Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Diese Geschichte spielt im erweiterten Universum der „Promise“-Reihe.
Lucy schloss die Augen, lehnte sich auf dem durchgesessenen, blaugrauen Economy-Sitz zurück und wünschte sich in eine andere Galaxis. Ihr Kopf fühlte sich an, als hätte jemand einen Schmiedehammer dagegen gedonnert und ihre Gelenke schmerzten. Das marode Raumschiff erzitterte, während es durch die Atomsphäre des öden Planeten aufstieg und langsam an Höhe gewann. Ihr Ausbildner hatte ihr damals gesagt, wenn man in einem Kampf einiges einstecken musste, lohne es sich, in der Business Class zu fliegen. Ein Drink war im Preis inbegriffen und die Sitze waren weicher, was sich besonders bei blauen Flecken sowie gebrochenen Rippen auszahlte. Zu Lucys Frustration war diese aber komplett ausgebucht gewesen. Ein Gong übers Lautsprechersystem unterbrach ihren Gedankengang, gefolgt von der Ansage: „Wir begrüßen Sie an Bord des Starbus SB-731 nach Lerbina mit Zwischenhalten in Qassah und auf der Lerbina-Raumstation. Starbus wünscht Ihnen eine angenehme Reise. Gè wèi lǚ kè, nǐ men hǎo, huān yíng chéng zuò …“
Wie aufs Stichwort hörte das Gerumpel auf, das Gefährt verließ die Atmosphäre, dafür begann das Mädchen auf dem Sitz neben ihr die Melodie eines Kinderliedes zu summen, die Lucy an ihre eigene Kindheit erinnerte. Ihr war überhaupt nicht danach, in der Vergangenheit zu schwelgen, sondern möglichst bald bei einem Arzt auf den Untersuchungstisch zu liegen. Sie wollte herausfinden, was in ihrem Körper alles geknackst, gezerrt oder anderweitig beschädigt war. Der Bodyguard ihrer letzten Zielperson war ein Wandschrank von einem Mann gewesen, der es offenbar auch nach dem vorzeitigen Ableben seines Schutzbefohlenen für eine gute Idee gehalten hatte, die Schuldige zu verprügeln. Er hatte ihren Respekt verdient, war alles andere als ein Hasenfuß, trotzdem hätte sie einen weniger sturen Leibwächter bevorzugt. Um sich abzulenken, studierte Lucy das Menü auf dem Holodisplay an der Sitzlehne vor ihr. Linsensuppe war das einzige Gericht, dessen Beschreibung nicht den Eindruck erweckte, es bestünde aus Pampe. Sie entschied sich dazu, später beim Bordbistro vorbeizuschauen und sich eine Portion zu genehmigen. Irgendwie musste sie die Reisezeit bis zur Lerbina-Raumstation totschlagen und essen schien ihr eine gute Idee.
Der Rahmen des alten Starbus’ bebte, das Mädchen auf dem Nachbarsitz quietschte aufgeregt und das Licht flackerte kurz, als sie beschleunigten und in den Hyperraum sprangen. Sogleich erlosch das Anschnallzeichen und Lucy erhob sich, um sich die Beine zu vertreten. Bereits nach einigen Bewegungen spürte sie das Stechen in der Seite, da, wo der Kerl sie mit seinem letzten Hieb erwischt hatte, ehe sie ihn endlich hatte betäuben können. „S , ich lasse nach“, murmelte sie vor sich hin. Solche Begegnungen waren ihrem Ruf als eine der besten in ihrem Metier nicht gerade zuträglich. Sie wäre eigentlich mehr Schatten als Mensch, eine Profikillerin, die normalerweise keine Spuren hinterließ. In Grübelei versunken stolperte sie beinahe über eine Flugente, die auf dem Boden des schmalen Ganges schlummerte. Vorsichtig wich sie dem Tier aus, wollte es nicht aufwecken und damit ein Riesengeschnatter verursachen. Diese Randweltenlinien waren alle gleich, von einem Schaf, über einen pfeifenrauchenden Greis mit einem drei Meter langen Kantholz im Check-In-Gepäck bis zu einem Mann, der seine Dogge samt Hundehütte verladen hatte, war alles zu beobachten. Zumindest waren es meist nur irgendwelche Hühner in einer Transportbox, dennoch suchte man an Bord eines Starbusses vergeblich Ruhe.
„Lucy?“, tönte eine männliche Stimme zwei Reihen hinter ihr und sie hielt den Atem an. „Lucy Wen?“ Sie reiste unter einem Pseudonym, niemand hier sollte ihren Namen kennen. Ohne sich umzuwenden ging sie weiter, im Glauben, der Fremde würde aufgeben. Natürlich hatte sie sich getäuscht. Sie vernahm Schritte hinter sich und fuhr etwas zu hastig herum, da legte ihr jemand eine Hand auf die Schulter. „Hey, Lucy!“
Sie erkannte ihr Gegenüber und wünschte sich eine Katastrophe herbei, wäre am liebsten mit dem ganzen verfluchten Sternenschiff in ein schwarzes Loch gestürzt. Wieso um alles in der Galaxis musste ausgerechnet ihr Ex aus der Gymnasiumszeit an Bord dieses einen Starbus’ sein? Schlimmer konnte es kaum werden. „Han“, stellte sie fest und schluckte. So zu tun, als hätte sie keine Ahnung, wer er sei, war zwecklos, sie konnte bloß hoffen, er erzählte nicht in der halben Galaxis herum, wo er sie getroffen hatte.
„Xiǎo Lù, wie geht es dir?“, wollte er mit einem breiten Grinsen wissen. „Wir haben uns schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Fünfzehn, zwanzig Jahre, oder?“
„Ja, das kommt hin“, brummte sie und ignorierte den alten Spitznamen.
Han war wesentlich begeisterter als sie: „Was für ein Zufall! Und, was machst du so?“
„Ich arbeite für die Regierung der Vereinten Systeme“, antwortete wahrheitsgetreu, um dann ihre Cover-Identität zu ergänzen, die ihre vielen Reisen erklärte und die sie für solche Fälle aufrecht hielt. „Amt für planetare Vermessungen.“ Sie pausierte, zwang sich höflich zu sein: „Und du?“
„Wow, eine Beamte – aus dir ist ja echt was geworden, Lù.“ Han lachte und meinte: „Ich habe ein kleines Lebensmittelgeschäft zuhause eröffnet, jetzt besuche ich meinen Onkel auf Qassah. Bis wo bist du an Bord?“
Sie versuchte ihre Erleichterung zu verbergen, wenigstens hatten sie nicht dasselbe Reiseziel. „Lerbina-Raumstation, ich habe da ein Meeting mit den einheimischen Leuten vom Vermessungsbüro“, log sie und überlegte, wie sie aus dieser unangenehmen Unterhaltung rauskäme. Egal, woher man stammte, man konnte sich noch so viel Mühe geben, noch so weit reisen, am Ende stammte man stets von seiner Heimatwelt.
„Hey, Lù, ich gebe dir einen Tee aus, wie klingt das?“ Damit knuffte Han sie mit dem Ellenbogen freundschaftlich in die Rippen, genau da, wo der Bodyguard sie gekickt hatte. Lucy sah Sterne, torkelte zurück und fiel rückwärts über die Ente. Während sie hart auf dem Hintern landete, ein Wimmern unterdrückte und leise „Cào nǐ zǔzōng shíbā dài“ zischte, flatterte die Ente laut schnatternd auf. Der Entenbesitzer sprang fluchend hoch, sodass seine Tigerkatze, die auf seinem Schoss gelegen hatte, unsanft auf dem Teppich landete und den wild fuchtelnden Flügel der kreischenden Ente abbekam. Han blickte Lucy besorgt an und streckte seine Hand aus, die sie seufzend annahm und sich daran hochzog. Sie war trainiert, jemanden mit bloßen Händen umzubringen, kannte alle gängigen Waffen von Blaster-Scharfschützengewehren bis hin zu zeremoniellen Schwertern und hatte noch jede Zielperson eliminiert. Aber Economy Class auf einer Randweltenlinie zu fliegen, war wirklich zu viel des Guten, da wären ihr sogar übermotivierte Bodyguards lieber. Heute war einfach nicht ihr Tag, fand sie sich mit ihrem Schicksal ab. „Ja, ein Tee klingt gut, Han.“