Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Das ist Hans. Er ist schlecht zu sehen, einerseits weil er sich hinter dem Yucca-Palmen-Regal versteckt und andererseits, weil meine Zeichenkünste nimmer ausreichen, eine ordentliche Skizze von Hans in meinen zerfledderten Notizblock zu kritzeln. Nun gut, Hans lässt sich ja auch beschreiben, also versuche ich das: Knapp eins neunzig hoch, kurzgeschorenes, haselnussbraunes Haar, passend zu den moosgrünen Augen, sehnige Gestalt, sportlich, dennoch nicht übermäßig durchtrainiert, volle Lippen, welche sich pink gegen die leicht gebräunte Haut abheben sowie einige sauber getrimmte Bartstoppeln. Anhand diesen Eckdaten könnte man annehmen, Hans wäre ein recht ansehnlicher Bursche, zumindest ein Durchschnittstyp mit den einen oder anderen äußerlichen Vorzügen. Deswegen wäre eine Skizze wesentlich besser geeignet, um Hans auf Papier festzuhalten, in einer Zeichnung ginge seine unfassbare Hässlichkeit nämlich niemals in neutralen Adjektiven unter, sondern wäre absolut offensichtlich. Sein verunglücktes Aussehen ist allerdings nicht der Grund, weshalb Hans hinter schätzungsweise zwölf bis sechzehn mannshohen Yucca Palmen in Deckung gegangen ist, nein. Ich bin mir zwar sicher, dass ihm seine optischen Einschränkungen durchaus bewusst sind (kann mir bildlich vorstellen, wie oft und brutal ihm dieser Umstand von Männlein wie Weiblein zulasten gelegt wurde), er weiß jedoch genauso um mein Desinteresse solchen Angelegenheiten gegenüber. Denn anders als seine unfassbar grässliche Hackfresse vermuten lässt, ist Hans ein echt feiner Kerl, wenn auch durch und durch verrückt.
Vor einigen Monaten hat er damit angefangen vor dem Schlafengehen diese Hausfrauensendungen zu schauen, in denen Kriminalfälle für ein geistig unbegabtes Publikum aufgearbeitet werden. Es gibt verschiedene dieser Formate, beginnen tun sie trotzdem alle gleich und danach geht es ebenso repetitiv weiter. Der Täter sei bereits mehrfach straffällig geworden und verhielt sich auffällig, wird regelmäßig behauptet, zur Abwechslung war er auch mal ein überaus freundlicher Zeitgenosse und Familie wie Nachbarn total schockiert von seinen Zerstückelungskünsten. Mit Luminol kann man übrigens selbst geringste Mengen von Blut nachweisen, da ist sogar die beste Putze wirkungslos, wird in der einen Folge erzählt, nur damit in der nächste erneut erwähnt werden kann, dass Luminol wirklich super ist, um selbst die winzigsten Blutmengen aufzuspüren. Nicht zu vergessen ist, wie viel man aus dem Tropfenmuster von Flüssigkeitsspuren herauslesen kann (große Tropfen, geringe Geschwindigkeit, kleine Tröpfchen, hohe Geschwindigkeit), wobei man dieses Wissen getrost in den hintersten Winkel des Verstands, hinter die unangenehme Begegnung mit dem masturbierenden Sportlehrer in der Umkleide, abdrängen dürfte, schließlich wird jede Information in kurzen Intervallen wiederholt.
Naja, dieses spätabendliche Unterhaltungsprogramm ist für Hans‘ Ausflug hinter die Yucca-Palmen-Wand verantwortlich. Jeder normale Mensch käme beim Genuss solcher Sendungen auf die Idee, sich das perfekte Verbrechen auszudenken. Selbstverständlich ohne Absicht dieses Vorhaben, welches durch dumme Ausführung und dümmere Motive ohnehin zum Scheitern verurteilt wäre, („Danke fürs Unterschreiben der Lebensversicherung, Schatz. Ups, jetzt bin ich aber ungeschickt über die Flinte gestolpert.“) in die Tat umzusetzen. Nicht so Hans, oh nein. Anstelle davon zu fantasieren, wie es wäre, der eigenen Frau zum fatalen Treppensturz zu verhelfen, kauert Hans hinter Yucca Palmen und übt sich in der Spurensuche. Es sagt einiges über einen Mann, wenn dieser weder ein gerissener Krimineller, noch ein heroischer Polizist, sondern ein auf dem Boden rumkriechender wissenschaftlicher Assistent sein möchte. Hans war schon in im Kindergarten ein Nerd und blieb es bis heute. Weshalb er Assistent statt Forensiker sein will, habe ich ihn bei unserem letzten Treffen im Pub gefragt und er antwortete schulterzuckend: „Ach, dazu steht mir ein langer Weg des Lernens bevor.“ Korrigiere: Ein bescheidener Nerd.
Gerade eben streckte er sein verwittertes Gesicht durch die Yucca Palmen, sah sich nach mir um und kam dann erfreut mit einem in ein Plastiksäckchen verstautem Blümchen herbeigetrottet. Zu blöd, dass mir die Voraussicht fehlte, ebenfalls hinter Gestrüpp in Deckung zu gehen. „Schau, das lag unter dem Regal“, verkündete er aufgeregt und erwartete irgendeine Gemütsregung meinerseits. Vergeblich. Ich murrte lediglich gelangweilt und wies ihn an, mich meinem Notizblock zu überlassen, was man als unhöflich bezeichnen könnte, ignorierte man die Tatsachen: Gegen meinen Willen wurde ich vor der Morgendämmerung geweckt und in den vermaledeiten Landschaftsgärtnereiladen geschleppt, bloß weil der Vollpfosten sich vom nächtelangen Fernsehen zum Rumschnüffeln hat inspirieren lassen. „Peter, da ist etwas faul“, hat er gemeint, nachdem er wie ein Gespenst an unserem Bettende aufgetaucht ist. Meine Frau kreischte erst, befürchtete wohl, einer der Mörder aus ihren und Hans‘ Lieblingssendungen habe es unerklärlicherweise auf sie abgesehen, ehe sie schnaubte und den nächtlichen Besucher mitsamt seinem besten Freund (mir, dem armen Tropf) aus dem Schlafzimmer scheuchte. Wenige Minuten darauf saßen wir in der Küche, ich vollends entnervt, Hans einen Rollmops aus dem Glas fischend und vor sich hin schwafelnd, er habe eine Eingebung gehabt, was mit dem Gärtner geschehen sein musste.
Ja, der Fall des verschwundenen Gärtners versetzte unsere Gemeinde seit Wochen in helle Aufruhr, so natürlich auch den frischgebackenen Kriminologiejunkie Hans, der eigentlich Politologe war, aber in seiner Freizeit wie ein kleiner Bengel Polizist, pardon, wissenschaftlicher Assistent spielte. Anders als Hans lässt mich der flüchtige Gärtner kalt, denn in meinen Augen gibt es weitaus spannendere Geschehnisse zu beobachten, zum Beispiel Entwicklungen, für welche Hans komplett blind zu sein scheint. Die Tragödie mit Hans ist, dass er trotz seiner überaus öden Fernsehgewohnheiten unfähig ist, den Zusammenhang zwischen den lustigen Bläschen im Badewasser und dem darauffolgenden Stinken auszumachen. Da krabbelt er nun zwischen Yucca Palmen herum, fahndet nach einem alten Gärtner und wundert sich kein einziges Mal, weshalb seine Frau stets Überstunden macht, seit der neue Kollege in ihre Abteilung versetzt wurde. Ich gebe zu, lange war es nur ein vager Verdacht, eine böse Unterstellung, könnte man sagen, bis ich die beiden Turteltauben letzte Woche küssend hinter der Feuerwehrwache ertappte. Ich sollte es Hans sagen, ihn vor dem Verlust seines überaus hässlichen Gesichts bewahren. Vielleicht lasse ich meinen Notizblock in seinem Wagen liegen, wenn er mich im Anschluss an unseren unsinnigen Ausflug hierhin zur Arbeit fährt und zähle auf seine Neugier. Gleichzeitig hoffe ich, er lässt sich gleich zu Beginn von meinen Tiraden über sein Aussehen abschrecken (entschuldige) und wirft das Heft wütend aus dem Fenster, bevor er zum letzten Absatz kommt. Sofern nicht, dann … Lieber Hans, es tut mir leid. Ich lade dich auf ein Bier ein.