Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
„Whassup, Bitches?“ Vom lauten Singsang erschrocken, fuhr Leonie hoch und wandte sich derart schnell um, dass sie beinahe das Gleichgeweicht verlor. Entnervt stöhnte sie auf: „Felix, hast du sie noch alle? Es ist neun Uhr abends, es ist totenstill. Hör auf, mich anzuschreien!“
Grinsend trat ihr guter Freund ein und platzierte mit einer ausladenden Geste zwei To-Go-Becher des Independent-Kaffeelädchens nebenan auf dem Tisch. „Ich bin schockiert, hast du dich nicht über den unpassenden Plural aufgeregt.“
„Manchmal, nur manchmal, bin auch ich müde“, beschwerte sich die sonst stets quirlige Leonie und hob ihren Becher auf. „Aber Kaffee hilft. Frische Hipsterbrühe am Abend ist erquickend und labend.“
„Meine Güte, was hast denn du geraucht heute?“ Felix ließ sich auf ein Sitzkissen fallen und nestelte an seinem Ohrring, wahrscheinlich, weil er seine Hände beschäftigen wollte. „Anderes Thema: Was glaubst du, wie lange es dauert, bis es hier halbwegs brauchbar aussieht?“
Leonie seufzte demotiviert. „Das ist ein Pop-Up Store, ewig sollte es eigentlich nicht gehen. Morgen früh sind die Wände dran, jetzt sieht man an manchen Stellen noch den Gips. Ach, ich wünschte, wir hätten Handwerker.“
„Ich denke, das ist weiß gestrichener Verputz“, gab Felix trocken zurück, ehe er die ihm nächste Wand skeptisch musterte. „Andererseits …“
Leonie sprach ihm ins Wort: „Egal, mit was das Haus zusammengekleistert ist, ich will endlich Hipstern das Fell über die Ohren ziehen. Überteuerte, lokale Gartenpflanzen werden die anlocken wie die Motten das Licht … Halt, das Licht die Motten. Kacke, bin ich übernächtigt.“ Entschlossen trank sie den Kaffee aus, schleuderte den leeren Becher auf einen Müllhaufen und schlenderte zur Ausstellfläche, auf der sie bereits die ersten Blumentöpfe aufgestellt hatte.
„Du meinst, Chlorophyll mit einem ‚Urban Gardening‘-Schildchen wirkt auf die Deppen hypnotisierend? Na, Hauptsache, sie kommen in den Laden und geben uns Geld und Leben.“
„Passt“, brummte Leonie und machte sich daran, weiter Blumentöpfe anzuschleppen, um sie hübsch zu präsentieren, während Felix die letzte Wand in einem dezenten Lindgrün strich.
Nach einigen Minuten sagte sie in die fleißige Stille: „Und wenn die Deppen erstmal den Köder geschluckt haben, hat der Laden einen schalldichten Keller, in dem wir sie ausweiden können.“ Dämlich kichernd betrachtete sie ihren fertigen Blumentopfstapel und schlenderte zu einem anderen Tisch, auf dem sie einen Plan ausgebreitet hatte.
„Sag sowas nie laut, wenn das jemand mitbekommt, nimmt er deine dummen Witze womöglich noch ernst“, lachte Felix, ohne sich von seinen Malerarbeiten abhalten zu lassen. Leonie hielt inne, beobachtete ihren gutaussehenden besten Freund und nahm sich etwas zu lange Zeit, sodass er sie sich dabei ertappte. Beschämt schaute sie weg, zog einen Kugelschreiber aus der Stifthalterung und beugte sich tief über den Plan. Sie hatten eine tolle Freundschaft und Leonie wollte verflucht sein, wenn sie dies durch romantische Gefühle oder niedere Triebe zunichtemachte! Allerdings konnte sie nicht leugnen, dass ihr gemeinsames Projekt für sie eine skurril-erotische Komponente hatte und sie entschied sich, daran zu arbeiten. Um sich auf andere Gedanken zu bringen, kritzelte sie auf dem großen Blatt Papier herum. „Also, die Trennwand von der Kellertreppe überladen wir mit billigen Wandtattoos, dann sieht das schon viel ordentlicher aus und …“
Ihr Gemurmel wurde von Felix unterbrochen. „Hey, träumst du? Kannst du mir bitte rasch helfen und ein paar neue Farbkübel holen?“
„Klar.“ Leonie warf den Stift auf den Tisch und folgte Felix beschwingt die Kellertreppe hinunter. Der Kaffee hatte ihre Stimmung tatsächlich gehoben und die Müdigkeit zumindest vorerst verfliegen lassen. Die alten Stufen knarrten unter ihrem vereinten Gewicht und Felix stieß unterdrückte Flüche aus, bis er den Lichtschalter ertastet hatte. Flackernd erwachten die kaltweißen Leuchtröhren zum Leben und er marschierte freudig zu den Farbeimern. „Super, wir haben reichlich Lindgrün.“
„Ausgezeichnet.“ Leonies Begeisterung hielt sich in Grenzen, vor allem, weil sie die schweren Kübel nach oben schleppen mussten. Als wolle er die unliebsame Aufgabe ebenfalls herausschieben, deutete Felix auf den betonierten Boden: „Wir sollten den Abfluss reinigen lassen, sonst wird es eines Tages eine Riesensauerei geben. Der ist noch voller Dreck.“
„Ja, ich habe gestern mit dem Klempner telefoniert, er kommt übermorgen. So oder so dürfen wir einfach nicht vergessen, vorher alles wegzuschaffen“, ermahnte Leonie und gestikulierte dazu auf den alten, verchromten Tisch, der in einer Ecke stand. „Sonst kommt der noch auf die Idee, wir zerlegen hier unten tatsächlich Hipster.“
„Natürlich“, gluckste Felix. „Das ist zwar unser erstes Projekt, aber ganz bescheuert sind wir nun auch wieder nicht. Na ja, du schon, hör mit deinen dämlichen Serienkillerwitzen auf, dein Humor ist viel zu schwarz.“
Leonie gab ein schmollendes Geräusch von sich und ein kleiner Teil von ihr fragte sich, ob es nicht doch eine bessere Idee wäre, ihre Gefühle für Felix zuzulassen. Man musste sich schon sehr vertrauen, wenn man zusammen einen Pop-Up Store eröffnen wollte, sogar ohne Folterkeller eine wahre Herausforderung; vielleicht, nur vielleicht, hatten sie ja eine gemeinsame Zukunft.
„Apropos Folterverlies“, riss sie Felix aus ihren Gedanken und sie erstarrte. Er würde doch nicht im Ernst vorschlagen, so etwas in die Tat umzusetzen, oder? Sie kannte ihn bereits seit Jahren und konnte sich sowas kaum vorstellen, andererseits war er schon mehrmals für eine Überraschung gut gewesen. Sie konnte seinen verschmitzten Tonfall hören, als er fortfuhr, und atmete erleichtert auf. „Wenn man mal deine morbiden Ideen weglässt, bist du echt, na ja …“, er druckste kurz, ehe er hinzufügte: „… du weißt schon, attraktiv.“