Tag des Buches Special | Herr Schmidts lesender Geier … oder auf dass Bücher wertvoller sein mögen als Waffen

Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.

Die kühle Brise fegte feinsten Sand über seinen ausgestreckten, ledrigen Körper und eine hoffnungslos ausgetrocknete Distel blieb an seinem graumelierten Haar hängen, währendem er mit weit aufgerissenen Augen in den Nachthimmel blickte und die Abermillionen von Sternen zu zählen schien. Nicolas Schmidt war ein anständiger, wenngleich auch etwas langweiliger Mann gewesen, dessen Tage von der Arbeit und dessen Nächte von seiner liebenden Frau verschlungen worden waren und nie im Leben hätte er damit rechnen können, dass er für so lange Zeit unter dem klaren Sternenhimmel der Sahara verweilen würde, obwohl ihm das mit Sicherheit gefallen hätte. Als Nicolas Schmidt vor drei Tagen hatte aufbrechen wollen, um sich mit einem mysteriösen Klienten zu treffen, hatte Frau Schmidt die feinen Wildlederschuhe wieder aus seinem Koffer stibitzt, ihn nachsichtig angelächelt und ihm vom zerstörerischen Effekt des Wüstensands auf gegerbte Haut erklärt und obwohl er ihren Rat nicht immer verstand, hatte er sie umarmt und anderes Schuhwerk eingepackt. Nun lag er am Rand einer alles verschlingenden Düne und wäre noch ein wenig Saft in ihm zurückgeblieben, hätte er sich mit Sicherheit wie ein abgewetzter Wildlederschuh gefühlt.
Nicolas Schmidt war keine außerordentlich hübsche Leiche, aber immerhin war sein Gesicht nicht zu einer dieser grotesk anmutenden aufgeblähten Masken geworden; er sah einfach so aus, wie man sich Herrn Schmidt als langsam austrocknendes Geierfutter so vorstellte. Glamourös war dieses Dasein zwar nicht, aber er hätte etwas Trost darin finden können, dass das unwirkliche heiß-trockene Klima der Wüste ihn innerhalb seiner ersten zwei Leichentage soweit dehydriert hatte, dass dieser übliche unangenehme Geruch, welcher einem noch jungen Leichnam zuweilen anhaftete, wie ein Insekt am Fliegenfänger, beinahe ganz verschwunden war. Und obwohl Nicolas Schmidt sich doch etwas darüber geärgert hätte, dass ein freches Insekt von seinen Augen genascht hatte, war ihm das in seinem jetzigen Zustand doch weitgehend gleichgültig und so verharrte er, mit einem scheinbar verdutzten Ausdruck, am Fuß seines Sandberges und wartete darauf, von einem verirrten Beduinen gefunden zu werden.

Das ganze Desaster hatte vor einigen Wochen ganz unschuldig begonnen, so wie die meisten Katastrophen mit einem weiteren nichtssagenden Morgen beginnen, und man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Herr Schmidt die Klingel ignoriert hätte, hätte er den Ausgang seines kurzen Abenteuers damals erahnt. Aber ein Abenteuer wäre keines, wüsste man im Vorherein dessen Ende und so hatte er an jenem friedlichen Samstagvormittag den Controller seiner Playstation, welche seine Frau mit Leidenschaft verabscheute, auf den Couchtisch gestellt, war zur Tür gegangen und hatte dem Fremden die Tür geöffnet. Es war ein hagerer Mann, dessen wahres Alter in den tiefen Falten seines Antlitzes zu versinken schien und der ihm ohne viele Worte einen, in transparente Folie verpackten, Bambus, einen schweren Geigenkasten und ein in Seidenpapier geschlagenes Buch reichte, ihm gutmütig auf die Schulter klopfte und dann genauso wortkarg wieder verschwand. Verwirrt über die ungewöhnliche Begegnung, war Nicolas Schmidt noch einige Augenblicke auf der Veranda verharrt, bevor er die unverhofften Gaben ins Haus getragen hatte um sie in seinem Restaurationsatelier unter genauer anzusehen. Nachdem er den Bambus gedankenverloren in eine der vielen Ming-Vasen gestellt hatte (endlich waren diese teuren Dinger für etwas zu gebrauchen), hatte er sich am Schloss des Kastens zu schaffen gemacht um kurz darauf eine ihm unbekannte Schusswaffe in Händen zu halten. Noch aufgeregt vom ersten Fund, hatte er das alte Buch sorgfältig ausgepackt und war mehr als nur ein wenig enttäuscht, dessen Seiten leer vorzufinden, aber immerhin hatte das gute Stück zwei Jahrhundertwenden gesehen und war trotz einiger Macken in gutem Zustand und für einen Sammler von derartiger Handarbeit sicherlich eine willkommene Bereicherung in der Vitrine. Und weil das gewissermaßen wortlose Buch so hübsch war, hatte Herr Schmidt es sich doch nicht nehmen lassen, die Seiten gemächlich durchzublättern, weswegen er die zarte blaue Blume entdeckt hatte, die im letzten Blatt handgeschöpften Papiers verewigt war.
Frau Schmidt hatte sich fürchterlich über ihn aufgeregt und ihm damit gedroht, seine Playstation dem Nachbarsjungen zu schenken, wenn er die seltsamen Fundstücke nicht sofort der Polizei übergeben würde, doch er hatte ihre Besorgnis abgewiegelt und beschlossen, alles, außer dem Bambus natürlich, gründlich aufzuarbeiten und auf seiner Antiquitäten-Website (www.herrschmidtsantiquitäten.com) feilzubieten. Und siehe da, wenige Stunden danach hatte er eine freundliche E-Mail von einem Interessenten erhalten, welcher versprach noch am selben Abend vorbeizukommen und obwohl Hausbesuche mindestens genauso unüblich waren, wie fremde Männer, die einem stumm Antiquitäten und Grünzeug schenken, hatte er dem Treffen eingewilligt; eine weitere Entscheidung, die er später gerne hätte rückgängig machen wollen, selbst wenn das bedeutet hätte, Frau Schmidt ausnahmsweise Recht zu geben.

Drei mächtige Geier kreisten in den Morgenstunden seines nun dritten Leichentags über Nicolas Schmidt und schätzen seine Schmackhaftigkeit aus der Vogelperspektive ab, bevor sie sich neben ihm niederließen und ihm einige trügerisch ruhige Sekunden beinahe andächtig Ehre erbaten, bevor sie sich über ihr großzügiges Frühstück hermachten. Herrn Schmidt störte die Gesellschaft nicht sonderlich, besonders deswegen nicht, weil das Gefieder seiner neuen Tischkammeraden so schön in der aufgehenden Sonne schillerte. Er hätte sogar ein wenig schmunzeln müssen, hätte er sehen können, wie einer der Greifvögel verzweifelt versuchte an den interessanten Inhalt des Einmachglases zu gelangen, welches noch immer unangetastet an Nicolas Schmidts Gürtel hing und die letzte, nur scheinbar unbeschriebene, Seite des ominösen Buches beherbergte.

„Er sagt, er gehöre zum Geheimdienst“, hatte ihm Frau Schmidt ängstlich erklärt, als sie ihm auf seinem Weg aus dem Atelier auf der Treppe entgegengekommen war, währenddessen besagter Agent mit einer Limonade im Wohnzimmer zurückgeblieben war und auf ihn wartete, wie ein x-beliebiger Dinnergast. „Ach was“, hatte Herr Schmidt gelacht und das Metall der einzigartigen Waffe nochmals mit einem löchrigen Lederlappen nachpoliert, bevor er seinen Gast höflich begrüßte und ihm das alte, aber dennoch leider wertlose Stück hinhielt. „Wo ist das Buch?“, hatte er gefragt, ohne Zeit für die üblichen Begrüßungsfloskeln zu verschwenden. „Ich muss es an einen sicheren Ort bringen und sie, Herr Schmidt, werden mitkommen.“

Autorin: Rahel
Setting: Sahara
Clues: Playstation, Schusswaffe, Bambus, Geheimdienst, Einmachglas
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3 Gedanken zu „Tag des Buches Special | Herr Schmidts lesender Geier … oder auf dass Bücher wertvoller sein mögen als Waffen“

    1. Hallo werte Katharina
      und vielen lieben Dank für dein schmeichelhaftes Feedback! Ich freue mich natürlich ganz besonders, dass du meinen lesenden Geier in deiner Literaturwelt vorgestellt hast und dir Herr Schmidts unerwartet friedliches Ende gefallen hat!

      Nachdem ich auf deinem Blog der Schmöckerei verfallen bin, liegt es nun an mir dir ein Kompliment zu machen und dir zu deinem ungewöhnlichen Literaturverständnis zu gratulieren; deine Lesefreude ist so erfrischend wie sie fundiert ist und deine Schreibkicks werden mich sicher früher oder später zum fanatischen Tippen animieren!

      Liebe Grüsse und die besten Wünsche an dich und den Bücherwurm in deinem Hirn.
      Rahel

    2. Vielen Dank zurück für das ebenfalls schmeichelhafte Feedback!
      Es freut mich doch immer, Menschen zum Schreiben und Lesen zu animieren, und wenn man dann tatsächlich hört, dass man Leute anregt, ist das umso besser. :)

      Beste Wünsche auch an dich un deinen Bücherwurm – der ist zurzeit wohl aktiver als meiner…

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