Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Die Tür ging auf und damit verstummte das hektische Stimmengewirr. Hector atmete auf, genoss die Sekunde der Ruhe, ehe die Gesellschaft aus Berichterstattern, Filmteams und Schaulustigen in lautes Gebrüll ausbrach. Die Lobby des Parlamentsgebäudes versank im Chaos, alle stürmten zu Senatorin Redondo, welche sich, soweit es ihr möglich war, hinter ihren Bodyguards versteckte. Der offene Brief ihres Schwiegersohns hatte sie über Nacht zur Zielscheibe für die Presse gemacht.
„Senatorin Redondo, Senatorin Redondo, was sagen Sie zu den Anschuldigungen?“, rief die perfekt gestylte Korrespondentin der Regionalnachrichten.
Hectors Fotograf trat ihn unsanft in die Ferse, stolperte und stieß mit dem Tripod gegen seine Hüfte. Sie waren sich derartige Aufruhr gewöhnt, sich durch aufgeregte Menschenmassen zu drängeln, gehörte eben zum Beruf des Journalisten mit dazu. Er war mitnichten ein Grünschnabel, lange war es her, dass er mit einer wässrigen Misosuppe aus dem Discounter in seiner Studentenbude gehockt war und für die Abschlussprüfungen gebüffelt hatte.
„Seit wann wussten Sie von der Schwangerschaft Ihrer Tochter?“, grölte der etwas untersetzte Reporter des drittgrößten nationalen Radiosenders.
Hectors Illusion vom ehrenhaften, wahrheitsstrebenden Journalismus war kurz nach seiner Einstellung bei der berüchtigten Regenbogenpresse verblasst. Keuchend bugsierte er sich eine Reihe weiter nach vorne, passierte dabei schmunzelnd seine Erzrivalin von der Plazagazette, die ihm letztens an der Filmpreisverleihung ein Bein gestellt hatte. Misosuppe und Ethos hatte er direkt nach der Abschlusszeremonie entsorgt und gegen Banketts und Einschaltquoten eingetauscht.
„Senatorin, haben Sie seit dem Brief mit Ihrem Schwiegersohn gesprochen?“, wollte der hagere Typ von der städtischen Abendzeitung wissen.
Seine Aufgabe war simpel und bestand im Wesentlichen darin, die Kamera im Blick zu behalten und Politiker mit irrelevanten Fragen zu ihrem Privatleben zu belästigen. Wichtige Angelegenheiten blieben anderen überlassen und wurden, so traurig es war, in der Regel kaum beachtet. Rafael, seinen portugiesischen Fotografen, beim Ärmel packend, schubste Hector eine junge Frau beiseite, die verzweifelt ein Mikrofon in die Richtung der Senatorin hielt.
„Woher nehmen Sie sich das Recht, Ihrer Tochter ein Kind aufzuzwingen?“, warf die übereifrige Neue von der nationalen Rundfunkanstalt ein.
Hector war trotzdem gerne Klatschreporter. In erster Linie weil er wusste, als Hampelmann für die Imagen Diario ein riesiges Publikum zu erreichen, im Gegensatz zu seinen überheblichen Berufskollegen in den seriösen Nachrichten. Diese mochten zwar bei jeder Gelegenheit herablassende Kommentare zu seiner Arbeit abgeben, allerdings war doch jedem klar, wer mehr Einfluss auf das Volk nahm und deren knochentrockene Berichterstattung war es nicht.
„Senatorin, wie erklären Sie Ihr Verhalten den Wählern?“, forderte der ergraute Schreiberling einer auflagestarken Tageszeitung zu erfahren.
Gekonnt schlängelte er sich zwischen einigen Kameraleuten hindurch und schaffte es damit in die vierte Reihe. Über jeden Pupser der Reichen, Schönen und Mächtigen zu berichten, war durchaus stressig, dennoch unterhaltsam und weit weniger anstrengend, als sich tagtäglich mit verworrener Politik auseinanderzusetzen. Sich mental auf seinen Auftritt vorbereitend, schob er sich mit ausgefahrenen Ellenbogen vor einen grimmig dreinschauenden Bodyguard.
„Dürfen wir das Bedrängen Ihrer Tochter als Stellungnahme zur Abtreibungsdebatte verstehen?“, kläffte die selbstgerecht grinsende Journalistin einer renommierten Medienanstalt.
Spätestens seit den Wahlen am siebenundzwanzigsten September vor zweieinhalb Jahren und dem ganzen Theater um Katalonien war ihm die Lust am ernsthaften Journalismus gehörig vergangen. Nein, alleine die Idee, die Finessen eines modernen Staates verstehen zu müssen, war Hector zuwider. Ganz zu schweigen vom Risiko, in kontroversen Debatten als Spielball zwischen den Seiten zu enden. Er schätzte sich glücklich, sich um die Banalitäten zu kümmern. Genau so war das.
„Señora Redondo, wie beurteilen Sie die Forderungen nach Ihrem Rücktritt?“, blaffte die gehetzt wirkende Moderatorin des Morgenmagazins.
Senatorin Redondo schlurfte hinter einer Wand aus menschlichen Schutzschildern Zentimeter um Zentimeter weiter. Bislang hatte sie jede Frage ignoriert, während ihr Pressesprecher mit stoischer Miene widerholt beteuerte, die Aussage ihres Schwiegersohns sei lediglich Aufmerksamkeitshascherei eines belanglosen Beamten. Selbstverständlich gab sie diesen Aasgeiern keine Auskunft, zumindest nicht ohne ihre Medienberater.
„Senatorin, wo befindet sich Ihre Tochter zurzeit?“, erkundigte sich das Aushängeschild der ältesten Zeitung höchstpersönlich.
Hector sah seine Chance gekommen und bedeutete Rafael, sich bereitzuhalten. Sicher, die Imagen Diario beschäftige sich nicht mit den zentralen Themen, die das Land bewegten und natürlich hatte er sich seine Karriere damals im Studentenheim anders vorgestellt. Aber allen zerplatzten Träumen, dem Spott der Kollegen, ja sogar dem konstanten Selbstbetrug zum Trotz, bekam Hector immer, wirklich immer seine Antwort!
„Welchen Designer werden sie heute Abend bei der Premiere tragen?“