Dies ist der 2. Teil der Fortsetzungsgeschichte „Hoffe auf das Beste, aber bereite dich auf das Schlimmste vor“.
Lautes Keuchen hallte durch das erste Untergeschoß der Parkgarage, als sie die schwere Feuerschutztür verschloss und damit den Schrecken des Treppenhauses endlich hinter sich lassen konnte. Erschöpft ließ sie sich an dem kalten Metall hinuntergleiten, erlaubte sich einen Augenblick der Schwäche und blendete das unerbittliche Hämmern und Klopfen aus, welches für sie zur inoffiziellen Titelmelodie der Apokalypse geworden war. Ihr Schluchzen in ihrem schmutzigen Halstuch erstickend, raffte sie sich kurze Zeit später wieder auf und beschwor ihre Nerven, noch ein wenig länger durchzuhalten, nur so lange, bis sie ihr Ziel erreichen würde. Verzweifelt schob sie den düsteren Gedanken daran, was wohl passieren mochte, wenn sie am Flugplatz ankommen würde, beiseite und hob den schweren Rucksack auf. Irgendwo in diesen verwüsteten unterirdischen Hallen, so dachte sie sich, würde sie sicher einen fahrtüchtigen Wagen finden können, also schlenderte sie durch die chaotisch parkierten Reihen und suchte die Autos systematisch ab.
„Scheiße!“ Sie fuhr erschrocken zusammen, als sie das Ding sah, das offensichtlich nicht mehr genug Verstand hatte aufbringen können, um sich vom Sicherheitsgurt zu lösen und nun unkoordiniert, jedoch nicht minder aggressiv auf dem Fahrersitz wütete. Eine verkrustete Platzwunde klaffte dort, wo früher sein rechtes Auge gewesen war und sein Unterkiefer baumelte wie ein nutzloses Anhängsel an seinem zerschlagenen Gesicht herunter; wahrscheinlich würde es hier verhungern wie ein eingesperrter und vergessener Köter. Sie haderte kurz mit sich und überlegte, ob sie das Wesen, welches noch vor wenigen Wochen ein Mensch wie sie gewesen war, erlösen sollte, entschied sich dann aber widerwillig dagegen. Wäre sie in seiner Lage, wäre sie dankbar für die Barmherzigkeit in Form einer Kugel zwischen ihren Augen, doch sie durfte sich nicht von diesen Gefühlen dazu verleiten lassen, unnötige Risiken einzugehen. Mit gefletschten Zähnen sah sie das groteske Ding hungrig an und schlug seine klebrigen, blutverschmierten Hände immer und immer wieder an die Scheibe, gierig darauf ihr frisches Fleisch zu zerreißen. „Es tut mir leid“, flüsterte sie ihm zu, wandte sich ab und wusste, dass es so richtig war.
Er war wie angewurzelt stehen geblieben und starrte sie an wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Vermutlich war er noch keine dreißig Jahre alt, doch die Strapazen der letzten Tage hatten ihn frühzeitig altern lassen. Er war von oben bis unten mit Staub bedeck, ließ seine Sporttasche fallen und hob langsam seine Hände in die Luft, währendem sie mit dem Lauf ihrer Winchester Model 70 Sporter Deluxe ruhig seinen Bewegungen folgte. „Bitte nicht schießen“, stammelte er schlussendlich heiser und räusperte sich unwillkürlich – vermutlich hatte er seit langem nicht mehr gesprochen. Ohne etwas zu sagen deutete sie auf das Lüftungsgitter, welches er aufgebrochen hatte um durch die Ventilationsschächte in die Parkgarage zu gelangen und wartete ab, bis er es wieder sicher verriegelt hatte, bevor sie fragte: „Wer bist du?“
„Clint, wie Clint Eastwood“, antwortete er und versuchte sich an einem schelmischen Lächeln, doch seine Müdigkeit raubte ihm die Glaubwürdigkeit. „Könnten Sie bitte die Waffe runternehmen? Ich werde ihnen nichts tun.“ Sie bemerkte wie ihre Arme kurz zitterten und sie sich nichts sehnlicher wünschte, als den Fremden in die Arme zu schließen, immerhin war er der erste lebendige Mensch, dem sie über den Weg gelaufen war, seitdem sie ihre Mansardenwohnung und Nick verlassen hatte. Doch irgendetwas mutete ihr seltsam an und so setzte sie den Rückschlaghinderer erneut an ihre Schulter an und fragte forsch: „Woher kommst du und was machst du hier?“
„Ich komme aus Springfield und wollte zum Flughafen um meine Freundin in Pfortzheim zu besuchen, doch dann ist…“ Er hielt inne, ließ seine Hände nach unten fallen und sah sich verloren in der düsteren Parkgarage um, bevor er leise fortfuhr: „all das hier passiert.“ Noch immer skeptisch wollte sie wissen, wieso er in dem Lüftungsschacht gewesen war, doch just in dem Moment kreischte das Ding im Auto lauthals los.
Sie zuckte heftig zusammen und sah sich unruhig um. „Sie kommen!“
Ohne weiter darüber nachzudenken, zog sie die Glock aus ihrem Hüftholster und warf sie dem Fremden Westernheld zu. Ihr würde nichts anderes übrig bleiben als ihm zu vertrauen, es war ja nicht so, als hätte sie ihn an einen Lügendetektor anschließen können. „Wenn du auch nur versuchst die Pistole auf mich zu richten, bist du tot“, ermahnte sie ihn, bevor sie ihm den Rücken zukehrte und das Gittertor fixierte, das zum oberen Parkgeschoß führte. „Mein Name ist übrigens Tess.“
Die Schüsse hallten ohrenbetäubend durch die Betonhalle, doch sie schienen den nicht enden wollenden Strom von verfaulenden Körpern nicht aufzuhalten und sie fragte sich, was wohl eher versiegen würde: Die Maßen der Infizierten oder ihre Munition. Wenn sie doch nur nahe genug an das Tor herankommen würde, überlegte sie sich, dann würde sie die Lücke mit der großen Abfalltonne verbarrikadieren können und dann hätten sie vielleicht, aber nur vielleicht, eine Chance.
Sie hörte das Aufflackern des Motors nicht und schoss instinktiv auf den langsam anrollenden Range Rover, als er an ihr vorbeifuhr und traf zum Glück nur die Stoßstange. Clint sah sie etwas verunsichert an, bevor er ihr zuwinkte und mit einem gezielten Schuss den Schädel eines ehemaligen Tankwarts zerbarst. „Tess!“, schrie er, so laut er konnte, um den Lärm des einseitigen Gefechts zu übertönen. „Steig schon ein!“ Er hatte auf sie gewartet, war nicht einfach ohne sie durch das Tor gebrettert und als sie einstieg fragte sie sich, ob er das getan hatte weil er ihre Waffen brauchte, oder weil er es, so wie sie, satt hatte dem Weltuntergang alleine gegenüberzutreten. „Halt dich gut fest, jetzt wird’s holprig.“ Clint lachte jedes Mal laut auf, wenn sie eine der Kreaturen erwischten und sie wünschte sich nach dem vierten Treffer, dass er wenigstens die Scheibenwischer einschalten würde.
Wie wild schlugen sie mit ihren verrotteten Fäusten und Stümpfen an die Scheiben des Jeeps und diejenigen, die noch konnten kreischten und stöhnten, beinahe so als würden sie nach Rache für ihre gefallenen Kammeraden schreien. Doch da war nichts mehr was an Menschlichkeit erinnerte, keine Empathie, keine Reue und während sie durch den schmalen Spalt des Beifahrerfensters mit ihrer zweiten Pistole einen um den anderen zur Strecke brachte, sah sie wie einige der Dinger damit begannen, sich an den am Boden liegenden zu laben. „Ich wünschte wir hätten Senfgas oder Sarin oder so etwas Ähnliches.“
„Was?“, erkundigte sie sich irritiert zwischen zwei Schüssen. „Na dann könnten wir gemütlich hier sitzen und zusehen wie die Biester verrecken.“ Nun war es an ihr wie eine Irre zu lachen, als sie dem jungen Mann, dessen verbissener Gesichtsausdruck sie an alte Kriegsfilme erinnerte, auf die Schulter klopfte und prustend erklärte: „Du spinnst doch.“
Sie hatten noch eine Stunde ausgeharrt, nachdem sie den Abzugshahn zum letzten Mal gezogen hatte, um sicherzugehen, dass keine unangenehme Überraschung auf sie warten würde, wenn sie aus dem Rover aussteigen. Angewidert wischte sie sich die Finger an ihrer Jeans ab, nachdem sie die verschmierte Tür zugeschlagen hatte und schritt beinahe andächtig durch die, mit Leichen – die nun tatsächlich tot waren – durchzogene Parkhalle. „Was nun, Tess?“, wollte Clint wissen und kickte beiläufig in den Kopf eines einst hübschen Mädchens, welches leise vor sich hin zuckte. „Wir essen etwas und dann suchen wir ein fahrtüchtiges Auto“, schlug sie lapidar vor und fügte etwas genervt an, dass der Jeep nicht mehr brauchbar war, weil Clint ihn gegen einen Pfeiler gesetzt hatte. „Und dann?“, entgegnete er prompt, ohne sich über das mehr als nur unappetitliche Dinner-Arrangement zu beschweren – etwas, das sie ihm hoch anrechnete und sie davon überzeugte, dass dieser unscheinbare Kerl wahrscheinlich härter im Nehmen war, als sie ihm zugestanden hätte. „Dann gehen wir zum Flugplatz und chartern einen Privatjet“, erwiderte sie grinsend und erntete dafür ein amüsiertes Kichern. „Wer spinnt denn jetzt?“ Clint zögerte kurz und schien sich nicht ganz sicher zu sein, was er tun sollte, marschierte dann aber zielstrebig zu ihr und reichte ihr die Hand. „Ach was soll‘s, es kann nur noch schlimmer werden.“