Schön war die Zeit, als wir zusammen über die Wiese gelaufen waren, als ich mich unter dem hohen Rosenbusch vor der brennenden Mittagssonne versteckt hatte und du mit deiner honigsüßen Stimme nach mir gerufen hast. Ja, es war wirklich wunderbar gewesen und nur zu gerne wüsste ich, weshalb nun alles vorbei ist, weshalb du nicht mehr nach mir suchst. Hast du mich denn aufgegeben?
„Bitte, so warten Sie doch kurz“, schrie sie den Männern zu, die mit dicken Aktentaschen vor ihr hergingen und ihre Rufe bisher ignoriert hatten. Endlich unterbrach einer der Anzugträger das müßige Gespräch über den letzten Quartalsbericht, blieb stehen und wandte sich ihr mit einem freundlichen Lächeln zu. „Wie können wir Ihnen behilflich sein?“, fragte der Grauhaarige, währendem er einen seiner Kollegen am Jackettärmel zupfte und ihm damit signalisierte, der jungen Frau zuzuhören.
„Ich habe…“, begann sie nun etwas zögerlich. Sie musste den Herren nun erklären, was passiert war und es fiel ihr schwer, nicht gleich loszuheulen. Ihr Blick wanderte kurz auf den Kiesweg und sie räusperte sich kaum hörbar, bevor sie fortfuhr: „Ich habe meinen Hund verloren. Haben Sie vielleicht einen Cocker Spaniel mit gelbem Halsband vorbeilaufen gesehen?“ Kurzes Schweigen, gefolgt von mitleidigem Geflüster war die einzige Antwort, die sie bekam, also ließ sie den Kopf hängen und bedankte sich nichtsdestotrotz. Sie wollte sich gleich wieder auf den Weg machen, doch bevor sie loslaufen konnte, legte der Grauhaarige mitfühlend seine Hand auf ihre Schulter und kramte etwas aus seiner Hosentasche. „Hier“, sagte er und reichte ihr einen zerfledderten Packen Taschentücher. „Sie werden ihn sicher finden!“
Ich habe doch immer mein Bestes gegeben, dich zu beschützen und ohne Bedingungen zu lieben, nicht nur gestern, heute oder morgen, sondern für immer. Ich habe dich getröstet, wenn du dich alleine gefühlt hast, habe deine Wunden geleckt und dir in Winternächten Wärme gegeben. Ich bin nie von deiner Seite gewichen, selbst wenn du mich weggeschickt hast. Willst du mich denn nicht mehr?
Der Tag hatte so friedlich und sonnig begonnen, doch mittlerweile hingen schwere Gewitterwolken über dem Stadtpark. Vermutlich würde es nicht mehr lange dauern, bis es fürchterlich zu regnen begann, weswegen kaum noch jemand hier war und die wenigen, die etwas zu lange auf der Parkbank gesessen waren, rannten blindlings an ihr vorbei, um rechtzeitig in irgendeinem Restaurant oder Geschäft Zuflucht zu suchen. Als die ersten Tropfen fielen, war sie wieder bei den Toilettenhäuschen angelangt und just in dem Moment, als sie den Namen ihres pelzigen Freundes rief, brach ein unheimliches, tosendes Grollen aus dem Himmel und begrub ihre Stimme.
Sofort klebten ihre langen brauen Haare auf ihrer Stirn, als der erste Schauer niederging und aus schierer Verzweiflung kauerte sie sich an der verdreckten Außenmauer des Toilettenhäuschens zusammen. Sie hatte so sehr gehofft, dass sie ihn finden würde, noch bevor das Gewitterorchester begann und die Idee, dass er sich alleine davor fürchten musste, ließ sie nun endgültig in Tränen ausbrechen. „Oh nein, nein, nein…“, wiederholte sie murmelnd, solange, bis das Schluchzen ihre Worte unterbrach.
Wir haben zusammen getanzt, Abenteuer und faule Tage erlebt und jedes Mal, wenn dein fröhlicher Blick den meinen getroffen hat, habe ich in meinem Herzen verstanden, weshalb ich bei dir bin. Wir schliefen dicht nebeneinander auf der Couch ein, doch nun weiß ich nicht mehr, ob wir jemals wieder so tief schlafen werden. Habe ich etwas falsch gemacht?
„Was mache ich, wenn ich ihn nicht wiederfinde? Was mache ich dann bloß?“ Sie versuchte alles, um diesen einen Gedanken zu bekämpfen, doch je mehr Zeit verstrich, je weiter sie rannte und je mehr sie seinen Namen rief, desto unmöglicher wurde es ihr. Wie würde es sein, wenn ihr treuer Gefährte zu einer Erinnerung wurde, zu einem Bild auf dem Kaminsims, das neue Freunde daran erinnerte, dass sie schon vor ihnen innige Freundschaften gehabt hatte, wie wäre das wohl? Zum ersten Mal seitdem sie ihren besten Freund endlich aus dem Tierheim hatte mitnehmen können, wurde ihr klar, dass er nicht für immer an ihrer Seite bleiben würde, dass sie nicht jeden Morgen neben ihm würde aufwachen können und es zerriss ihr das Herz.
Vehement griff sie sich in die durchnässten Haare, rappelte sich auf und nachdem sie kurz den Kopf in den Nacken gelegt und tief durchgeatmet hatte, fasste sie einen Entschluss: „Ich werde solange suchen, bis ich ihn gefunden habe, ganz egal wie lange es dauern wird.“ Es brauchte etwas Überzeugungskraft, oder besser gesagt, eine kleine Portion Selbsttäuschung, aber sie schaffte es und fasste neuen Mut. Irgendwann würde sie ihn wiederfinden, ganz bestimmt.
Dein Lachen war meine Melodie und deine schnellen Schritte mein Bass. Für mich hat es nie etwas anderes als dich gegeben und ich habe immer gehofft, dass du das weißt und dich daran erinnerst, wenn ich etwas getan habe, das dir missfiel. Du allein warst mein Leben, meine Welt und das war für mich nie eine reine Glaubensfrage, sondern die einzige Wahrheit, die für mich jemals etwas bedeutet hatte. Habe ich mich denn geirrt?
Der Regen prasselte unerlässlich auf das blecherne Dach des Toilettenhäuschens, doch anstelle davon, vom melodischen Geräusch in die wohlige Trance eines Frühjahrsgewitters zu verfallen, wurde sie hellwach. Sie musste sich endlich zusammenreißen und die Suche systematisch angehen, also begann sie zu überlegen, wo sie überall schon nachgesehen hatte und welche Orte für einen verängstigten Hund wohl attraktiv aussehen könnten. Sie blinzelte den Regen aus ihren Augen und warf einen Blick zu den anderen Toilettenhäuschen, welche sie vor einigen Stunden schon durchsucht hatte und da dämmerte es ihr. Sie hätte es eigentlich von Anfang an besser wissen sollen, hatte sie doch einen Großteil ihrer Ausbildung damit zugebracht, solche Dinge zu lernen, aber immerhin war es ihr jetzt eingefallen. „Um etwas zu verifizieren“, begann sie sich selbst zu erklären, „muss ich ein Experiment durchführen und dass nicht nur einmal, sondern wiederholt.“ Also öffnete sie die Tür zum ersten Toilettenhäuschen, pfiff leise, schnalzte mit der Zunge und rief: „Darwin? Darwin, Liebling, bist du hier?“
Sie wiederholte ihr Experiment im nächsten und dann im übernächsten Toilettenhäuschen und gerade, als die Verzweiflung sich wieder an sie anschleichen wollte, glaubte sie etwas zu hören. Ein Winseln, vielleicht aber auch nur ein ächzendes Fensterscharnier, so genau konnte sie das nicht ausmachen, schien aus dem letzten Häuschen zu kommen.
Ich habe dir nichts als Dankbarkeit und Liebe geschenkt und das einzige, das ich jemals wollte, war deine Nähe zu spüren, bei dir zu sein. Und obwohl ich jetzt alleine hier sitze und der Himmel über mir zusammenbricht, weiß ich, dass ich dich wiedersehen werde, da bin ich mir sicher. Du wirst mich nicht verlassen, du bist mein Mensch, mein Retter und mein Freund und egal wie viele Fragen ich mir stelle, ich zweifle keine Sekunde daran, dass ich irgendwann wieder bei dir sein darf.