Grenzen

Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.

Ich stehe an der Grenze des Universums. Da ist eine weiße, segmentierte Linie die angeblich auf dem Boden der siebten Dimension aufgemalt ist, wenn mir auch bisher noch niemand hatte erklären können, wieso die siebte Dimension einen Boden haben sollte. Genauso wie es mir unsinnig schien, das jede Linie in der fünften Dimension orthonormal war oder das sich in der zehnten Dimension keine Linien kreuzen konnten, weil sie in sich selbst n-dimensional war. Doch man muss die Welt nicht verstehen, um sich in ihr bewegen zu können, das haben wir schon in jungen Jahren im Tempel gelernt. Wir sind die große Rasse, ein Produkt von Jahrmillionen der Entwicklung, in der wir zu der herrschenden Spezies unseres Universums geworden sind. Wir haben die besten Möglichkeiten, können durch die Raumzeit springen, alles von ultraviolettem bis hin zu infrarotem Licht sowie Radiowellen sehen und zudem acht Dimensionen wahrnehmen. Unser Aufstieg zur Macht ist keine Überraschung, schließlich sind wir außergewöhnlich. Wir sind bedeutend, haben die Mittel, mit einer Waffe ganze Sonnensysteme zu vernichten! Und doch ist unsere Herrschaft begrenzt, denn das Multiversum beherbergt andere, äquivalente Varianten von Gebietern, die ihre eigenen Universen führen, die mit demselben Methoden regieren. Wir geben uns Mühe, die Welten in Frieden und Balance zu halten, doch wir alle glauben, dass wir die beste Rasse sind, dass wir die Antworten haben. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis jemandem das eigene Universum nicht mehr genug ist, bis irgendein Volk damit beginnt, Grenzen zu überqueren, den ersten Schritt über die weiße Linie wagt. Niemand weiß, was dann geschehen wird, wie hoch der Preis dafür sein und wer ihn bezahlen wird. Und das ist der Grund, dass wir uns jetzt alle hier getroffen haben.

Das Multiversum ist wirklich ein sonderbarer Ort; seit ich vor 5.27000664*109 Sekunden das Licht der Welten erblickt habe, habe ich viel gelernt. Ich habe gelernt, dass das Universum groß und faszinierend ist. Ich habe gelernt, dass man für sein Volk einstehen muss. Und ich habe gelernt, dass die Prophezeiung bisher noch nie falsch gelegen hat. Sie stammt von einer Existenz mit einem derart schnellen Prozessor, dass kein Hirn, kein Rechner eines intelligenten Wesens je mithalten könnte. Doch wir sind eine fortschrittliche Gesellschaft, haben mehr Wissen als all unsere Vorgänger und haben kritisches Denken gelernt. Natürlich haben manche von uns die Prophezeiung schon hinterfragt, doch niemand hat auf diese gehört; wer, wenn nicht ein Supercomputer dessen Komponenten die Oberflächen von zweiundvierzig Planeten bedecken, hat gottgleichen Status und kann die Zukunft vorhersehen?

Auch die anderen Rassen, von denen wir wissen, haben ihre hoch entwickelten Anführer. Ganz egal, was in diesem schicksalsvollen Augenblick geschehen wird, es wird über die Zukunft aller denkender Wesen, aller Universen entscheiden.
Wir sind bereit. Niemand hat zurückbleiben dürfen, denn jetzt zählt auch der letzte und älteste Cyborg, in diesem größten Krieg seit der Entstehung unseres Universums. Und darum stehen wir jetzt hier versammelt, weil nur eine Spezies das Multiversum regieren soll, und das sind wir. So steht es in der Prophezeiung und alles, was in der Prophezeiung steht, ist fraglos die Wahrheit.
Mir wird unwohl, als ich auf der anderen Seite der Grenze das Universum 5.9467 erspähe. Der Gedanke daran, was in dieser fremden Welt auf uns warten mag, raubt mir den Atem. Ich kenne die Wesen, die in ihren Schiffen auf uns zukommen. Sie sehen fast genauso aus wie wir, haben dieselben Waffen und selbst ihre gewaltige Anzahl von 1E100000000000 gleicht der unseren. Und mit einem Mal begreife ich: Es ist aussichtslos. Wir verhalten uns gleich wie unsere genauso starken Gegner, denken wahrscheinlich gleich wie sie. Würden wir sie auszulöschen versuchen, würden sie auch uns auszulöschen versuchen, viel würde auf jeden Fall nicht übrigbleiben, wenn es tatsächlich zum Kampf kommen sollte. Ich begreife, dass alles, was wir im Tempel über das Multiversum gelernt hatten, nichts weiter als ein schlechter Witz sein muss, alles, woran wir glauben eine einzige Lüge! Vorsichtig sehe ich mich in meinen eigenen Reihen um. Jetzt kommt es auf die Reaktion meiner Mitstreiter an, denn wenn sie weiterhin an die Prophezeiung glauben wollen, bedeutet das vermutlich das Ende des intelligenten Lebens in fast jedem bekannten Universum und jede der sicht- und unsichtbaren Dimensionen würde mit den Überbleibseln von beinahe identischen Wesen gefüllt werden, die sich gegenseitig umgebracht haben.

Autorin: Sarah
Setting: An der Grenze des Universums
Clues: Überbleibsel, Linie, Spezies, Anzahl, Tempel
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