Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Es war bereits lange nach Ladenschluss, als ich vor der Konsole meines Mall-Überwachungssystems saß, dass ich mir bei jeder sich bietender Gelegenheit als Mischpult eines DJs vorstellte und gleichzeitig meine Karriereentscheidungen anzweifelte. Doch in einer Mall als Nachtwächter zu arbeiten war nicht mal ein so schlechter Job, wenn man bedachte, dass die Wirtschaftskrise das Städtchen Shelbyville fest in ihrem Bann hatte. Ich streckte mich lange genug, bis ein paar meiner Knochen knackten, und wandte mich dann wieder meinen Displays zu. Sobald mein Blick auf das Video-Feed von der Kwik-E-Mart-Filiale fiel, glaubte ich, meinen Augen nicht trauen zu können. Ich sprang auf und rannte los, um möglichst rasch in dem Laden zu sein.
Als ich den Kwik-E-Mart betrat, möglichst leise und durch den Lieferanten-Zugang, der zum Warenlager führte, konnte ich aus dem Innern des Ladens ein Rascheln hören. Hellwach, wacher als mich zehn Tassen Kaffee hätten machen können, huschte ich durch das dunkle Lager zu der Tür, die direkt in den Laden führte und linste durch den Spalt, durch den ein roter Lichtstrahl auf den Boden fiel. Erst konnte ich nichts erkennen, weshalb ich den Taser zog, denn wie jeder gute Amerikaner war ich bereit, mich nicht mehr groß um Menschenrechte zu scheren, sobald sich jemand auf dem Grundstück eines anderen befand – und falls es kein Mensch wäre, nun, dann hatte es ohnehin keine Rechte. Erst konnte ich bloß eine rote Glühbirne erkennen, die an einem vergilbten Kabel von der Decke baumelte und die einzige eingeschaltete Beleuchtung in dem Geschäft zu sein schien. Sie tauchte die Regalreihen in ein gruseliges rötliches Zwielicht, das die Spannung steigerte und mich dazu brachte, meinen Taster fester zu halten, in Vorfreude darauf, ihn vielleicht abfeuern zu können. Doch ich musste zugeben, dass ich mir nicht so ganz sicher war, mit was ich es eigentlich zu tun hatte: Auf dem Display der Überwachungsanlage hatte ich etwas gesehen, das eigentlich mehr wie ein Geist als wie etwas Menschliches ausgesehen hatte. Und wenn es eines gab, das ich in all den Jahren als Nachtwächter gelernt habe, dann, dass etwas, das gruselig aussieht, dies meistens auch ist. Ich war bloß in dem Job gelandet weil mich die Polizei nicht mehr wollte, nachdem ich bei einem Drogendeal einem Clown ins Bein geschossen hatte; ein Unfall, den ich nur wenig bereue, schließlich kann niemand diese geschminkten Witzkisten leiden. Ich konnte sie auch nicht ausstehen, sogar noch weniger als Geister. Was ich seitdem am meisten vermisste waren die Donuts, die immer kostenlos auf dem Revier herumlagen, denn in der Mall konnte ich bloß die mitnehmen, die der Bäcker tagsüber nicht verkaufen konnte.
Vorsichtig schob ich die Türe zum Laden ganz auf und huschte hinein – irgendwann musste ich die Missetäter ja stellen. Ich konnte jedoch auf dieser Seite des Raumes niemanden entdecken, also schienen sie irgendwo vorne in dem Laden ihr Unwesen zu treiben. Tatsächlich hörte ich das Murmeln von Stimmen und ein verdächtiges Blubbern vom Ladentisch her, also huschte ich, jederzeit bereit einen Gegner zu erledigen, nach vorn. Als ich durch die Ecke eines Regals, zwischen zwei Zuckerpackungen, auf den Eingangsbereich blickte, hatte ich das Gefühl, dass mein Blut gefrieren würde und es dauerte fast zwei Sekunden bis ich begriff, dass ich neben einer Kühltruhe stand, doch die Szene vor mir war nicht minder gruselig.
Die drei Geister oder Gespenster huschten um den Ladentisch herum und spielten mit grauer Knetmasse, die sie an den Sockel der Squishee-Maschine pappten während sie gruselig lachten. Sie sahen genauso aus, wie man sich einen richtigen Geist, einen Typen vom Ku-Klux-Klan oder ein Kind unter einem Bettlaken vorstellte: Komplett in Weiß, mit dunkeln Augen, und Tonnen von waberndem Stoff um die Beine flatternd. Das Einzige das mir etwas zu denken gab war die Tatsache, dass diese Geister Markenturnschuhe trugen – ich hätte jede Wette gemacht, dass dieser Unsinn in der nächsten Welt endlich verboten worden wäre. Im schummrigen Licht der einsamen roten Glühbirne konnte ich erkennen, dass eines der Gespenster ein Surfbrett vom Boden aufhob und mit schockierend irdischer Stimme fragte: „Bereit?“
Die beiden anderen nickten und einer zog ein kleines graues Kästchen mit einem blinkenden roten Knopf aus seiner Jackentasche. Mit einem Mal begriff ich zwei Dinge: Die Untoten waren noch sehr lebendig und sie hantierten mit Sprengstoff, denn was der Geist nun in seiner Hand hielt, war ein Zünder. Mir wurde klar, dass mein Taser gegen solche Verbrecher keine ebenbürtige Waffe war, also zog ich die Klinge kalten Stahls, die ich mal im Geschäft „Küchenträume“ während meiner Schicht „gefunden“ hatte, und hielt sie in der anderen Hand bereit. Ich konnte regelrecht spüren, wie mich die Kampfbereitschaft überkam und mich mit einem wohligen warmen Empfinden erfüllte, das jenem Gefühl aufs Ei glich, das man immer hatte, wenn man sich verliebte oder frische Donuts erblickte. Sollen sie doch kommen, denn alles, was noch nicht tot war, konnte ich gut töten! Doch es kam alles ganz anders.
Das Chefgespenst drückte auf den Zünder und eine dumpfe Explosion hallte durch die leere Mall. Die Druckwelle brachte die Fensterscheiben der Ladenfront zum Bersten und schleuderte Lebensmittel durch den ganzen Kwik-E-Mart. Dann begriff ich mit einem Mal, was der Plan der drei nicht untoten Unholde gewesen war. Eine riesige Squishee-Welle ergoss sich durch die Gänge, und der Sirup floss viel schneller, als je jemand hätte glauben können. Wie ein Tsunami begrub sie alles, was sich ihr in den Weg stellte, die Tomatensuppen-Dosen genauso wie all die Corn-Flakes Packungen mit den absurden Markennamen. Ich konnte mich gerade noch damit retten, dass ich in allerletzter Sekunde auf ein Regal kletterte. Auf der Welle stand der Squishee-Surfer, heroisch und majestätisch raste er zwischen den Regalen entlang. „Sagt Gott zu mir!“, donnerte seine Stimme durch den leeren Laden.
„Niemals!“, rief ich genauso laut zurück, als die Welle auf meiner Höhe angelangt war. Ich schoss ihm mit dem Taser in den Hintern, das einzige Körperteil, das genug gegen das Bettlaken drückte, um ein gutes Ziel abzugeben. Er schrie laut auf, fiel vom Brett und innert Sekunden war er von dem Squishee-Tsunami verschluckt worden. Bevor ich mich auf die Suche nach den anderen beiden Komiker des nunmehr dynamischen Duos machen konnte, kamen sie auch schon auf dem mittlerweile zum kleinen Flüsschen abgeschwollenen Sqishee-Strom angetrieben, auf dem Rücken und zappelnd wie Schildkröten oder Roboter, die nicht mehr aufstehen konnten. Ich hob meine Klinge und achtete dabei darauf, dass sie im roten Licht der einsamen Glühbirne bedrohlich aufblitzte, bevor ich laut rief: „Ergebt euch oder schließt mit meinem rostfreien Stahl Bekanntschaft!“
Und so, liebe Freunde, habe ich die grössten Unholde in der Geschichte von Shelbyville wieder hinter Schloss und Riegel gebracht, wo sie hingehören. Natürlich hat man mir sofort wieder einen Posten bei der Polizei angeboten, diesmal in dem Büro neben dem Pausenraum mit all den wunderbaren Donuts. Wer hätte da nicht zugesagt? Und noch heute, mehr als fünf Jahre später, hängt die Schlagzeile „Rise of the Squishee Surfer“ in meinem Büro um mich immer von neuem daran zu erinnern, dass sie es nach ihrer Freilassung jederzeit wieder tun könnten. Doch das spielte keine Rolle, denn ich war bereit, meine Stadt weiterhin für ein paar lausige Dollar und ein paar weniger lausige Donuts zu retten.