Der Geruch nach frischem Heu und Pferden lag in der Luft und ab und an war das Scharren oder Schnauben eines der englischen Vollblüter in dem ordentlichen Stall zu hören. Das Zirpen der Grillen drang durch das geöffnete Tor gut hörbar hinein und schien in der Dunkelheit der Nacht noch viel lauter zu sein, als es sonst schon war.
Chloe seufzte und strich sich eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht, wohl wissend, dass diese nur allzu bald wieder ihren Weg zurück finden würde. Insgeheim verfluchte sie ihren Friseur, der wohl noch nie einen Stall von innen gesehen hatte, da er ihr immer von seinen 500-Dollar-Fransen vorzuschwärmen pflegte, welche mindestens genauso unpraktisch wie schick waren. Im gelblichen Licht der alten, insektenumschwirrten Hängelampen, trug Chloe den leeren Eimer zurück zum Regal, bei ihr musste alles seine Ordnung haben. Angefangen hatte alles vor mehr als zehn Jahren, als sie ihr erstes Pferd gekauft hatte: Nach ihrer Heirat hatte sie nicht bloß mehr als genug Geld, sondern auch zu viel Zeit gehabt und so hatte sie sich entscheiden, ihre Freude am Reiten zu ihrem Beruf zu machen. Und wie sich sehr bald herausgestellt hatte, war es ein ziemlich rentabler Beruf geworden, gar wenn man die Gehälter der Jockeys, Stallburschen und Manager aufaddierte. Trotzdem genoss sie es wann immer möglich selbst Hand anzulegen, sie mochte den Duft des Stalls und ihre Pferde waren ihr im Laufe der Zeit ans Herz gewachsen. Vor der Box, an der nebst dem eigentlichen Namen auch der Spitzname „Rowdy“ angeschrieben war, blieb sie kurz stehen und strich dem majestätischen Hengst über die Nüstern. Er hatte schon so viele Rennen gewonnen, dass sie ihm beinahe ein kleines Denkmal auf den Hof gestellt hätte, nur um sich daran zu erinnern, dass ihr Erfolg am Ende nicht in erster Linie von ihr abhing, sondern von ihren Pferden.
Doch dann war es Rowdy mit einem Mal schlecht gegangen, er hatte zu schwächeln begonnen und schien nicht mehr wirklich fit zu sein und das obwohl er noch wirklich jung gewesen war. Es ging mit ihm so rapide bergab, dass nicht einmal mehr der Tierarzt wusste, wie er in der kurzen Zeit herausfinden sollte, was mit ihm nicht stimmte. Chloe war ratlos gewesen, hatte alles versucht, um Rowdy zu helfen und es hatte ihr nichts ausgemacht, dass die Rechnungen sich gestapelt hatten oder dass er nicht an einem sehr profitablen Rennen hatte teilnehmen können. Dann, genauso rasch wie die mysteriöse Krankheit angefangen hatte, erholte sich der Hengst wieder und gewann seine alten Kräfte zurück. Obwohl sie erleichtert gewesen war, hatte sich in Chloe ein Verdacht herauskristallisiert, der nicht lange an ihr nagen sollte, bis sie schließlich den Test angeordnet hatte.
Chloe wurde aus ihren Gedanken gerissen als sie in der Nähe der Stalltür ein Rascheln hören konnte. Instinktiv zuckte sie zusammen und hob die Hand mit dem Eimer, um wenn nötig zuzuschlagen. Doch sie konnte nichts in dem dunklen Rechteck erkennen, bloß der Fluchtstab lehnte noch im Türrahmen, da wo die Landvermesser, die halfen den neuen Anbau zu planen, ihn am Abend stehengelassen hatten. Verwirrt schüttelte sie den Kopf und stellte den Eimer aufs Regal; wahrscheinlich waren es einige trockene Grashalme gewesen, die von einem Luftzug gestreift worden waren. Chloe warf einen letzten prüfenden Blick in die Boxen am Ende des Stalles, bevor sie sich zum Gehen wandte.
Als Chloe die Gestalt im Türrahmen erkennen konnte, begriff sie sofort, was Sache war und erstarrte. Nach einem Augenblick fragte sie möglichst ruhig: „Dana, was machst du hier?“
Die Managerin starrte sie an und erklärte dann mit unterdrückter Wut: „Du hast es vermasselt.“
Chloe schritt entschlossen auf die jüngere Frau zu und blieb dicht vor ihr stehen, sie hielt ihre Managerin nicht für eine große Bedrohung. „Nein, du dopst meine Pferde und als du gegen Rowdy gewettet hast, musstest du ihn außer Gefecht setzen. Und nun kann ich es beweisen und dafür sorgen, dass du dafür bezahlst – niemand schadet meinen Tieren.“
Dana machte ein verächtliches Gesicht und schnaubte. „Deine Pferde? Ach bitte, du hast sie damals ja wohl kaum mit deinem Geld gekauft, da warst du doch bloß ein Trophäenweibchen. Und jetzt bist du eine Erbin, die selbst langsam alt wird und die nur Erfolg hat, weil ich dafür sorge. Also hör endlich auf, ein solcher Zelot zu sein, streich dein Geld ein und setz dich in eine Ecke!“
Chloe schlug der Verräterin mit der offenen Hand ins Gesicht und glaubte, dass sie von dem lauten Klatschen ein Echo im Stall wiederhallen hören konnte. Sie bemerkte, dass die Pferde unruhig wurden und wandte sich deshalb der Tür zu. „Verschwinde von hier, Dana.“
Chloe konnte ein zischendes Geräusch in der Luft hören, doch es reichte nicht mehr auszuweichen, als der Fluchtstab ihren Hinterkopf hart traf.
Als Chloe wieder zu sich kam, dauerte es nur ganz kurz, bis sie begriff in was für einer Lage sie war. Ihre Hände waren auf den Rücken gefesselt und der Griff ihrer jüngeren Kontrahentin in ihrem Nacken war zu stark, als dass sie sich hätte befreien können. Panisch wehrte Chloe sich, doch Dana drückte bloß fester und ließ sie nicht zu Atem kommen. Sie konnte nicht einmal das Gurgeln des Brunnes hören, in dem sie unter Wasser gedrückt wurde. Unzählige Gedanken schossen durch Chloes Kopf, blitzschnell, sodass sie ihnen kaum folgen konnte. Würde sie sterben? Konnte Dana damit tatsächlich ungestraft davonkommen? Sie fühlte sich verraten und ihre Gedanken wurden immer schwammiger und wirrer, da sie mittlerweile kaum noch bei Bewusstsein war. Die panische Angst wich einer ruhigen, fatalistischen Gewissheit – und in ihren letzten Augenblicken dachte Chloe daran, dass sie bereits vom Labor Bescheid erhalten und den Verband informiert hatte.