Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Der Abend war längst über Godamn City hereingedämmert und die viel zu spärlich aufgestellten und schwachen Straßenlaternen tauchten alles in ein Zwielicht, als Mr. Davenport mit seinem Gehstock über die knarrenden Dielen aus dem Hinterzimmer in den Verkaufsraum des Lampenfachgeschäfts humpelte. Seine schlohweißen, zerzausten Haare leuchteten im Schein der unzähligen Lampen, die fast die gesamte Verkaufsfläche überstellten. „Lois?“, fragte er mit seiner asthmatischen Stimme und die junge, unscheinbare Verkäuferin wandte sich um und stellte eine grün leuchtende Vase auf ein Regal zurück und fragte: „Was denn, Mr. Davenport?“
„Ich denke, wir können für heute Schluss machen“, entgegnete der Ladenbesitzer freundlich. „Wir hatten einen wirklich guten Tag, die Kasse ist voller Geld und niemand wird bei dieser Dunkelheit noch auf die Straße gehen, um noch eine Lampe zu kaufen.“
„Natürlich“, stimmte ihm Lois fröhlich zu und begann damit, einen Lichtschalter nach dem anderen zu drücken, eine Aufgabe, die mindestens eine halbe Stunde in Anspruch nehmen würde. Doch sie störte das nicht, denn sie war eine geduldige und arbeitsame Person, sodass sie auch Mr. Davenport noch nie vorgeschlagen hatte, Steckerleisten zu kaufen. Der alte Herr öffnete die volle Kasse und begann damit, die Tageseinnahmen auf der Theke zu zählen, während er etwas abwesend fragte: „Lois, soll ich Sie nach Hause fahren? Godamn City ist auch nicht mehr so ungefährlich wie früher.“
„Gerne“, entgegnete die junge Frau, während sie eine Kinderzimmerlampe ausschaltete, die wie ein überdimensionaler, rosaroter Schnuller aussah. Sie wusste sehr wohl, dass die Straßen ihrer Metropole mehr als nur ein bisschen gefährlich waren, vor allem nach Einbruch der Dunkelheit und gerade, als sie diesen Gedanken zu Ende gebracht hatte, geschah es. Ohne Vorwarnung zerbarsten die Fenster des Lampenfachgeschäfts und drei maskierte und bis an die Zähne bewaffnete Männer stürmten hinein. „Die Lampenräuber“, keuchte Mr. Davenport entsetzt, bevor er in Ohnmacht fiel.
Electro-Man saß gelangweilt auf der Dachterrasse seiner alten Elektrogerätefabrik und nahm einen Schluck von dem Fledermaus-Smoothie, dem besten Energy-Drink, den er kannte. Manchmal fragte er sich, wieso er sich eigentlich dazu entschieden hatte, Superheld statt Superschurke zu werden, doch insgeheim kannte er die Antwort: Er mochte es, wenn die Menge ihm applaudierte und ihm der Bürgermeister eine weitere Ehrenmedaille verlieh, denn das warme Gefühl im Bauch war einfach unbeschreiblich. Seit er im Alter von achtzehn Jahren nicht gesehen hatte, dass die Isolation an einem Phasenprüfer defekt gewesen war, verfügte der Sprössling einer mächtigen Elektrikerfamilie über Superkräfte, wenn ihm auch noch kein Wissenschaftler hatte erklären können, wieso er von dem Schlag nicht einfach gestorben war. Das Elektro-Signal, ein greller Lichtkegel, der eine riesige Glühbirne auf die Wolkendecke projizierte, riss ihn aus seinen Gedanken und er sprang auf. „Ich werde gebraucht!“, rief der maskierte Held mit seiner erstaunlich tiefen Stimme aus, warf den Smoothie über die Schulter, nahm sich ein Traubenzucker zur Stärkung und fuhr dann fort, bevor er in den nach Kiefernnadeln duftenden Wagen sprang: „Auf zum Elektromobil!“
In der Zwischenzeit im Lampenfachgeschäft, hatte Lois ihre Hände erhoben und starrte voller Entsetzen die drei Schurken an, die sich bedrohlich vor ihr aufgebaut hatten. Auch wenn sie unter den Masken keine Gesichtszüge ausmachen konnte, so war doch das hämische Grinsen der Bösewichte zu erkennen. „Wir nehmen das Geld“, donnerte sie der Stämmige an und sie machte einen eingeschüchterten Schritt nach hinten. „Und die Lampen“, lispelte der Kleine, während er damit begann, das Bargeld in einen Dollarbeutel zu stopfen. „Aber nur die wertvollen“, fügte der Große hämisch hinzu, seiner Stimme konnte man die Verschlagenheit deutlich anhören. „Also die aus Gold und die mit Künstlersignaturen.“
„Genau, denn wir können ja nicht alle tragen“, murrte der Stämmige. Sofort nickte der Kleine zustimmend und ergänzte: „Aber wir können die restlichen Glühbirnen zerschlagen, dann wird es etwas dunkler in Godamn City.“
„Und je dunkler die Stadt ist, desto sicherer sind wir Verbrecher“, kicherte der Große. „Ist das nicht lustig?“
„Nicht wirklich“, stammelte Lois, während der Stämmige sie mit einer Maschinenpistole in Schach hielt und die beiden anderen damit begannen, die wertvollen Lampen in einen Lampensack zu packen. „Ach, die hat keinen Humor“, grollte der Stämmige enttäuscht. Der Kleine nuschelte kichernd: „Nicht jeder kann so ein Joker sein wie du.“
„Dafür werdet ihr aber in unserer Stadt nie mehr Lampen verkaufen, verstanden?“, raunte der Stämmige Lois an. Sie nickte schweigend, weil sie zum Schluss gekommen war, dass man mit den Superschurken nicht vernünftig würde reden können. „Aber Stofftiere oder Waffen sind natürlich okay“, ergänzte der Große, der offenbar etwas Mitleid zu haben schien.
Bevor Lois etwas entgegnen konnte, sah sie wie ein schwebendes Elektromobil auf der Straße vor dem Geschäft landete und ein maskierter Mann heraussprang. „Electro-Man“, rief sie erleichtert aus.
„Electro-Man?“, schrien die drei Verbrecher unisono und voller Entsetzen, bevor sie sich umwandten und sehen konnten, wie der Superheld direkt auf sie zu marschierte. Er spuckte sein Traubenzuckerbonbon aus und sagte ruhig: „Lasst die Lampen fallen und ergebt euch!“
„Niemals“, rief der Kleine panisch, ließ den Lampensack aber fallen und begann mit seiner Maschinenpistole auf Electro-Man zu schießen, der gerade an der Tür angelangt war. Lois warf sich hinter der Ladentheke zu Boden und kreischte entsetzt auf, wurde jedoch vom Knattern der Waffe übertönt. Doch die Kugeln trafen Electro-Man nicht, sondern machten kurz vor seinem Körper in der Luft kehrt und prasselten zurück in das Lampenfachgeschäft. Der Große und Kleine jaulten getroffen auf und brachen zusammen, während hinter ihnen der Schnuller in tausend Stücke zersprang. „Verflucht, er hat ein elektromagnetisches Feld um sich projiziert“, winselte der Große, während er sein verletztes Knie hielt. Doch der Stämmige schien noch nicht aufgeben zu wollen, denn er grollte Electro-Man an: „Stell dich mir in einem epischen Faustkampf, Schurke gegen Held!“
„Keine Zeit“, erwiderte Electro-Man, „Jemand will das Kraftwerk hochjagen, ich werde anderswo gebraucht!“ Damit schleuderte er einen Blitz aus statischer Elektrizität auf den Gangster, der ein grunzendes Geräusch von sich gab, die Augen verdrehte und vornüberkippte. Dann machte der Held kehrt und sprang zurück in sein Elektromobil, das geräuschlos in der Dunkelheit verschwand; nur ein leichter Duft nach Kiefernnadel lag noch in der Luft und erinnerte an die großen Taten.
Vorsichtig und verwirrt erhob sich Mr. Davenport und blickte sich in seinem verwüsteten Lampenfachgeschäft um: „Was ist denn geschehen? Hier ist ja alles kaputt.“
„Ach, machen Sie sich keine Sorgen“, entgegnete Lois freudig und deutete auf die Polizisten, die gerade die Schurken abführten. „Electro-Man hat uns mal wieder gerettet.“