Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Langsam rollte das gelbe Taxi die letzten Inches und kam zum Stehen. Der Mann mit dem Sofakissen, das noch in der Plastikfolie einer chemischen Reinigung eigewickelt war, bezahlte, verließ den Wagen und verschwand dann mit seiner Fracht in einem der Sandsteinhäuser.
Ich lehnte mich zurück, nahm einen tiefen Atemzug und schaltete das Licht auf dem Dach aus. Es war mitten in der Nacht und der Regen prasselte auf das Wagendach, offenbar würde es nach dem strengen Winter auch noch einen stürmischen Frühling geben. Und nun, da die Osterfeiertage vor der Tür standen, musste ich weiterhin mit meinem Taxi durch die Stadt kurven und Geschäftsleute mit vergoldeten Chronometern genauso wie Bauarbeiter mit Platzwunden zu ihrem Ziel bringen. Und ganz egal ob sie zur Wall Street oder zur Notaufnahme des Mercy-Krankenhauses wollten, immer konnte ich mir von hinten denselben Satz anhören: „Geht das auch ein bisschen schneller?“ Doch wenn ich ehrlich zu mir sein wollte war ich froh, dass ich an den Feiertagen arbeiten musste. Auch wenn die Kunden mühsamer und gestresster waren als sonst, so konnte ich mich von der Verpflichtung drücken, meine Verwandtschaft zu besuchen, die mindestens genauso nervenaufreibend war; allerdings zog sich eine Taxifahrt nicht so lange hin wie die Torturen eines Familienfestes.
Gerade als ich den Motor starten wollte, um an einen Ort mit mehr potentiellen Kunden zu fahren, klopfte jemand an die Scheibe. Ich fuhr zusammen, als ich in die riesigen Plastikaugen eines überdimensionierten Osterhasen starrte und unvermittelt entwich mir der Ausruf: „Heilige Flitzekacke!“ Als ich genauer hinschaute konnte ich drei Hasen (oder besser, der Statur nach zu urteilen, Männer in Hasenkostümen) erkennen, die große Jutesäcke über ihren Schultern trugen. Ich kurbelte das Fenster herunter und der braune Hase fragte mit erstaunlich tiefer Stimme: „Können Sie uns nach Brooklyn bringen?“
„Klar“, entgegnete ich und die drei wohlgenährten Osterhasen quetschten sich auf die Rückbank, was meinen Wagen etwas zum Wanken brachte. Während ich mir die Adresse sagen ließ, fuhr ich los und fädelte mich in den dünnen Verkehr ein. Noch vor ein paar Minuten hätte ich gedacht, dass ich heute schon das ganze Kuriositätenkabinett an Fahrgästen gesehen hatte, unter anderem ein Koksdealer der beinahe seine Ware auf meiner Rückbank hatte liegen lassen und ein vor Homophobie geradezu triefender Straßenprediger. Doch Osterhasen mit riesigen Jutesäcken in der Nacht waren zweifellos ein Novum, sogar an Ostern.
„Na, viele Eier dabei?“, fragte ich über die Schulter, während ich auf die Straße zu achten versuchte, auf der sich unzählige Lichter spiegelten. Die drei brachen beinahe unisono in Gelächter aus und einer erklärte: „Ja, Eier muss man haben“, während sein gescheckter Kumpel hinzufügte: „Für ein paar Karotten geben wir gern welche ab.“
Etwas verwirrt murmelte ich: „Ich hab nur einen Schokoriegel dabei, das ist eher ungesund für Hasen“ und widmete mich wieder ganz meiner Aufgabe. Ich fragte mich, was die drei Hasen im Schilde führten, und mir war nicht mehr ganz wohl bei der Sache, daher schloss ich die Trennscheibe zum Fahrgastraum. Nennen wir es einfach mal das berühmte Bauchgefühl, etwas, das man als Taxifahrer mit ein wenig gesundem Menschenverstand schnell genug lernte, das sich heute jedoch etwas zu spät eingeschaltet hatte. Etwas an diesen Karnickel war mehr als nur ein bisschen komisch. Wer fuhr schon mit schweren Jutesäcken in der Nacht durch die Stadt, fragte ich mich und begann insgeheim damit, mir auszumalen, was sie alles angestellt haben mochten. Nach mehreren absurden Szenarien, die sich in meinem Kopf abspielten, während ich auf die Brooklyn Bridge fuhr, langte ich bei der Theorie an, dass sie Einbrecher waren, die ihre Säcke mit Beute gefüllt hatten. Vielleicht hatten sie sogar Waffen dabei, überlegte ich beunruhigt und begann fieberhaft zu überlegen, wie ich mein Langohr- oder Langfinger-Problem loswerden konnte. Aber mir blieb nicht besonders viel übrig, außer sie an ihrer Adresse abzuliefern und zu hoffen, dass ich mich in ihnen täuschte.
„Hast du das C-4 dabei?“, hörte ich in diesem Augenblick von der Rückbank. Ich blickte unauffällig in den Rückspiegel und begriff, dass die Hasen offenbar nicht realisiert hatten, dass ich sie durch das Fenster verstehen konnte. „Klar“, entgegnete der Gescheckte, während er in seinem Sack wühlte.
„Pass doch auf, du Trottel“, zischte ihn der Braune an. „Das Zeug kann hochgehen!“
Mein Magen verkrampfte sich und während ein Teil meines Verstandes noch angestrengt versuchte, herauszufinden, wieso Kriminelle auf einem Raubzug ein Taxi nehmen sollten, beschäftigte sich der andere damit, wie ich unauffällig die Polizei rufen konnte. Der dritte Hase im Bunde mit dem schwarzen Fell begann ebenfalls in seinem Sack zu kramen und erklärte dann zufrieden: „Die Maschinenpistolen sind auch noch da.“
„Hast du sie noch alle?“, fuhr ihn der Braune genervt an. „Das sind keine Spielzeuge!“
Noch bevor der andere etwas entgegnen konnte, hörte ich eine kurze Abfolge von scharfen Knallen und einen markerschütternden Aufschrei. Ich fuhr herum und konnte den bewaffneten Hasen murmeln hören: „Ups.“
„Du hast mir in die Eier geschossen!“, rief der Braune aus und man konnte seiner Stimme die Schmerzen anhören, so wie er klang, würde er jeden Augenblick in Ohnmacht fallen.
„Los, wir müssen zur nächsten Notaufnahme“, schrie der Gescheckte in meine Richtung, so als hätte ich bisher nichts mitbekommen. Während ich artig wendete und so tat, als spielte sich nicht gerade die absurdeste Szene der ganzen Stadt auf meiner Rückbank ab, hörte ich den Schwarzen rufen: „Nein, wenn wir ihr zur Notaufnahme bringen, kommen uns die Cops auf die Spur.“
„Wir können ihn doch nicht einfach so sterben lassen“, entgegnete der Gescheckte panisch.
„Okay, nach den Eiern in die Rübe“, kommentierte der schwarze Hase trocken, zog einen Revolver aus seinem Sack und schoss dem Verletzen in den Kopf. Ich fuhr zusammen und verriss vor Schreck das Lenkrad, sodass ich in einen Brückenpfeiler knallte.
Benommen von dem Aufprall auf den Airbag schlug ich die Augen auf. Ich konnte um mich herum das Blaulicht erkennen, das sich auf dem Straßenbelag spiegelte, gepaart mit dem unerträglichen Heulen von Sirenen und den Rufen von Sanitätern. Langsam, ganz vorsichtig sah ich mich um: Mein Taxi war von Autowracks umgeben, offenbar hatte ich einen größeren Auffahrunfall ausgelöst. Feuerwehrleute krabbelten wie Ameisen über einen zur Seite gekippten Volvo und hoben ein Kind, das Nasenbluten hatte und seinen Plüschhasen hielt, durchs Rückfenster heraus.
„Der hier hat eine Fraktur“, konnte ich jemanden von der anderen Seite rufen hören, da wo mir die Sicht durch einen Lieferwagen versperrt wurde, der auf der Kühlerhaube grünen Ford stand. Als ich mich endlich mühselig aus meinem Sicherheitsgurt befreit und umgewandt hatte, konnte ich die drei Hasen sehen, die weiterhin auf meiner Rückbank saßen: Die zwei, die vorher noch gelebt hatten, steckten dabei mit blutverschmierten Köpfen in der zersplitterten Trennscheibe, die vor der Rückbank angebracht war. „Ja, dieses Jahr kommt der Osterhase definitiv zu spät“, murmelte ich, als ein Polizist an mein Fenster klopfte und mich der grelle Schein einer Taschenlampe blendete.