Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
„Keine Sorge, ich bin Profi“, versicherte Gundel und ließ sich auf dem Stroh nieder. „Ich mache das bereits seit Ewigkeiten in Vollzeit.“
Martha dagegen wirkte wenig überzeugt und flüsterte ihrer alten Freundin zu: „Das sagst du bei jeder, die in die WG einzieht – guck sie dir an, sie ist noch fast ein Küken.“
„Ich kann dich hören, dummes Huhn“, zischte die Neue. „Und ich heiße übrigens Corina.“
Beschämt blickte Martha auf ihre Füße und gluckerte kleinlaut: „Na dann, willkommen im Hühnerstall.“ Damit stakste sie weg und Corina wandte sich irritiert an Gundel: „Was ist mit der los?“
„Was weiß ich, die ist seit jeher komisch“, entgegnete Gundel mit einem Kopfzucken. „Wo war ich? Ah, genau, die Arbeitsbedingungen hier sind ziemlich locker. Du legst, soviel geht und pickst die Körner, die es gibt. Ein normaler Job eben. Einzig vor Ostern herrscht Produktionsdruck.“
„Das sollte klappen. Und wie sind die anderen Glucken so?“
„Ganz okay. Sogar Martha nervt selten, sie ist bloß misstrauisch, weil sich mal ein Jungfuchs in den Betrieb schleichen wollte. Meist ist sie nicht so ein Mimöschen.“ Gundel schnaufte durch und schüttelte ihr braunes Gefieder aus. „Und woher kommst du?“
„Aus dem Süden, Kükenhof Kannenbach“, antwortete Corina. „Eigentlich ganz nett da, nur die Busverbindungen sind echt mies. Da kommt man von hier bequemer in den Supermarkt.“
„Kannenbach? Da war ich noch nie.“
„Ist ganz nett da“, wiederholte die Junghenne. „Vor allem die Gebäude sind besser als hier. Allein der Lichteinfall, der blendet offenbar jeden Morgen. Und ich befürchte, ihr habt kein elektrisches Fuchsgitter im Boden, oder?“
„Och, so schlimm ist es jetzt auch wieder nicht“, gurrte Gundel. „Wir hatten ein Gitter, aber Katharina war zu dämlich und hat zu tief gescharrt. Hat Feuer gefangen, die Arme, vertrug die Hochspannung schlecht, der Stall roch tagelang nach Brathähnchen.“ Gundel seufzte fatalistisch. „Wie auch immer, wegen des darauffolgenden Shitstorms auf Tweeter wurde das Gitter vom Strom getrennt. Ohne Säge kommen Füchse trotzdem nicht rein und im Ort hat es keinen Baumarkt.“
„Wenn du das sagst.“ Corina pickte nachdenklich einige Körnchen. Bei all den Bauernhöfen in der Gegen wäre es für die Füchse ein Leichtes, eine Säge zu klauen, überlegte sie und wechselte rasch das Thema. „Ich hoffe, der Osterstress lässt noch ein paar Tage auf sich warten.“
Der Mond stand hoch am Himmel, als Corina die Augen aufschlug und sich verwirrt im Stall umsah. Es dauerte ein Weilchen, bis sie richtig aufwachte. Leise ging sie zur Tür und prüfte das Schloss, alles schien in Ordnung zu sein. Zufrieden hielt Corina inne und kramte ihr Handy zwischen den Federn hervor. Sie wählte eine Nummer und berichtete der Stimme am anderen Ende: „Alles sauber, Boss. Ich arbeite an der Perimeterverteidigung.“ Daraufhin verstaute sie das Telefon, schaltete den Anruf auf den Ohrstöpsel und watschelte zum Sicherungskasten.
Corina hatte ein paar Geheimnisse: Sie war nicht aus Kannenbach und war schlecht im Eierlegen, dafür ein wahrer Profi in einer anderen Branche. Seit sie für die CIA, die Chicken Intelligence Agency, tätig war, hatte sie über zwanzig Fuchsangriffe abgewendet, fünf Luftschläge koordiniert und etliche Verräter hinter Gitter gebracht. Niemand hätte es der jungen Glucke angesehen, aber sie war ganz schön ausgefuchst. Wie es in ihrem Gewerbe üblich war, hatte sie einige Dinge erlebt, an die sie sich nicht erinnern möchte – Gundels Geschichte der feuerfangenden Henne ließ sie entsprechend kalt. Mehr als einmal hatte sie Feuerbomben auf Hühnerställe fallen sehen und ihre Agency hatte Hinweise auf einen bevorstehenden Angriff erhalten. Doch heute Nacht sollten keine Hennen brennen – nicht, wenn Corina es verhindern konnte. Mit geschickten Beinen drehte sie die Sicherung für das Fuchsgitter herein. „Sollen sie kommen“, murmelte Corina und zog ihren Taser aus dem Gefieder hervor.
Wie aufs Stichwort erklang ein gequältes Quietschen eines Fuchses, der offenbar am Gitter gesägt hatte. Winselnd rannte das Tier vom Hühnerstall weg in Richtung des Wassers. „Wir haben Feindkontakt“, meldete sie über ihr Headset, während um sie herum dutzende Hennen erwachten, hier und da vor Schreck ein Ei legten und wild durcheinandergackerten. „Ruhe, nach dem Geschrei kräht kein Hahn!“, blaffte Gundel autoritär und schaffte es in der Tat, die Aufruhr zu unterbrechen. Martha, die im nun eingeschalteten Licht als erste Corinas Waffe bemerkte, fragte besorgt: „Was ist denn los?“
„Füchse“, meinte Corina, die den Taser im Anschlag aus dem Fenster linste. „Wir haben eine Meute Jagdhunde bestellt, die sie vertreiben werden. Und wenn sie zurückkommen, gibt es einen Drohnenschlag gegen die Fuchsbauten.“
„Wer bist du? Und wer sind ‚wir‘?“, wollte Gundel skeptisch wissen.
„Ich bin von der CIA, wir haben Informationen, dass die Füchse heute einen Überfall planten … egal, lange Geschichte.“
Für einige Zeit herrschte überraschtes Schweigen. Schließlich erkundigte sich Martha: „Und wieso hast du uns das verheimlicht?“
„Weil eine Verräterin unter uns weilt“, gab die Agentin zurück. „Ich bin nicht bereit, nach der Mission wegzugehen, ohne sie festzunehmen.“
Erstauntes und alarmiertes Scharren ertönte, dann rief Corina: „Na, war die Bezahlung gut? Was haben dir die Füchse geboten, alle zu überreden, den Strom zum Gitter auszuschalten?“ Sie legte eine dramatische Pause ein, ehe sie ergänzte: „Und was hat Katharina gesehen, dass du sie in Brand gesetzt hast? Sie war nicht so blöd, wie alle glauben, oder?“
Paranoid schauten die Hennen umher und versuchten, die Verräterin zu entlarven. Auch Corina konnte lediglich raten, wer die Schuldige war, sie hegte allerdings keinen Zweifel, es gleich herauszufinden. Sie hatte eine ganze Menge Tricks auf Lager. Sekunden später war ein Knall zu hören und Rauch stieg aus einer dunklen Ecke des Stalls auf. „Mathilde ist explodiert und steht in Flammen“, brüllte Martha panisch.
„Natürlich tut sie das“, schmunzelte Corina kühl. „Sie wollte ihren Weg aus dem Stall graben und entkommen, bevor sie verhaftet wird. Ich habe das Gitter wieder eingeschaltet, daran dachte sie nicht.“ Manchmal, nur manchmal, ist es nicht tragisch, wenn Hennen brennen, befand die Agentin und erklärte: „Keine Bange, ich bin Profi.“