, grummelte er, was ihm einen verwunderten Blick von Dario einbrachte. „Ach nichts“, begann Fred schließlich, unterbrach sich aber mit einem erschrockenen Aufschrei, als er über einen Absatz stolperte, vom Dach stürzte und unsanft auf den Waschbetonplatten landete, aus denen der Gartenweg bestand. Was Fred in diesem Moment, in dem er mit einem gebrochenen Arm auf dem Boden lag, noch nicht wissen konnte, war, dass er sich die nächsten Wochen immer vor Außerirdischen fürchten würde, die hinter der nächsten Ecke lauerten.
„Du solltest wirklich nicht bekifft zur Arbeit kommen“, erklärte Dario überzeugt, was jedoch Fred auch nicht mehr beruhigen konnte.