Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Warnung: Das hier dargestellte politische Gedankengut entspricht in keinster Weise unserer Meinung uns ist als Satire zu verstehen. Mehr zu unseren Warnungen sowie wann und weshalb wir sie anwenden, erfahrt ihr in unseren FAQ.
Eisbär Fred hatte kein einfaches Leben. Seit die globale Klimaerwärmung weit fortgeschritten war, hatte die Zahl der Eisschollen in der Arktis rapide abgenommen, was die Mietzinse regelrecht zum Explodieren gebracht hatte. Doch Fred war nicht dafür bekannt rasch aufzugeben und so bestritt er weiter seinen Lebensunterhalt, den schwierigen Umständen zum Trotz und bezahlte ohne zu jammern die immer grösser werdende Miete für die immer kleiner werdende Eisscholle, pünktlich zum Monatsanfang. Wie alle anderen wusste auch er, dass Immo-Bär ein Abzocker war, doch was wollte man tun, immerhin besaß der die Grundrechte am gesamten Eis und schien möglichst viel Fisch verdienen zu wollen, bevor seine Immobilien dahinschmolzen oder vom Golfstrom weggetragen wurden. Die meisten Eisbären waren längst umgezogen, denn die Mieten in eurasischen Zoos waren viel besser und außerdem war da sogar das Essen inbegriffen, doch Eisbär Fred hatte nicht die geringste Absicht, sein Zuhause aufzugeben; er liebte die Tradition seines Volkes und war überzeugt, dass er immer irgendwo ein Stück Eis finden würde, das als Einzimmerwohnung durchging. Und die Pinguine machten die Sache auch nicht besser, nein! Erst letzte Woche hatte es mehrere Unfälle gegeben, weil die gefrässigen Viecher einer Gruppe von Eisbären die Vorfahrt bei der Nahrungsbeschaffung genommen hatten. Bis heute war Fred nicht ganz klar, woher sie plötzlich gekommen waren, doch man erzählte sich, dass sie in einer der Polrundflugmaschinen, die regelmäßige Touristen über die dahinschmelzende Eiswüste kutschierten gewesen waren, das vor einiger Zeit, vielleicht im Jahr 85 seit Eisbärengedenken, in der Gegend abgestürzt war.
Ja, das Leben am Nordpol war hart geworden, konstatierte Fred seufzend und sah sich auf der Eisscholle um. Noch hatte er viel Platz für sich, seine eisgekühlten Vorräte und, was noch viel wichtiger war, den Fernseher. Denn obwohl Fred ein Spezialist für die Schollen-Reparatur war, der wohl angesehenste Handwerkerberuf am Nordpol, so war er doch ein sehr einfacher Eisbär. Er glaubte einfach daran, dass es ein Morgen gab, arbeitete, jagte, verbrachte Zeit mit seinen Kumpels, lästerte mit ihnen über die vermaledeiten Pinguine und den inkompetenten, autokratischen Bürgermeisterbär und zeichnete seine Lieblingssendungen mit dem TiVo FreezeFrame auf. Doch sein Leben sollte sich drastisch verändern.
Einige Wochen waren übers Eis gezogen und es hatte sich nichts bedeutendes ereignet, außer dass die Mietpreise mal wieder gestiegen waren. Angefangen hatte das Ganze auf der jährlichen Schnitzeljagd, einer lokalen Tradition bei der jeder Eisbär, der etwas auf sich hielt, mitmachte. Fred lag ziemlich gut im Rennen, er hätte zwar nicht sagen können, ob er sogar eine Chance auf den ersten Platz hätte, doch er hatte schon sehr viele der versteckten Wienerschnitzel gefunden, auf denen Hinweise angebracht waren, um das nächste Versteck ausfindig machen zu können. Ganz im Gegensatz zu den gierigeren Kontrahenten hatte er die Inschrift immer erst gelesen, bevor er das Schnitzel aufgegessen hatte und so langte er schlussendlich in einem ausgedienten Iglu, das auf einer besonders kleinen Scholle versteckt war, an und fand den wahrscheinlich letzten Anhaltspunkt vor dem Ziel. Hastig hatte Eisbär Fred es gepackt und umgedreht, um den Hinweis zu entziffern, immer das ersehnte Ziel im Kopf – er war sehr motiviert zu gewinnen, denn immerhin winkte dem Sieger ein Monatsvorrat an Robbensandwiches und eine Ehrenplakette am Rathaus. Freudig sprang er auf, als er das Rätsel gelöst hatte, denn er wusste jetzt, dass seine Chancen auf den Sieg eben gestiegen waren. Doch wie es das Leben wollte, schlug er sich den Kopf am Iglu an und fiel bewusstlos vornüber, wobei die schwarze Nase auf dem Schnitzel liegenblieb.
Als Fred aufwachte, hatte er pochende Kopfschmerzen und das grelle Licht blendete ihn. Er konnte tiefgekühltes Schnitzel riechen und mehr aus Reflex biss er zu und schluckte seinen Schlüssel zum Sieg hinunter, noch bevor er wieder klar bei Verstand war. Verwirrt erhob er sich schließlich und torkelte aus dem Iglu heraus, um sich umzusehen; ein Teil von ihm wusste, dass die Zeit, um die Schnitzeljagd zu gewinnen knapp wurde, denn wie jeder Eisbär wollte auch Fred um jeden Preis der beste Jäger sein. Doch er konnte nichts erkennen, denn ein Schneesturm nahm ihm die Sicht und egal, wie fest er gegen das weiße Gestöber anblinzelte, seine Aussichten darauf, wohlbehalten zu den Sandwiches zu gelangen, wurden von dem Sturm geschmälert. Fred seufzte und kroch zurück ins Iglu, es gab nichts mehr, was er noch tun konnte außer zu warten. Immerhin bedeutete das, dass auch seine Kontrahenten nicht weiter kamen, was Fred ein wenig beruhigte. Er schämte sich zwar etwas für seine Missgunst, denn immerhin waren die anderen seine Nachbarn und Freunde, doch in der aktuellen Wirtschafts- und Bodenkrise versuchte jeder so viel zu bekommen, wie er kriegen konnte. Träge legte sich Fred hin und dachte über sein Leben nach. Im Moment wünschte er sich Superkräfte, denn so würde er zweifellos zu seinem Preis kommen, als fliegender Eisbär, der die ganze Bärheit vor der Invasion der Pinguine und dem Schmelzen des Eises bewahrte. Doch er war nicht Superbär und das wusste er. Und dazu kam, dass Bürgermeisterbär die Region mit glühenden Klauen regierte und sicher nicht wollte, dass sich irgendein Möchtegern in seine Angelegenheiten einmischte.
Eisbär Fred hielt kurz in seinem Gedankengang inne, denn die Richtung, welche seine Überlegungen nahmen, begann ihm Angst zu machen. Doch hier draußen war niemand, kein Polizeibär, kein Militärbär, keine Regenten, bloß der ewige Schnee. Und so dachte Fred schließlich das Undenkbare: Er würde die Bärheit in eine sichere Zukunft führen können. Er wusste, dass sie bloß mehr Eisschollen bauen und die Pinguine nach Kanada ausschaffen müssten und schon wäre der Polarkreis wieder ein friedlicher, prosperierender Ort. Bürgermeisterbär würde aber dieses Vorhaben niemals zulassen, dazu war er zu stur. Fred seufzte, doch statt wie sonst immer sein Schicksal anzunehmen, brummte er: „Vermaledeite Tradition – Bärokratie soweit das Auge reicht!“ So lange die mächtigen Clans herrschten, würde sich nichts ändern, nicht bevor auch der allerletzte Eisbär von der allerletzten schmelzenden Eisscholle fiel. Es gab nur eine Antwort, nur eine Möglichkeit, das zu verhindern. Sie mussten aufs Eis gehen und protestieren, alle zusammen, als geeinte Gruppe. Fred wusste, dass es hart werden und länger als eine Woche dauern würde, doch das musste es wert sein. Der Traum von einer besseren Zukunft und Demokratie begann Gestalt anzunehmen und Fred schwor sich, gleich nach dem Essen der Robbensandwiches, mit der Revolution zu beginnen.