Sven schlug die Tür zu der verlassenen Berghütte zu und lehnte sich keuchend an den Rahmen. Der Geruch nach altem Bergkäse lag in der abgestandenen heißen Luft, unangenehm und beißend. Das späte Nachmittagslicht fiel durch die zwei Fenster, sodass in der staubigen Luft einzelne Sonnenstrahlen erkennbar waren. Mittlerweile waren wieder die Grillen zu hören, die bei Svens Ankunft verstummt waren. Gehetzt blickte er sich um; endlich war er alleine und fürs Erste sicher. Noch immer schwer atmend schob er den modrigen Holzriegel vor und lehnte sein Gewehr neben der Tür an die getäfelte Wand. Dann warf er die rot verfärbten Einweghandschuhe, die er in der linken Hand gehalten hatte, auf den Boden – immerhin hatte er so den Gegnern keine allzu offensichtliche Spur hinterlassen. Dann blickte er sich in dem Raum um, der ein Ess- oder Wohnzimmer zu sein schien. In der Mitte des Zimmers lag ein riesiger und abgewetzter roter Orientteppich auf dem Boden. Darauf stand ein massiver, gebeizter Holztisch mit zwei Stühlen. Eine nackte geschwärzte Glühbirne hing von der Decke, doch sonst war der Raum leer. Er humpelte zum Tisch und zog ihn zu dem Fenster, das nicht direkt neben dem Eingang lag – wenn es schon hier ein Ende finden sollte, dann würde er es ihnen so schwer wie irgend möglich machen und so viele er konnte mitnehmen. Er kippte das schmutzige Möbelstück so, dass die Platte das Fenster grösstenteils verdeckte. Wenigstens eine Öffnung weniger, die er verteidigen müsste.
Bei der Anstrengung zuckte ein starker Schmerz durch Svens Bein. Er biss die Zähne zusammen und versuchte, die Qualen in seinem rechten Knie zu ignorieren. Bereits den ganzen Tag machte ihm seine Dysplasie zu schaffen und je weiter er den Berg hochgerannt war, desto schlimmer waren die Schmerzen geworden. Er atmete einige Male tief durch und stieß einen leisen Fluch aus, bevor er sich wieder einigermaßen gefasst hatte. Er wusste genau, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb, doch er musste sich hinsetzen und sein Bein für einige Zeit entlasten; also humpelte er zurück zu der Waffe, hob sie auf und setzte sich auf den Orientteppich. Die Schmerzen ließen rasch etwas nach, was es ihm einfacher machte, die Munition zu prüfen. Es waren nicht mehr genügend Schüsse, um ein Überleben wahrscheinlich zu machen – doch immerhin genug, dass er mit etwas Glück einige Gegner mitnehmen konnte, bevor es zu Ende ging. Das letzte Gefecht – man würde sich noch lange Geschichten über seinen Heldentod erzählen und er würde als Märtyrer in Erinnerung bleiben.
Seine ganze Kompanie war erledigt worden; sie hatten die Flanke des Berges nicht halten können. Offensichtlich war es nicht immer von Vorteil, die höher gelegene Stellung zu besetzen, vor allem dann nicht, wenn die Gegner viel bessere Kämpfer waren. Wahrscheinlich hatten diese bloß zwei oder drei Mann verloren, während sie die Stellung im Sturm erobert hatten. Nun war Sven der Einzige der noch von seiner Kompanie übrig war und es war ziemlich sicher, dass er sehr bald von mehr als zehn Feinden umstellt sein würde, die nur darauf warteten ihn auch noch zu erledigen. Doch er würde es ihnen nicht so einfach machen – nicht, solange er auch nur einen Schuss übrig hatte. Er fragte sich, was seine letzten Worte sein sollten, die er schreien wollte, während er auf alles schießen würde was sich da draußen bewegte. Nicht, dass es dann noch eine große Rolle spielte, doch er legte Wert darauf, dass seine Gegner wissen würden, dass er bis zum allerletzten gekämpft hatte. Noch immer konnte er die Schmerzen in seinem Knie fühlen, doch er wusste, dass sie bald nicht mehr wichtig wären. Das letzte Gefecht lag unmittelbar bevor. Sven prüfte seine Waffe ein letztes Mal und atmete tief durch; mittlerweile hatte er sich gar an den alten Käsegestank gewohnt.
Plötzlich verstummten die meisten Grillen und ein Rascheln im Gras war zu hören. Sven erhob sich langsam und möglichst leise, nun zählte der Überraschungseffekt und er würde nur eine Chance haben. Er ging möglichst langsam auf die Eingangstür zu und lehnte sich gegen die Wand neben dem noch freien Fenster, sodass man ihn von draußen kaum sehen konnte. Er konnte hören, wie sich seine Gegner in Stellung brachten und ihre Waffen bereitmachten; eine quälende Unruhe überkam ihn. Von den Geräuschen vor dem Fenster versuchte er darauf zu schließen, wie sich der Feind aufstellte. Er konnte hören wie jemand Befehle flüsterte und begriff, dass sich fast alle Soldaten vor der Tür und den beiden Fenstern aufstellten. Sie würden wohl versuchen, die Öffnungen mit Streufeuer zu belegen sobald er auch nur seinen Kopf heraussteckte. Doch so leicht würde er sich nicht erledigen lassen, schwor er sich. Nach weniger als einer Minute war es so weit und die Gegner verstummten – offensichtlich waren sie in Position. Sven atmete tief ein und trat mitten in die Fensteröffnung. Dann geschah alles innert Sekunden. Er hob seine Waffe und schrie so laut er konnte: „Team Blau gibt nie auf!“ Dann feuerte er alle verbleibenden Schüsse auf die Gegner ab, die im Gras lagen. Zufrieden bemerkte er, dass er zwei erwischte, bevor er mehrere Treffer abbekam und die Farbe der unzähligen Paintball-Geschoße seinen Kampfanzug in ein Jackson-Pollock-Gemälde verwandelte.