Diese Story ist auch als Hörgeschichte und in einem Sammelband erschienen.
Diese Geschichte spielt im erweiterten Universum der „Promise“-Reihe.
„Verdammt“, murrte Rhys, als er über einige der Trümmer kletterte, welche den Durchgang versperrten. „Hier ist wohl seit bedeutend mehr als einer Dekade keiner mehr vorbeigekommen.“ Er fuhr sich mit der Hand durch das verschwitzte, rotblonde Haar, das an ersten Stellen graue Strähnchen zeigte.
„Hör auf zu jammern, du alter Ire! Natürlich ist hier keiner vorbeigekommen, darum nennt man es ja auch eine verbotene Welt“, lachte Porter, der ihm in den Raum folgte. Der stämmige Mann sah zur Decke auf, in der ein mehrere Meter breites Loch klaffte, das die Sicht auf den blauen Himmel freigab. Wasser hatte an den verbleibenden Deckenelementen bereits kleine Stalaktiten geformt und zwischen den aufgerissenen Bodenfliesen sprossen Moose, dazwischen erste grössere Pflanzen. Rhys schaute sich um, ehe er seinen Rucksack sowie den geschulterten Compound-Bogen ablegte, um sich auf einen relativ gut erhalten wirkenden Stuhl niederzulassen. „Na, viel ist hier wohl kaum mehr übrig.“
„Was hast du denn auf einem Planeten, der seit dreißig Jahren verlassen ist, erwartet?“, konterte Porter trocken, fügte dafür sogleich optimistischer hinzu: „Dafür ist das eine sehr gute Stelle für ein Nachtlager.“
Bevor Rhys etwas entgegnen konnte, kam ihm eine helle Stimme zuvor. Das dunkelhaarige Mädchen, zu dem sie gehörte, war vielleicht siebzehn Jahre alt. „Danke auch, dass du mir nicht über die Schwelle geholfen hast, Dad!“ Wie ihr Vater trug sie Wanderschuhe, praktische Kleidung und einen schweren Rucksack. „Ach ja, wenn wir schon dabei sind, will ich mich auch hinsetzen.“
Rhys gluckste, wohl wissend, um wie viel wendiger als er seine Tochter war, sie konnte problemlos über jedes Hindernis kraxeln. Mit einer ausladenden Bewegung umfasste er den großen Raum. „Machen Sie es sich bequem, Ihre Majestät!“
„Woah, die Gerätschaften hier sind ja uralt“, rief sie mit der Faszination eines Teenagers aus, ließ ihr Gepäck fallen und huschte zu einigen medizinischen Utensilien, die in einer Ecke lagen. „Wie wenn man eine Zeitreise macht! Was ist das hier überhaupt für ein Raum?“
„Ich habe draußen ein Schild gesehen“, murmelte Porter grübelnd, bevor sich seine Miene aufhellte. „Genau – das sollte ein Kreissaal gewesen sein.“
„Igitt, dann ist ja hier alles voller verstaubter Babypampe!“, stieß Jayna aus, das medizinische Gerät, welches sie eben in Händen gehalten hatte, fallenlassend.
Das Grillenzirpen klang laut durch die frische Herbstnacht, durch das Loch in der Decke blinkten unzählige Sterne, so viele, wie man nur an einem Ort ohne künstliches Licht sehen konnte. Rhys reichte eben seinem dunkelhäutigen Kameraden einen Tasse aufgebrauten Instantkaffees, als Jayna fragte: „Dad, erinnerst du dich noch daran, als wir beim Bungeejumping waren?“
„Na und ob, Kleine. Wieso?“
„Damals habe ich zum allerersten Mal draußen übernachten müssen.“ Sie kicherte leise. „Weist du noch, wie ich dir dafür fast die Augen ausgekratzt hätte? Und sieh uns jetzt an!“
„Jetzt gehörst du zu uns, also denen, die damit ihr Geld verdienen, verlassene Orte zu plündern; wie glorreich“, mischte sich Porter in die Unterhaltung ein, was Jayna sogleich dazu bewegte, halbernst zu zischen: „Ach, spar dir deinen Kommentar!“
Das Piepsen von Rhys‘ Com setzte dem Geplänkel ein Ende und er nahm nach einem Blick auf das holographische Display den Anruf an. „Dale? Alles okay bei euch?“
Der Kamerad, der das einen Tagesmarsch entfernt geparkte Sternenschiff bewachte, erklärte hastig: „Bei mir, ja. Ich habe aber hier eine ganze Menge Lebensformen auf dem Display, die sich in eure Richtung bewegen.“
Die drei Abenteurer musterten sich beunruhigt gegenseitig, bis Rhys‘ sich erkundigte: „Menschlich?“
„Keine Ahnung, ich hätte eher auf eine Tierherde getippt. Könnten Raubtiere sein, du kennst ja die Legenden.“
„Du meinst wegen der genetisch veränderten …“, wisperte Jayna, ohne den Satz zu Ende zu führen, da ihr Vater ihr die Hand auf die Schulter gelegt hatte.
„Keine Ahnung“, erklang Dales Stimme bedrückt. „Vermutlich ist es nichts, doch bis wir alle Reparaturen gemacht haben, können wir euch nicht abholen.“
„Passt schon“, konterte Rhys, der versuchte, als Anführer ihrer kleinen Gruppe möglichst souverän zu klingen. Wahrscheinlich war es sowieso ein Fehlalarm, versuchte er sich selbst einzureden, eine Herde Gazellen oder wilde Pferde. Seit der großen Migration, bei der diese Welt von Menschen verlassen worden war, mussten sich Tiere ihr Territorium zurückerobert haben. Er schloss knapp, als er die Verbindung unterbrach: „Wir melden uns, sobald wir mehr wissen.“ Damit steckte er das Gerät weg.
„Sollen wir das Feuer ausmachen?“, wollte Porter wissen und er bejahte. Besser, man fürchtete sich vor einer Herde Antilopen, als man wurde von gefrässigen Mutanten angegriffen, weil man nachlässig war. Während Porter mit seinem Schuhwerk die Flammen austrampelte, brummte er trocken: „So viel zum ‚Nimm deine Tochter zur Arbeit mit‘-Tag.“
„Hey, ich weiß mir sehr wohl selbst zu helfen, das ist nicht mein erstes Mal“, konterte sie, ihr Kampfmesser vom Gürtel ziehend. „Also halt die Klappe!“
„Pst!“, forderte Rhys seine Begleiter auf und umfasste so geräuschlos er konnte den Compound-Bogen, den er neben seinen Trekkingrucksack gelegt hatte. „Wir haben keine Ahnung, was da draußen lauert.“
Lange war eine vereinzelte leichtsinnige Grille und das Rascheln des Windes in den Grashalmen der zerfallenden Vorstadt das einzige gewesen, was die Nacht erfüllt hatte. Rhys hatte an Zuversicht gewonnen, dass keine Bedrohung mehr auf sie lauerte und er hatte den Pfeil bereits von der Sehne genommen, als er sich leise an Porter wandte. „Was auch immer das für Viecher waren, sie müssen eine andere Route eingeschlagen haben. Kannst du Dale anrufen, damit der uns das bestätigen kann?“
„Klar“, meinte der Angesprochene, den nun Vorsicht bedeutend weniger zu kümmern schien. Er tippte einen Befehl auf seinem Armband-Com ein, die Verbindung wurde sogleich hergestellt. Porter kam gar nicht dazu, etwas zu sagen, da zischte Dale bereits: „Sie umkreisen euch; und sie sind verdammt schnell!“
Blitzschnell hatte Rhys seinen Pfeil wieder eingespannt, sich unter dem fehlenden Deckenstück postiert und zielte nun auf den Nachthimmel. Jayna kauerte neben ihm in einer Pose, die nahezu identisch zu seiner war, den Blaster im Anschlag. Gerade als er sich nach Porter umwenden wollte, konnte Rhys das Kreischen über dem Dach hören, nahe, markerschütternd, unmenschlich; es waren Vögel. Oder etwas in der Art, fügte er in Gedanken hinzu, als einige weitere Biester den Kampfruf erwiderten und das Flattern von großen Flügeln vernehmbar wurde. Dann geschah alles sehr schnell.
Eines der Viecher schoss durch die Öffnung, in der Dunkelheit nichts weiter als ein massiver Schemen, und Rhys ließ die Sehne los. Sein Pfeil sirrte auf das Tier zu und das Kreischen legte einen Treffer nahe. Automatisch tastete er nach einem weiteren Pfeil, als Jaynas Blaster aufblitzte und ihn das rote Lichtprojektil für einen Moment blendete. Er röchelndes Krächzen ertönte, gefolgt von einem Plumpsen, als das Biest umstürzte. Rhys glaubte, dabei ein letztes Flattern zu hören, vielleicht gar ein Klacken, als der Schnabel (hatten die Dinger überhaupt Schnäbel?) auf dem bröckeligen Fliesenboden aufschlug.
„Es sind Scheiß-Mutanten, Riesenviecher!“, wetterte Porter hinter ihnen in sein Com. „Dem Anschein nach ne verdammte Menge.“
Rhys sammelte sich, so rasch er konnte und befahl sofort halblaut: „Jayna, schieß hinaus, vielleicht können wir sie so vertreiben!“
Das Mädchen tat, wie ihr geheißen und feuerte mehrere Salven auf den Himmel ab. Im flackernden Licht konnte der Abenteurer sehen, wie klobig die vorsintflutliche Waffe in ihren Teenagerhänden wirkte, nur um dann die Bedrohung zum ersten Mal wirklich zu erkennen: Mindestens dreißig von den vogelartigen Wesen kreisten mit einer unglaublichen Geschwindigkeit über ihnen und ließen sich offenbar weder vom Blitzlichtgewitter noch vom tragischen Schicksal ihres Kameraden von ihrer Jagd abhalten. Drei weitere setzten zum Sturzflug an und Rhys‘ Magen verkrampfte sich. Er feuerte seien zweiten Pfeil ab, bekam aber schon nicht mehr mit, ob er etwas getroffen hatte, denn er rief seinen Kameraden zu: „Los, wir müssen tiefer ins Gebäude! Die passen niemals durch eine Tür.“
Porter war am schnellsten; er hatte die nur kurz protestierende Jayna am Oberarm gepackt und zerrte sie auf den Ausgang zu, während Rhys ihnen Rückendeckung gebend folgte. Dass er dabei rückwärts gehen musste, wurde ihm dabei zum Verhängnis: Sein Wanderschuh stieß an einen Felsbrocken, er verlor das Gleichgewicht. Unsanft landete er auf seinem Rücken, die Luft wurde hart aus seinen Lungen gepresst, ihm kam der Bogen abhanden und der Pfeil schoss ungezielt ins Dunkel hinaus. Sein Überlebensinstinkt setzte sogleich ein, mit einem raschen Sprung war er wieder auf den Beinen, taumelte kurz und glaubte schon, er würde es durch die Türöffnung auf den verwaisten Gang schaffen, als ein weiterer Vogel vor ihm auftauchte. Das Tier ließ dem alten Haudegen kleine Chance, es war zu schnell. Ehe er sich versah, wurde er von Klauen gepackt, durch das Dach in die Lüfte gerissen, davongetragen. Von unten zerriss ein verzweifelter Aufschrei seiner Tochter die Stille, während Rhys an den Beinen des gewaltigen Ungetüms baumelnd durch die Nacht schoss.