Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Dort wo die beschädigte Gräte ersetzt worden war, waren die feinen Stickereien des Korsetts etwas unbeholfen vernäht. Ich konnte das zwar nur entdecken, wenn ich direkt neben dem Feuer saß und ganz genau hinschaute, doch die Herrin beteuerte, dass sie das edle Kleidungsstück nun nicht mehr würde tragen können und so hatte sie mir geheißen, es zu verbrennen. Ich hatte mich in den letzten Jahren als Zofe an so einiges gewöhnen müssen, doch die höfische Verschwendung würde mir wohl für immer ein Rätsel bleiben, dennoch warf ich das gute Stück wie befohlen in den Kamin.
„Ach“, stöhnte und ächzte sie wieder und verwarf ihre Arme bewusst damenhaft und theatralisch. „Das Leben ist doch so unfair zu uns Frauen.“ Ich konnte vom anderen Ende ihres prunkvollen Schlafgemachs erkennen, dass sie zu mir rüber schielte und erneute Bestätigung erwartete, doch ohne zu wissen weshalb, blieb ich dieses Mal stumm und beobachtete, wie sich die handgestickten Fäden im Rauch auflösten. „Magdalena, hörst du mir nicht zu?“, verlangte sie zu wissen und setzte sich auf ihrem Otomanen nun doch endlich etwas aufrechter hin, so wie es sich für eine Lady ihres Rangs eigentlich gehörte. „Gott bürdet uns nichts auf, das wir nicht tragen können“, lautete meine schlichte Antwort und ich hoffte, dass die Unterhaltung damit beendet wäre, denn meine Herrin gab ohnehin nichts auf die Meinung einer schäbigen Zofe. Sie benutze mich lediglich dazu, ihre eigenen Gedanken zu äußern, es wäre also eine törichte und frustrierende Sinnlosigkeit, sich mit ihr auf eine Diskussion einzulassen.
„Wäre ich ein Mann“, fuhr sie dann aber munter fort und Schabernack leuchtete in ihren Augen auf, „dann könnte ich alles erreichen, alles für mich einnehmen und ich müsste mich keinem unterordnen.“ In der Zwischenzeit hatte das edle Seidenmieder vollends Feuer gefangen und tat seine letzte Schuld, indem es die feuchtkalten Mauern der Burg erwärmte. Ich erhob mich langsam aus der Hocke und nahm die Wildblumen vom Betttischchen, um sie zu ihr zu tragen; sie hatte die frisch gepflückten Wiesenblüten heute Morgen von ihrem Mann geschenkt bekommen und sie seitdem nicht eines Blickes gewürdigt. „Sehen Sie doch, wie liebevoll ihr Gemahl mit ihnen ist“, versuchte ich sie aufzuheitern, doch wie so oft stieß ich auch taube Ohren.
„Er hat sie beim Wasserfall gefunden, dort wo er seine Dirnen trifft“, sagte sie und zum ersten Mal, so schien es mir, erkannte ich echte Emotionen in ihrer sonst so künstlichen Stimme. Ich zögerte einige Atemzüge, stellte die Blumen beiseite und kniete mich vor sie hin, nicht wissend, wie ich auf das eben Gesagte reagieren sollte. „Sie dürfen sich das nicht zu Herzen nehmen, Sie wissen doch, wie Männer sein können.“, wisperte ich schließlich und sandte innerlich ein Dankgebet an den Allmächtigen, dass er mich mit so einem braven Ehemann beschenkt hatte.
Davids Vater hatte die Ehe arrangiert und als meine Mutter mir endlich offenbarte, mit wem ich den Ehebund eingehen würde, konnte ich mein Glück kaum fassen. Unter Tränen hatte sie sich bei mir entschuldigt, dass sie keinen besseren Ernährer hatte finden können, war David doch aus armem Hause und lediglich ein Minenarbeiter, doch ich kannte ihn seit ich ein kleines Mädchen gewesen war und hatte in meinem Leben nie einen anständigeren, besonneneren oder liebenswürdigeren Menschen getroffen. Die Verlobung war kurz, viel kürzer als es meiner Frau Mama recht gewesen war, und die Hochzeit etwas schäbig, doch ich schwebte im Himmel und als kurz danach unser erstes Kind zur Welt kam, schien alles perfekt.
Doch irgendwann, als die Scheuklappen abgefallen waren und der Alltag in unser kleines Häuschen einfiel, wurde uns bitterlich klar, dass der Lohn meines geliebten Davids nicht ausreichen würde, um uns im Winter zu wärmen, also bat ich um die Stelle am Hof und verließ schweren Herzens meine liebgewonnene Heimat. Die ersten Wochen waren hart und seither war noch keine Stunde vergangen, währender ich mir nicht wünschte, so frei zu sein wie das höfische Wappentier, der Adler. Doch auch wenn mein Dasein entbehrungsreich war, so hätte ich mir nie wünschen wollen, meinen sicheren Platz als Zofe mit der gefährlichen Arbeit meines Mannes zu tauschen, so wie es meine Herrin wollte.
„Magdalena, was hast du vor?“, hörte ich sie fragen und erschrak, als ich endlich aus meiner Gedankenwelt aufwachte und mich mit dem Blumenstrauß in der Hand vor dem Fenster wiederfand. Ich zupfte den Weißklee aus dem Büschel und warf den Rest, mitsamt der fürstlichen Vase durch die schmale Öffnung auf den gepflasterten Hof. „Ein Schapel trug sie von Klee“, summte ich leise, als ich die feinen Stängel mit meinem Fingernagel einritzte und miteinander verwob. „Ihrem Herren mehr den je“, hauchte ich verschwörerisch weiter und setzte ihr die Blumenkrone auf, bevor ich den kurzen Vers mit einem schelmischen Lächeln auf den Lippen beendete: „Schien sie reizend, wonniglich.“
Die Herrin begünstigte mich mit einem zarten Lachen und legte ihre Hand auf die meine, so dass ich mich in der Gewissheit glaubte, sie hätte meine Absicht richtig verstanden, doch ihre Züge verdüsterten sich wieder und sie zog ihre Finger zurück in ihren Schoß. „Ach Magdalena, glaubst du denn wirklich, dass Schönheit das Herz meines Gatten zu mir zurückbringen wird? Wie naiv von dir.“ Unwillkürlich schüttelte ich meinen Kopf, so dass sich eine meiner schwarzen Locken löste und meinen Nacken kitzelte. „Aber nein, g‘nädge Herrin. Kein solch gewöhnliches Wunschdenken wird Ihnen Befriedigung geben, jedoch weiß ich, wie Sie Genugtuung erfahren können.“ Aus Angst, jemand könnte uns belauschen, blickte ich mich in dem prunkvollen Schlafgemach um und horchte wie das Feuer die letzten Stücke des Mieders verschlang; es knisterte, als die feinen Fischgräte zu brennen begannen und die Luft wurde erfüllt vom eigenartigen Geruch des Scheiterhaufens. Ich zuckte zusammen, als sich ihre kühle Hand erneut auf meine nunmehr blasse Haut legte und sie mit lodernder Neugier zu mir herabblickte. „Was ist es, Magdalena? Wie kann ich diesen Kampf gewinnen?“
Es schien mir, als wäre sie in diesem Augenblick zum unschuldigen Kind geworden, das lernen will die Welt zu erobern und eine neuartige Wärme stieg in mir hoch, als wollte ich sie, die immer kalt und unnahbar schien, in meine Arme schließen. „Sie geben ihm das was er haben will, reizen ihn“, begann ich sanft und behutsam zu erklären. „und dann wenn er gierig nach Ihnen dürstet, wenn er ohne Sie nicht mehr sein mag, dann unterliegt er Ihrer Macht.“
Erstarrt vor Schreck versteinerte ich eine Weile und erwiderte ihre Umarmung nur schwankend, unschlüssig darüber, was von mir erwartet wurde. „Du bist so weise, liebste Magdalena!“, schrie sie hell und jauchzend. „Wenn er mir erliegt, dann kann ich wahrlich alles erreichen, alles für mich einnehmen und muss mich keinem mehr unterordnen.“ Im Hintergrund loderte das Feuer zu einem letzten Aufbäumen hoch und während sie mich auf die Stirn küsste wurde mir klar, dass ich gerade eben eine Flamme entfacht habe, deren Hunger ich nicht mehr zügeln konnte.