Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
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„Was für ein hübscher Tag, Trudi.“ Mathilde winkte Gertrude aus ihrem Vorgarten zu, als diese die Hauptstraße von Hintergürbels entlangschlenderte. In dem Dörfchen zwischen den Hügeln, wo gerademal viermal täglich ein Postauto hielt, war selten viel los, daher freute sich Mathilde auf den allmorgendlichen Klatsch mit der Nachbarin. „Schönes Wetter heute, was?“, begann sie, allerdings ignorierte Gertrude ihre Geplänkel. Die Frühlingssonne, der blaue Himmel und die blühenden Apfelbäumchen, ja selbst die im Garten aufgehängte Bettwäsche der anderen Rentnerin, die sie normalerweise gern kritisierte, ließ sie kalt. Stattdessen sagte sie erstaunt: „Du hast noch nichts von der Sache mit Kurt mitbekommen?“
Kurt der Bäckermeister war einer, den alle im Dorf kannten, sogar Leute aus Vordergürbels radelten bis zu seinem Geschäft, um in den Genuss seines Holzofenbrotes zu kommen. Seine Bäckerei war die einzige Attraktion in der Gegend, wahrscheinlich hatte der Mann mehr Einfluss auf die Kommune als der Gemeindepräsident in Person. Was es auch war, ging es um ihn, war der Klatsch garantiert der Rede wert.
„Nein, was ist mit Kurt?“, wollte Mathilde sogleich erfahren und lehnte sich wissbegierig über den Zaun. Seit er sie, weil sie sich über ein zu dunkles Brot beschwert hatte, eine Meckertante genannt hatte, war Mathilde nicht abgeneigt etwas Negatives über den Dorfhelden zu hören.
„Du weißt, wie der jeden Mittwoch am Abend mit dem Firmenwagen wegfährt? Lange habe ich gedacht, der gehe zu einem Parteitreffen oder so, aber ich glaube, der macht da was Finsteres. Vielleicht fährt der in die Stadt, vielleicht nur um die Ecke … niemand weiß es.“ Um ihre Aussage zu untermalen, hustete Gertrude und zündete sich einen Glimmstängel an. Die Dame im Blumenkleid war eine ausgezeichnete Erzählerin, Gertrude war gespannt wie ein Flitzebogen. „Sag schon, was stellt er an?“
„Na ja, jedes Mal beim Wegfahren lädt er einen großen, schwarzen 110-Liter-Müllsack in den Lieferwagen und wenn er wiederkommt, hat er keinen mehr dabei.“
„Und? Halt mich nicht hin, Trudi!“, lachte Mathilde und tippte nervös mit den Fingern gegen ihr Kleid.
„Gestern habe ich ihn durch das Fliegengitter beobachtet. Der Sack scheint ziemlich schwer zu sein, ich bezweifle, dass Kurt darin Mehl von der Bäckerei wegschmuggelt.“
„Ja, und?“ Mathilde zuckte mit den Schultern, da senkte Gertrude verschwörerisch ihre Stimme: „Weshalb macht er das in der Dämmerung? Ich sage dir, da ist was im Busch, womöglich entsorgt er seine Holzkohle illegal im Wald, allenfalls ist es viel schlimmer! Wir müssen an der Sache dranbleiben!“
„Okay, gehen wir dem auf den Grund“, pflichtete Mathilde bei. „Ich frage in meiner Facebook-Gruppe, was Kurt in seinen Säcken transportieren könnte.“
Die Melodie des neuesten Pop-Hits pfeifend, schleppte Bäcker Kurt seinen 110-Liter-Müllsack zum zerdellten Fiat-Lieferwagen, den er vor Jahren Second Hand von der Post gekauft hatte, und hievte ihn mit einem Grunzen hinten ins Gefährt. Nichts auf dieser Welt konnte Kurts Laune verderben, weder die Pop-Up-Werbung einer Pornoseite, die ihn beim illegalen Herunterladen seiner Lieblingsserie störte, noch die dichten, pitschnassen Flocken, die gerade vom Himmel fielen und dem Begriff „Aprilwetter“ alle Ehre machten. Er schlug die Hecktüren zu und wollte gerade einsteigen als Gernot, der Dorfpolizist, dazu trat. „Kurt, altes Haus, wie geht’s dir?“
„Gut, danke. Na, auf Streife bei dem Wetter?“
„Eigentlich komme ich zu dir.“ Gernot wirkte ungewohnt ernst, was Kurt eher beiläufig bemerkte.
„Der Laden ist geschlossen, ich reserviere dir gerne eine Bestellung für morgen. Ein Kilo Ruchbrot, wie üblich? Ich muss noch rasch was erledigen, kommst du nachher im ‚Bären‘ auf ein Bierchen?“
„Öhm …“, druckste Gernot herum, was Kurt stutzen ließ. „Was ist?“
Mit dem Daumen deutete Gernot aufs Auto, trotz des spärlichen Dämmerlichts sah ihm der Bäcker an, wie er errötete. „Kann ich rasch in deinen Sack schauen?“
Kurt blieb stehen und sah seinen Freund ungläubig an. „Den Müllsack? Im Auto?“
„Ja, genau den.“
Kurt entriegelte die Tür und machte dem anderen Platz. „Klar. Wieso?“
„Danke.“ Der Polizist rieb sich seufzend über den Bart, bevor er meinte: „Es gibt da Berichte, du … naja, du hättest was mit dem organisierten Verbrechen zu tun.“
„Hä?“ Entgeistert starrte der Bäcker ihn an, bis er schließlich verwirrt den Sack öffnete. „Bitte schön, trockenes Brot für die Hühner und Schafe der Bäuerin Beatrice aus Nebengürbels. Ich liefere es ihr im Tausch gegen Eier.“
Erleichtert atmete Gernot tief durch. „Da bin ich froh. Klingt nach einem prima Deal. Sind ihre Eier gut?“
„Super, die Hühner haben Freilauf, plus die Schafmil…“ Kurt unterbrach sich. „Moment! Was sollte ich mit dem organisierten Verbrechen zu tun haben?“
„Jemand hat dem Polizeiposten anonym was gemeldet und wir gingen dem nach. Dorfklatsch vermutlich. Wird wohl die Meier sein, die erzählt ständig Geschichten. Aber von mir hast du das nicht, ja? Ich muss schweigen, sonst krieg ich Probleme.“
Nun brach Kurt in Gelächter aus. „Komm schon, ich bei der Mafia? Hier bei uns im Kuhdorf?“
Gernot gestikulierte resigniert. „Dorfleben halt. Die gucken alle zu oft Tatort und amerikanische Serien. Am besten lässt du bei Gelegenheit einen der Säcke offen rumstehen, wenn Leute da sind, dann ist das Mysterium geklärt und du hast deine Ruhe.“
„Ja, das werde i…“ Mit einem Mal breitete sich ein diabolisches Grinsen auf dem Gesicht des Bäckermeisters aus. „Nein, das bleibt zwischen uns. Und nächste Woche trage ich eine schwarze Jacke und einen Hut beim Einladen. Das wird bestimmt lustig, was dann hier im Kaff passiert.“
Gernot gluckste amüsiert: „Du alter Hund, mischst wieder das Dorf auf, was? Tja also, ich habe Dienstschluss und gehe in den ‚Bären‘. Treffe da den Mann der Meier, der ist immer am Stammtisch, werde dem sagen, dass ich ihm nichts zum Fall ‚Kurts Säcke‘ sagen darf, sollte er fragen.“