Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Diese Geschichte ist Teil der lose verbundenen Story-Reihe „Weihnachtsdorf“.
„Brr, verdammte Kälte.“ Marcel brummte, die Tür zum Modelleisenbahn-Laden fiel hinter ihm zu und er rieb sich seine spitzen Elfsohren. Weshalb eine Spezies, die vom Nordpol stammte, dermaßen kälteempfindliche Ohren hatte, wollte sich ihm beim besten Willen nicht erschliessen. Er streifte seine beschlagene Brille ab, putzte sie mit seinem Schal und war froh darum, war noch kein Angestellter zu ihm getrippelt. Zufrieden setzte er sie wieder auf und öffnete den Parka, während er sich umsah: Der Laden war so vollgestellt, dass Marcel beim besten Willen keine Struktur in dem Chaos erkennen konnte. Überall standen zum Bersten gefüllte Regale mit Kartons voller Züge, sogar an der Decke über ihm tuckerte eine Bahn lang und in jeder freien Ecke war eine Modellbahnanlage aufgebaut. Marcel schritt zur Ladentheke und in der Tat kam ein Elf mit weißem Bart herangehumpelt, der aussah, als säße ihm die Steifheit in sämtlichen Gliedern. „Na Jungchen, was kann ich für dich tun?“
„Ich suche …“, Marcel stockte, er wusste nichts über Modelleisenbahnen, ebenso wenig was er suchte und die Züge überforderten ihn unglaublich. „Ich suche eine Modellbahn.“
„Na, da bist du ja hier richtig“, gluckste der Alte. „Modellbahnen sollten wir ein paar auf Lager haben. Was für eine Bahn soll es denn sein?“
Marcel meinte verunsichert: „Eine … mit Lokomotive?“
Der greisenhafte Elf brach in Gelächter aus und machte eine alles umfassende Handbewegung. „Na, da hast du ordentlich Auswahl, Jungchen.“ Erst nach einer Pause ergänzte er: „Lass mich raten: Die Bahn soll ein Geschenk werden?“
„Für die Firma“, antwortete Marcel, leicht beschämt, so planlos zu sein. „Der Boss möchte eine Bahn, die auf dem Besprechungstisch herumtuckert, in seinem Geschenkesack waren nur Mandarinen und Nüsse fürs Team. Der magische Sack ist eine echte Diva, zwar gibt es für alle super Geschenke, fürs Dekorieren der eigenen Firma springt nichts raus.“
„Sack?“ Der Verkäufer starrte ihn verstört an, bis sich auf seinem Gesicht Erkennen spiegelte. „Ah, du arbeitest fürs Weihnachtsdorf, das erklärt alles. Ihr Leute von den nördlichen Eisbergen oben seid ein bisschen komisch, Hipster, Magier und Cosplayer, oder?“
„Was?“ Marcel fixierte sein Gegenüber verwirrt, dem Alten hätte er nicht zugetraut, diese Begriffe zu kennen. Schulterzuckend sagte er: „So ist halt das Geschäft. Dafür hat man einen Rentierschlitten als Dienstwagen.“
„Ich weiß ja nicht, da fallen für meinen Geschmack zu viele vom Himmel“, nuschelte der Alte und kam zum Thema zurück. „Also, eine Modellbahn, die bei euch auf dem Tisch steht? Was stellt ihr euch da vor? Spurgröße H0 wäre am gängigsten, nicht sehr klein, doch man kann trotzdem eine schöne Anlage aufbauen. Eventuell eine Dampflok, das wäre typisch-weihnächtlich für euer Büro.“
„Klar, klingt gut.“ Marcel hoffte inständig, wenigstens genug Ahnung von Geometrie zu haben, um die Gleise korrekt zusammenstecken zu können. Nachdem der Verkäufer ihm unzählige Modelle und Aufbaumöglichkeiten vorgeschlagen hatte, denen Marcel einfach zustimmte, tippte er endlich den Preis in die Kasse ein. „Das macht dann vierhundertneunundneunzig zwanzig. An der werdet ihr jahrelang Freude haben, ganz bestimmt. Na ja, solange der Dicke sich nicht auf die Gleise setzt.“
Marcel konnte sich nicht beherrschen, kicherte beim Herauskramen der Kreditkarte unentwegt vor sich hin. „Ja, das wäre zu schade. Meistens fällt der bloß den Kamin runter, wenn er Drogen bringt.“
„Drogen?“ Der Verkäufer musterte ihn skeptisch und schnaubte. „Ja, ihr seid ein komisches Völkchen. Casual Chic, Hipstermützen und Gras – mit der modernen Berufswelt am Nordpol könnte ich nicht mithalten.“
„Na ja, was man sich vom Weihnachtsmann wünscht, bringt er auch. Ist seit jeher Tradition.“
Nachdem Marcel sich vom Verkäufer verabschiedet hatte, trat er auf die Straße und atmete tief durch – die eisige Luft in den Lungen tat ihm gut. Er hatte es tatsächlich geschafft und eine Modellbahn fürs Sitzungszimmer gefunden. Andere Firmen hatten Tischtennis, sie bekamen eine Eisenbahn – eigentlich ganz wunderbar und im Set war ein Güterzug dabei, der Zimtsterne transportieren konnte. Wer weiß, vielleicht wurde aus ihm noch ein richtiger Modelleisenbahner, sinnierte Marcel zum Schlitten schlendernd. Erstaunt hielt er inne, als er den Nikolaus entdeckte, der auf dem Vehikel saß und seine Pfeife schmauchte. „Santa, was machst du denn hier?“
„Na ja“, begann der füllige Weihnachtsheld, verlegen seine Pfeife ausklopfend, „es ist Nikolaustag und ich sollte nach Europa fliegen. Leider hat Rudolph Durchfall und ich möchte vermeiden, dass er allen die Dächer vollsch… Hohohoho, du weißt schon.“
Marcel unterdrückte einen Seufzer, er ahnte, was jetzt kam. „Du willst meinen Dienstschlitten ausleihen?“
„Hohohoho, wenn es dir nichts ausmacht“, lachte der Nikolaus. „Du hast ihn auch hübsch mit Lichterketten geschmückt, also sollte es nicht auffallen, wenn andere Rentiere in Betrieb sind.“
Manchmal musste man fürs Team zurückstecken, das wusste Marcel als guter Elf. Er legte die Modellbahn auf der Ladefläche ab und zückte das Handy. „Ich schreibe rasch meiner Frau, ob sie vorbeikommt, okay?“
„Sicher, ich begebe mich schon mal auf den Weg, ich bin spät dran. Dauerte eine Ewigkeit, den Rentierkot aus den Geschenken zu bekommen.“
„Halt, ich habe …“, begann Marcel, wurde aber von Dröhnen der zündenden Rentiertriebwerke übertönt. Es gelang ihm gerade noch, sich den Sack mit der Modellbahn vom Schlitten zu schnappen, ehe Santa mit einem lauten „Hohohoho“ abhob und am Nachthimmel zwischen den Nordlichtern verschwand. Nun stand Marcel in der Kälte, wartete darauf, abgeholt zu werden und entschied sich kurzerhand, die Modelleisenbahn zu behalten. Immerhin würde er damit Weihnachtskekse transportieren können, das war alles, was zählte.