Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Hu war entspannt, genoss die momentane Ruhe im Eulenhorst, im ganzen Wald. Sie streckte ihre Flügel, wobei ihre Gelenke nur so knackten und schnappte sich dann die Gießkanne, um die Geranien vor dem Horst-Eingang zu bewässern. Kaum hatte Hu die Fenster aufgemacht, war es mit ihrer Gelassenheit vorbei; sie konnte einige Waldameisen ausmachen, die singend an den Baumstamm pinkelten. „Verschwindet, ihr Banausen, das stinkt zum Himmel!“, uhute sie und kippte das abgestandene Gießwasser über die Störenfriede, ehe sie das Fenster zuschlug und entnervt zurück in die Küche stakste.
„Huhu-huhu“, schallte der Klingelton durch den leeren Horst und mit einem gebrummten „Auch das noch!“ kramte Hu ihr iPhone aus dem Federkleid. Das Display verriet ihr, dass der Anruf von Ha stammte, einer Kollegin, die am anderen Ende des großen Waldes nistete. Zwar konnte Hu sie gut leiden, nur hatte Ha bei manchen Dingen eine eigenartige Sicht auf die Dinge und das Leben, welche Hu hier und da auf den Kieker ging: Ha war schlicht und ergreifend zu mitteilungsbedürftig. „Huhu?“
Schon seit einer geschlagenen Stunde lauschte Hu den Alltagsgeschichten ihrer lieben Miteule, ignorierte gelegentliche laute Scharren deren Kunstnägel auf dem Handy und lachte mit, wo es sich gehörte. Da sie dazu eine Beschäftigung suchte, kritzelte sie eine Agendaseite ihres dicken Büchleins mit einem Bleistift voll, während Has Erzählungen niemals enden wollten. „… und da sage ich ihm: ‚Nene, Mister, wir sind hier ein sauberer Wald, wir wollen nichts mit dem Kuckucks-Klan zu tun haben.‘“
Es war zu spät, Hu hätte das Gespräch besser kontrollieren müssen; sehr zu ihrem Verdruss waren sie mal wieder bei der Politik angelangt. Ihr ging es genauso wie dem Rest der Fauna, auch sie konnte die radikalen Deppen vom Kuckucks-Klan überhaupt nicht ausstehen. Sie hätte es bevorzugt, wenn ihre Freunde den Punkt erreichten, an dem sie in der Lage waren, vernünftig über das Thema zu reden, statt sich gleichermaßen zu empören und zu radikalisieren. Ohne gute Ausrede in Petto, rief Hu: „Hui, schon so spät? Sorry, ich muss los!“ und legte auf.
Erst nach Einbruch der Dunkelheit motivierte sich Hu dazu, die Trivialität des Alltags hinter sich zu lassen und wurde halbwegs wach; kein Wunder bei ihrer Nachtaktivität. Trotz ihres plumpen Körpers hüpfte sie leichtfüßig auf den Balkon des Horsts, breitete die Schwingen aus und segelte davon. Nun lag das kleine Eulenanwesen verlassen da, eine Tatsache, die Fiep die Spitzmaus zufrieden zur Kenntnis nahm. Rasch setzte er die Feldstecher ab und machte sich an den gefährlichen Aufstieg. Kletterklauen ausgefahren, Ziel anvisiert. Fiep wurde von allen als Spitzbube betitelt, obwohl seine offizielle Berufsbezeichnung „Katzeneinbrecher“ wäre. Aus naheliegenden Gründen, gingen ihm beide Bezeichnungen gegen den Fellstrich. Nach einer kurzen Kletterpartie bestieg Fiep den die von einigen Glühwürmchen erleuchtete Terrasse. Er sah in dem Schein keine ausgefeilten Sicherungssysteme wie Laser, Selbstschussanlagen oder schlafende Katzen, weswegen er sich spitzwegs oder kurzerhand daran machte, in den Eulenhorst einzusteigen.
„Verdammt, wieso bin ich nicht doch zur Elster gegangen, die hat wenigstens Wertsachen“, wetterte Fiep, als er die letzte Truhe öffnete und darin frenetisch wühlte, was ausschließlich alte Eulenfedern zum Vorschein brachte. Gerade wollte er entmutigt eine Feder als Souvenir einpacken und sich mit seinem Basejumping-Fallschirm aus dem Staub machen, als er mit seinen spitzen Ohren ein Flattern vernehmen konnte, welches zweifellos die Rückkehr der Eule verkündete. Panisch sah Fiep sich um, bevor er sich dazu entschied, in die Federtruhe zu steigen, da er sie für ein sicheres Versteck hielt. Durch einen schmalen Spalt linsend, erkannte er Hus gigantische, glimmende Augen, ehe sie die Innenglühwürmchen anknipste. „Was für eine Nacht“, stöhnte sie müde und ließ sich auf einem knarzenden Sessel nieder. Fiep verfluchte seine langsamen Reflexe, dieser unförmig schräge Vogel würde sicherlich die ganze Nacht mit Lesen verbringen und ihm jede Flucht verhindern. Die Federn kitzelten ihn in der spitzen Nase und machten die Warterei zu einer regelrechten Tortur. Wie lange brauchte so eine verdammte Hauseule, um einzupennen?!
Durch das Rauschen eines Funkgeräts aufgeschreckt, zuckte Fiep zusammen. Bedächtig stellte Hu ihr Weinglas zur Seite und pulte das Gerät aus ihrem Gefieder. „Crimson One an Nightowl“, plärrte eine fremde Stimme aus dem Lautsprecher.
Hu drückte offenbar auf einen Knopf (zumindest nahm Fiep das an) und antwortete: „Hier Nightowl.“
„Was ist ihr Status, Nightowl?“
„Der Aufklärungsflug verlief erfolglos, nichts Neues zu berichten. Dafür hat der Speck eine Maus gefangen. Melde mich nach dem Verhör.“
Bei der großen Borke, meinte diese Geheimagenteneule etwa ihn? Und was ging hier eigentlich vor sich?
Fiep hatte keine Gelegenheit, sich Gedanken über die Absurdität seiner Situation zu machen, denn plötzlich rüttelte jemand derart heftig an der Truhe, dass er herausgeschleudert wurde und unsanft auf dem Boden landete.
„Soso, du bist also der Spitzbube, der die Nachbarschaft unsicher macht“, gurrte Hu, in einem Federregen Fiep den einzigen Ausweg versperrend.
„Du bist keine normale Hauseule“, stellte er nervös fest. „Isst du mich jetzt auf?“
„Für sowas habe ich keine Zeit“, entgegnete Hu und machte es sich erneut auf ihrem Sessel bequem. „Komm schon, ich habe guten Wein.“
Der Wein! Wieso hatte er nicht einfach den Wein geklaut und war abgehauen, schalt sich Fiep, als er sich perplex neben Hu setzte.
„Also“, was soll das werden?“, fragte Fiep vorsichtig nach, als Hu ihn lange genug mit Belanglosigkeiten zugetextet hatte. „Wer bist du und was willst du von mir?“
„Ach“, begann sie amüsiert, „wie du dir vielleicht denkst, bin ich bei TIA, der Tree Intelligence Agency. Wir sorgen unentdeckt für Sicherheit und Ordnung im Wald, haben gefährliche Organisationen wie die Maulwurf-Mafia und den Kuckucks-Klan unter ständiger Überwachung und verhindern Verbrechen. Und da kommst du ins Spiel.“
„Ich begehe aber Verbrechen“, wandte Fiep sogleich entgeistert ein. „Ich werde sicher nicht welche verhindern.“
„Die Bezahlung ist ausgezeichnet und du bist ein geschickter Einbrecher“, konterte Hu. „Wieso habe ich wohl das Gerücht gestreut, ich sei unheimlich reich? Damit ich dich zu diesem Bewerbungsgespräch locken kann; alle Holzaugen hier sind Webcams.“
„Und wer ist diese mysteriöse Crimson One?“, erkundigte sich Fiep skeptisch, wenn ihn Hu auch mit dem Versprechen auf eine gute Bezahlung längst an Bord geholt hatte.
„Rita das Rotkehlchen?“, entgegnete Hu und schmunzelte. „Huhu, wir sind offensichtlich nicht besonders fantasievoll mit Namen.“