Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
„Da lebt man in einem Industrieland und muss sowas über sich ergehen lassen“, zeterte Beate, in Richtung des Kellers gestikulierend. „Es ist eine Schande!“
Das Publikum für ihren Mini-Ausraster bestand einzig aus Kater Ferdinand, denn die Kinder waren in der Schule und der Ehemann im Büro. Der getigerte Ferdinand, normalerweise ein fabelhafter Zuhörer, gähnte, linste kurz zur Kellertür und trottete schließlich desinteressiert von dannen. „Ja, hau ruhig ab, ich würd‘ auch, wenn ich könnte, nur leider wohnen wir hier nicht zur Miete!“
Resigniert steckte Beate erneut den Kopf ins dunkle Loch und sog den Heizölgeruch ein – den Lichtschalter wagte sie nicht zu betätigen. „Wird man davon high?“, murmelte sie und nahm einen weiteren Atemzug, ehe sie etwas enttäuscht feststellte: „Nein.“
Da ihr Tagesplan nach der Entdeckung sowieso über den Haufen geworfen war, schlurfte sie zum Telefon und wählte die Nummer, die sie eben nachgeschlagen hatte. Beate hätte schon vor zehn Minuten anrufen sollen, doch sie hasste Telefongespräche und zögerte sie meist lange heraus. Deshalb war sie Hausfrau geworden, deshalb, und weil sie schwanger gewesen war. Wenn ihr aber das Heizöl bis zum Hals stand (okay, es waren lediglich zehn Zentimeter), musste sie wohl oder übel in den sauren Apfel beißen.
„Heizungstechnik Meyer und Maier GmbH, Meier am Apparat“, tönte die gelangweilte Stimme einer Sekretärin am anderen Ende.
„Guten Tag, Thommen hier.“ Beate schnaufte tief durch. „Mein Heizöltank ist ausgelaufen und ich brauche jemanden, der ihn repariert und den Keller abpumpt.“
Meier rief erschrocken aus: „Um Himmelswillen, benachrichtigen Sie die Feuerwehr!“
„Nein, nein“, beschwichtigte Beate sie. „Ich kann nicht wegen jedem Kinkerlitzchen die Feuerwehr holen, das wird viel zu teuer. Das Zeug kann man hurtig zurück in den Tank pumpen, die paar toten Kellerasseln vom Boden werden der Heizung schon nicht schaden. Die brennen bestens.“
„Ich bin ziemlich sicher, dass ein solcher Einsatz gegen das Arbeiterunfallversicherungsgesetz verstößt und …“
Beate kannte solche Trullas (sie war selbst einmal eine gewesen) und wusste genau, wie unwahrscheinlich es war, dass die Sekretärin eine Ahnung von Gesetzen hatte. Außerdem klang diese Meier sehr jung, war also bestimmt unerfahren. „Schicken Sie bitte einfach einen Monteur vorbei, in Ordnung?“, flötete sie versöhnlich. Erst nach mehreren Minuten diskutieren, in denen Beate all ihre Überzeugungskraft aufgebringen musste, um ihre Gesprächspartnerin davon abzubringen, die Feuerwehr zu alarmieren, stimmte diese zu. Erschöpft von der ungewohnten Herausforderung legte sie auf, setzte sich hin und schmollte: „Ich brauche eine Zigarette, wieso habe ich auch mit dem Rauchen aufgehört?“ Sie kratzte sich entnervt am Haaransatz. „Ach, klar, Kinder.“ Gewissenhaft hatte sie ihr Laster vor der ersten Schwangerschaft aufgegeben, die Kinder sollten sich ja möglichst gesund entwickeln. Gebracht hatte es wenig, der Jüngste hatte eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, die Teenagerin war depressiv und latschte als Goth herum der Älteste sammelte Samuraischwerter-Imitate und las diese japanischen Comics. „Na, wenigstens sind sie alle einigermaßen friedfertig“, gluckste Beate und erhob sich. Besser, sie schloss die Kellertür, bevor Ferdinand in der Brühe schwamm, der sprang auch manchmal in die Badewanne. Im Vorbeigehen sah sie, wie Ferdinand vor einem Bücherregal hockte und zur Decke starrte. „Du bist ein seltsamer Kater.“
Wie üblich schellte die Türklingel exakt dann, wenn Beate auf dem Klo saß. „Ich hasse diese Welt, echt!“ Rasch erhob sie sich halb, zog am Fenstergriff und brüllte in den Garten: „Komme gleich, nicht weggehen!“ Trotz der unpraktischen Störung war sie froh, war jemand da, der sich um die braune Brühe im Keller kümmerte (die braune Brühe in der Schüssel unter ihr spülte sie indes selbst herunter).
An der Tür angelangt, stand sie dem Fachmann gegenüber, der, wie es sich für stereotype Handwerker gehörte, einen blauen Overall trug.
„Schönen Tag, ich habe gehört, sie haben ein Problem mit dem Öltank?“
„Und dem Keller“, fügte sie an und besann sich ihrer Manieren: „Ah, guten Tag, übrigens. Wenn man knietief im Heizöl sitzt, vergisst man zu grüßen.“
„Tja, wär’s Erdöl, wären Sie reich“, kommentierte er und lachte über seinen eigenen Witz, als sie ihn zur Kellertür führte. „Pumpen wir ab, neuer Tank rein und alles ist bestens.“ Nachdem er ausgiebig in der Nase gebohrt hatte (das tat ihr Kleinster auch ständig), ergänzte er: „Na ja, bis darauf, dass der Keller voller Heizölrückstände ist, dafür müssen Sie halt …“
„Eines nach dem anderen“, stöhnte Beate. „Dieser Tag ist schon schlimm genug.“
„Natürlich, natürlich.“ Der Fachmann erspähte ein Familienfoto auf dem Tischchen und deutete mit dem Daumen auf ihren Mann: „Uh, ein Nadelstreifenanzugträger, da haben Sie sich aber den richtigen geschnappt. Der ist garantiert Manager oder Mafiaboss.“
„Beides“, entgegnete sie lapidar (er war Manager … soweit sie wusste) und öffnete die Kellertür. „Brauchen Sie noch was?“
Der Monteur schaltete das Licht ein und musterte skeptisch die Bescherung. „Da war wohl die Heizölrückstoßabdämpfung kaputt, was?“
„Ich weiß, was ein Isogramm ist, mit der Masche können Sie mich nicht verunsichern und dann mehr verrechnen“, gab sie zurück. „Ich bin dreifache Mutter, ich habe alle Meme- und Unnützes-Wissen-Seiten, die es je gab, in Wartezimmern gelesen.“
„Keine Bange, kleiner Scherz. Ich hol die Pumpe.“
Endlich, endlich war der Lärm verstummt, der Heizungstechniker vorerst verschwunden und Beate hatte ihre Ruhe. Ferdinand war auch gefüttert und schlief friedlich auf dem Esstisch („dass du da sein darfst, wenn keiner zuhause ist, ist unser kleines Geheimnis, ja?“, pflegte sie ihm jeweils zu sagen). Nun war es für sie an der Zeit, sich ihrem Nachmittags-Entspannungsritual hinzugeben, Beates Lieblingsbeschäftigung. Sie ging zum Kühlschrank, griff sich ein hartgekochtes Ei und begann es zu schälen. „Eierbrötchen und Tee lassen alle Sorgen verblassen“, frohlockte sie, begleitet vom Brodeln im Wasserkocher. Egal was geschah, was schief lief, wenn sie sich ihrem Eierbrötchen widmete, konnte sie nichts aus dem Konzept bringen. Nicht einmal der laute Fluch des Handwerkers vor dem Haus, als das abgepumpte Heizöl aus seinem Tank ins Beet mit den Lupinen sickerte. Oder der Schrei des Nachbarjungen, der auf der Pampe ausrutsche. Und erst recht nicht die Feuerwehr, die gerade erschien, um das Desaster wegzuräumen, als sie ihren letzten Bissen nahm.