Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Lose verbundene Fortsetzung und Schluss zu: „Arktischer Frühling“.
Warnung: Das hier dargestellte politische Gedankengut entspricht in keinster Weise unserer Meinung uns ist als Satire zu verstehen. Mehr zu unseren Warnungen sowie wann und weshalb wir sie anwenden, erfahrt ihr in unseren FAQ.
Pinguin Hugo hatte kein einfaches Leben, dachte er sich, während er gemächlich durch die Antarktis watschelte. Lange hatte er gebraucht, um einige Dinge zu verstehen, die in den letzten Jahren ihren Anfang nahmen und die Spannungen in ihrer Gesellschaft anheizten. Seit zudem immer mehr Eisbären aus politischen Gründen vom Nordpol abgeschoben wurden, war es auch um den Platz schlecht bestellt. Seinen letzten Urlaub am beliebten Ausflugsziel Eyjafjallajökull hatte eher einer Fahrt mit einer vollgestopften Metro geglichen als einem erholsamen Ausspannen im Spa. Außerdem waren diese vermaledeiten Eisbären unglaublich anmaßend und gefräßig – kaum auszudenken, was passierte, wenn die alle Nachwuchs kriegten. Ihr Anführer, ein charismatischer Eisbär namens Fred, machte die Sache aus nicht besser. Zwar hatte er nichts gegen die Pinguine, doch er organisierte die Bären, veranstaltete mit ihnen laute Konzerte und das Schlimmste daran war: „Polo“, die Pinguin-Band, war trotz Hugos Geschick am Schlagzeug bislang noch nicht als Vorband eingeladen worden. Grummelnd stapfte Hugo nun umher, versuchte sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren und die Gegend nach Schäden im Permafrost zu untersuchen. Traurig seufzte er, als er eine weitere Straßenkreuzung entdeckte, auf welcher der Boden von vielen Eisbärenpranken niedergetrampelt war. „Verfluchter Schwerlastverkehr, dafür ist die Straße nicht ausgelegt“, brummte er indigniert und steckte einige hölzerne Pfähle in den Grund, um die Gefahrenstelle zu markieren. „Wenn die Straßencrew das nicht rasch erledigt, kann ich auf meiner nächsten Tour hier eine Sonnenblume pflücken.“
Hugo war ein sehr genügsamer Pinguin, der sich mit dem Alltäglichen zufriedengab, solange er ab und an anstelle des ekligen Fischs ein Schokoeis essen konnte, nur war mittlerweile sogar Eis rationiert worden – das Parlament hatte befunden, das Eis sei zur Reparatur des Permafrosts nützlicher. Irgendwann müsste jemand etwas gegen diesen Blödsinn unternehmen müssen, sinnierte er.
Langsam dämmerte der Abend und Hugo fiel es zusehends schwer, seine eigenen dunklen Flossen von der Umgebung zu unterscheiden. Ja, das Leben in diesen Breitengraden stellte eine wahre Herausforderung dar, insbesondere, wenn die Parlamentarier-Pinguine nichts anderes taten, als blöd herumzuschnattern. „Taten statt Worte“, versprachen sie bei jeder Wahl von neuem, um dann, unabhängig davon, welcher politischen Pinguinpartei sie angehörten, wieder nichts anderes zu tun als zu reden. Nein, befand Hugo, der beinahe über seine Flosse stolperte, Pinguinpolitik war bloß voller prätentiöser Pingukraten. Das einzige Thema, das sie kannten, war Fischfang, mehr Fische, weniger Fische, dickere Fisch…
Hugo hatte es nicht kommen sehen und so kam es zu einer derart heftigen Kollision mit dem viel zu schnellen Eisbär, dass der kleine Pinguin weggeschleudert wurde und mit voller Wucht gegen ein Straßenschild klatschte, das vor der Bärenkreuzung warnen sollte. Er verlor nahezu sofort das Bewusstsein und bekam gar nicht mehr mit, wie er auf dem Metall herunterrutschte und auf dem Boden liegenblieb.
Als Hugo aufwachte, hatte er pochende Kopfschmerzen und erkannte in der nunmehr pechschwarzen Nacht nichts. Was war denn geschehen? Hatte jemand eine Atombombe getestet? Schwamm er im Fluss Styx?
Auf einen Schlag kehrte seine Erinnerung zurück: Er war von einem tollwütigen Eisbären plattgemacht worden. Keiner der Kerle beachtete die Vorfahrtsregeln, nahm Rücksicht auf den Verkehr oder … Nebenbei fiel ihm ein, wie knapp es für ihn würde, noch vor dem morgendlichen Fischessen in die Kolonie zu gelangen, was bedeutete, er könnte leer ausgehen. „Das ist das Problem mit diesen vermaledeiten Wohngemeinschaften“, grummelte er vor sich hin und watschelte in die Richtung seines Zuhauses los, denn wie jeder Pinguin war auch Hugo im tiefsten Inneren ein geselliges Wesen, das neben dem Frühstück auch seine Kameraden vermisste. In der Dunkelheit konnte er nun kaum mehr die Straße erkennen, sodass er mit seinen Gedanken und Wachträumen ganz allein war.
Hugo malte sich aus, wie er alles besser machen könnte, er ganz allein, ein Held der Pinguschaft, welcher sich nicht vom sinnlosen Lamento über Fisch abhalten ließ, zu tun, was getan werden musste. Er wäre der Pinguin, der begriff, was es wirklich hieß, für sein Volk da zu sein, sich zu kümmern, kein gestaltloser, gesichtsloser Apparat, der immer von neuem gewählt wurde, um sogleich wieder zu versagen.
Pinguin Hugo hielt kurz in seinem Gedankengang inne, denn die Wendung seiner Überlegungen machte ihm allmählich Angst. Hier draußen war niemand, kein Polizeiguin, kein Militärguin, keine Regenten, nur der ewige Schnee. Und so dachte Hugo schließlich das Undenkbare: Er könnte das Pingutariat in eine sichere Zukunft führen. Er wusste, sie mussten lediglich ein paar Kühlaggregate bauen und die Eisbären nach Argentinien ausschaffen und schon wäre der südliche Polarkreis erneut ein friedlicher, prosperierender Ort. Die Wähler würde aber dieses Vorhaben niemals zulassen, dazu waren sie zu naiv. Statt wie sonst immer sein Schicksal anzunehmen, schnatterte Hugo: „Vermaledeite Wähler – Pingukratie soweit das Auge reicht!“ So lange die Blödheit der Maße herrschte, änderte sich nichts, bevor auch der allerletzte Pinguin wegen Fischmangels verhungert war. Es gab bloß eine Antwort, eine Möglichkeit, das zu verhindern. Er musste aufs Eis gehen und eine flammende Rede halten, er ganz allein, als neuer Anführer. Hugo war klar, dass es hart werden und länger als gewünscht dauern wird, doch die Strapazen mussten es ihm wert sein. Der Traum von einer besseren Zukunft und Sicherheit nahm Gestalt an und Hugo schwor sich, gleich nach dem langen Heimweg, mit der Revolution zu beginnen.