Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Ich wache auf und ich falle, falle ins Nichts. Doch die wohl bekannte Sensation des abrupten Aufwachens weicht bald der ungewissen Ahnung, von einer fremden Präsenz gefesselt zu sein. Panik ergreift meinen Körper, doch während Adrenalin mit der Geschwindigkeit von explodierendem Kerosin durch meine Arterien rauscht, bleibt mir jede Bewegung verwehrt. In meinen Gedanken schreie ich so laut, dass meine Lungen zu bersten drohen und ich winde mich verzweifelt, doch nichts von alledem berührt meinen Leib, er bleibt erstarrt. Langsam, quälend langsam bin ich in der Lage meine Lider zu öffnen, doch nur die rot leuchtenden Ziffern meines Digitalweckers erinnern meine Pupillen an das Licht. Sie brennen sich in meine Netzhaut und lassen die Dunkelheit absurd und grenzenlos scheinen. Es ist viertel nach drei und ich bin in meinem unverändert wirkenden Schlafzimmer aufgewacht.
Vor mir zucken aufgeplatzte Sterne, die so aussehen wie die strahlendweißen Blüten des Waldmeisters und obwohl ich mich erschöpft und desorientiert fühle, bin ich erleichtert und mein Schockzustand ebbt ab. Ich versuche vergebens den Migränekopfschmerz zu erkennen, welcher mir in der Vergangenheit schon oft solche Feuerwerke beschert hatte und seufze innerlich auf, währendem ich mich auf die hämmernden Schmerzen vorbereite, die mit Sicherheit nicht mehr lange auf sich warten lassen würden. Vielleicht, so denke ich mir, würde ich dem widerkehrenden Monster in meinem Kopf Einhalt gebieten können, wenn ich meine Medizin jetzt schon nehmen würde und deswegen beschließe ich, durch die Düsterheit ins Bad zu schlendern. Doch als ich versuche mich zu drehen, bemerke ich ihn.
Ich hätte schwören können, dass mein Keuchen noch im Nebenzimmer hörbar gewesen war, doch egal wie sehr ich mich bemühe, kein Ton verlässt meinen trockenen Mund und ich bleibe stumm. Erneut hat mich das Gefühl zu fallen übermannt und mich aus einem Traum aufschrecken lassen, den ich als solchen gar nicht erkannt habe und nun bleibe ich zurück, mit der schrecklichen Ahnung, dass etwas mich durch glühende Iriden beobachtet. Ich kann ihn in der Schwärze meines Zimmers nicht erspähen, doch da sitzt er, lastet bleiern auf meiner Brust und verweigert mir das Atmen. Ich schnappe wie ein Fisch auf dem Trockenen, giere nach Sauerstoff, doch jeder misslungene Versuch, das Lebenselixier einzusaugen, treibt mich nur weiter an den Abgrund der aussichtslosen Angst.
Ich drohe zu ersticken, glaube zu fühlen wie sich brennend heiße Finger um meine Kehle legen und mit flammender Entschlossenheit immer fester auf das weiche Gewebe drücken, doch mein Körper bebt nicht auf, wehrt sich nicht und ich bleibe auf dem Rücken liegen wie ein lebloser Pappkamerad. Als die grotesk verzerrte und doch so sanft säuselnde Stimme direkt in meinem Kopf spricht, rast ein elektrischer Schlag durch mich hindurch und scheint an den Spitzen meiner Zehen zu entfliehen. „Du wirst nie entkommen.“ Spöttisches Lachen hallt durch mein geschwärztes Schlafzimmer, prallt von den Wänden ab und lässt den Raum immer kleiner erscheinen, bis ich den Eindruck habe, in einem blechernen Minivan gefangen zu sein. Endlich, endlich greift meine schwere Hand nach dem Telefon auf dem Nachtisch und ich sehe Rettung am Ende dieser zeit- und raumlosen Grausamkeit.
Ich erschüttere heftig und doch regungslos und das laute Pochen meines Pulses dröhnt in meinen Ohren, so laut, als wäre mein innerer Potentiometer unter dem immensen Druck dieses nächtlichen Dämons zerborsten. Die Erleichterung über mein erneutes Aufwachen, meine Erlösung von diesem unmenschlichen Traum, verblasst und weicht der grauenvollen Gewissheit, dass ich mich nicht selbst davon befreien kann. Rasch, beinahe instinktiv wandern meine blutunterlaufenen Augen zu dem gelben Telefonhörer, der unangetastet neben mir liegt und mir Gnade verspricht. Ich ignoriere das hämische Gelächter und konzentriere all meine Willenskraft darauf, meinen Arm zu heben, dessen Muskeln irgendwann in dieser Nacht aufgehört haben zu mir zu gehören. Dennoch schaffe ich es und kann mit bebenden Fingern die Nummer wählen.
Und plötzlich, ohne Vorzeichen oder Warnung, ist er weg. Einfach weg, so als wäre er nie in meiner Handfläche gelegen, so als hätte ich ihn nie berührt, liegt der gelbe Hörer neben mir auf dem antiken Nachttisch, doch mir bleibt nicht viel Zeit für Verwirrung. „Ich habe dir doch gesagt, es gibt kein Entrinnen“, kichert die gehörnte Gestalt und um mich für meinen Wunsch nach Freiheit zu bestrafen, schiebt sie winzige Nadeln unter meine Fingernägel und tränkt die Matratze unter mir in Säure, so dass ich spüre, wie meine Haut sich von mir löst und zu einer feurig-klebrigen Maße verschmilzt. Eine Träne löst sich aus meinem Augenwinkel, frisst sich in meine Wange und es scheint mir so, als schwebte ich an der Decke und könnte mich selbst von oben beobachten. Bewegungsunfähig, eingefroren in der Zeit, liege ich da und mir bleibt nichts anderes übrig, als die Marter schweigend zu ertragen.
Mein Herz bleibt für einen Augenblick stehen, gibt das Schlagen auf und versteinert scheinbar endgültig, bevor es hochschießt, wie eine Rakete, die aus der Tundra Kasachstans in den Orbit fliegt. Zum vierten Mal in dieser unheilvollen Nacht wache ich auf ohne eingeschlafen zu sein, werde erweckt aus einem Albtraum, dessen Irrealität ich mir nicht sicher bin. Der Gedanke an das Telefon schießt durch meinen Kopf und diesmal beginne ich ohne Verzögerung damit, mich auf meinen linken Arm zu fokussieren, welcher wie ein totes Anhängsel neben mir liegt. „Beweg dich, komm schon, beweg dich“, wiederhole ich mein Mantra immerzu, währendem das Gewicht auf meinem Brustkorb mir das Gefühlt gibt, in meinem eigenen Bett zu ertrinken. Ich kann es nicht gut erkennen, doch da war ein feines Zucken, das meinen Finger durchfährt und getrieben von dieser scheinbaren Unwahrscheinlichkeit, kann ich den Hörer fassen.
„Hilf mir!“, flehe ich tonlos, ohne zu wissen, ob das Mikrofon tatsächlich an meinen Lippen liegt, oder ob dies lediglich eine weitere grausame Folter ist. „Bitte, hilf mir!“, hauche ich ein letztes Mal, bevor meine Kraft versiegt und ich mich dem ergebe, was der gesichtslose Dämon für mich bereithalten mag. Mit weit geöffneten Augen starre ich durch das Dachfenster in den Himmel und wünsche mir, einer der unzähligen Sterne möge Erbarmen mit mir haben und in einem flammenden Inferno auf mich niederfallen, mich erlösen und mir Frieden schenken. Die Nadeln bohren sich tiefer in mein rosafarbenes Fleisch, immer weiter bis sie kreisend das Mark aus meinen Knochen lösen und für mich nichts mehr außer Schmerz existiert. Meine Sicht beginnt zu flackern, wird dumpf und abgehakt, währendem der schallende Jubel des Incubus meinen Verstand vereinnahmt und ich irgendwo dazwischen zu verschwinden drohe.
Durch meine Stroboskopvision hindurch sehe ich, wie ein blasser Lichtstrahl durch meine Zimmertür fällt und sich eine vage Gestalt hindurchschiebt. Sie trägt geschwungene Hörner und ihre üppigen Fledermausflügel stehen aufrecht, währendem sie mit großen Schritten auf mich zu marschiert und sich neben mir hinsetzt. Ich kann wie durch Watte hören, dass sie meinen Namen ruft, immer und immer wieder und als sie sich zu mir herunterbeugt, glaube ich letztlich in erlösende Ohnmacht zu fallen, doch plötzlich werde ich von gleissend hellem Licht geblendet und versuche vergebens panisch einzuatmen, als ich die entsetzlich entstellte Fratze des Wesens über mir erblicke. Mein Verstand will kämpfen, sich dem nahenden Ende verweigern, doch mein Körper wartete gleichmütig und bewegungslos darauf, seine Existenz endgültig zu verlieren, als die Kreatur ihre Hand nach mir ausstreckt und ihren fauligen Mund öffnet.
Doch in ihren Zügen liegt Besorgnis und mit jeder ihrer Berührungen, die ich nur erahnen kann, schwindet ein kleiner Teil des Gewichts, das vermeintlich Jahre auf mir lastete. Irgendwann gelingt es mir endlich, einen tiefen Atemzug in meine Lungen zu zwingen und damit fällt jede Qual von mir ab, so als hätte es die Leiden nie gegeben. Ein Blitz schnellt durch mich hindurch und mit einem Mal erlange ich die volle Kontrolle über meinen tot geglaubten Körper zurück. Reflexartig ziehe ich meine Knie an, schlinge meine Arme um sie, erschüttere und beginne fürchterlich zu schreien, so lange bis mich der gutmütige Dämon an sich drückt und mich sachte in seiner Umarmung hin und her schaukelt. „Es ist vorbei“, flüstert er in mein Ohr und ich glaube ihm.