„Robert.“ Der Klang meines verhassten Namens schubst mich zu leicht aus der oberflächlichen Konzentration, mit welcher ich meine genauso oberflächliche Arbeit zu verrichten pflege. „Kommst du später mit zu Reeses?“ Darauf bedacht, keinerlei Nervosität zu zeigen, schiebe ich den halbherzig bearbeiteten Papierstapel vor mir beiseite, lege meinen Stift hin und erwidere: „Naja, weißt du, Norbert …“ Ich lasse ihn eine Weile schmoren, nicht weil ich ihn unbedingt schmoren sehen möchte, sondern weil mein vermaledeites Hirn wie üblich zu langsam arbeitet. „Robert, nein!“, rügt er mich lange vor dem befürchteten Vergehen, ich könnte mich neuerlich um das obligate Feierabendbier drücken wollen. „Du kommst mit, Maria, Roberta und die anderen sind auch da“, stellt er fest, ohne Rücksicht auf mein Befinden oder meine Brieftasche. Letztere droht demnächst dem Hungertod zu erliegen, sie beherbergt gerademal ein wenig Kleingeld sowie den Zwanzig-Euro-Schein, der meine Mahlzeiten bis Ende des Monats begleichen sollte. „Ein andermal vielleicht“, gebe ich geschlagen zurück. Norberts Lächeln verschwindet für eine Sekunde, nur um darauf strahlender wiederzukehren.
„Okay, dein Problem, dann bin ich eben allein mit den Damen.“ Als er sich zum Gehen wendet, beobachte ich ihn mit Bedauern, zu gerne hätte ich zugesagt. Der Gedanke daran, wie er mit Roberta auf einem der schäbigen Sessel ihrer Lieblingsbar lümmelt, lässt mich in Angstschweiß ausbrechen. Ich mache mir etwas vor, nie und nimmer würde sie sich für einen wie mich interessieren und keine gezwungene Unterhaltung kann das ändern. Erst recht, wenn der bestaussehendste Kollege mit von der Partie ist, in seinem Beisein schwindet der klägliche Rest von dem, was ohnehin mickrige Chancen sind. Schließlich ist sie Roberta, die schöne, kluge Roberta aus dem IT-Department, während ich bestenfalls ein Niemand, ein unwürdiger, armer Schlucker aus der Versandabteilung bin. Es gibt Träume, die man aufgeben muss, also widme ich mich meinen Papieren und verfluche den Tag meiner Berufswahl.
„Hey, Roberta“, reißt mich die Stimme des schleimigsten Typen im Büro aus meinen Gedanken. „Na, was hast du nach dem Feierabend vor?“ Norbert meint es bestimmt gut, jedenfalls rede ich mir das ein, um seine Gegenwart irgendwie erträglicher zu machen. „Ich gehe nach Hause, zu der Katze. Du verstehst?“, versuche ich mein Glück. „Blödsinn, eine tolle Frau wie du ist zu schade für den Hauskater. Komm, wir gehen einen trinken, die anderen haben bereits zugesagt.“ Wenn er das sagt, hört es sich keineswegs wie ein Kompliment oder ein netter Vorschlag, eher wie ein Befehl an. Wahrscheinlich bin ich bloß zu streng mit ihm, weil ich ihn nicht leiden kann. „Tja, dem Kater ist es einerlei, wie toll ich bin, deswegen ziehe ich ihn dir vor“, erkläre ich meinem unangenehmen Mitarbeiter schmunzelnd und hoffe, er fasst meine Worte gleichermaßen als Witz sowie Wahrheit auf. „Verloren gegen einen Flohsack“, feixt er, bevor er meine Schulter drückt. Seine Hand liegt lange dort, weswegen ich mich ruckartig mit dem Bürostuhl an den Schreibtisch rolle und mich entschuldige: „Ich muss jetzt weiterarbeiten. Wir sehen uns.“
„Okay, bis dann. Grüße an den Vierbeiner.“ Mir ist es ein Rätsel, wie dieser Mann bei meinen Kolleginnen auf der oberen Etage derart beliebt sein kann. Sie alle sind vollkommen vernarrt in ihn, geben ihm hinter seinem Rücken kitschige anzügliche Spitznamen wie ‚Der Götterarsch‘ und ‚Herr Strahlefrisur‘. Ich vermute dahinter eine Mischung aus naiver Romantik und kaltem Kalkül, denn obwohl Norbert tatsächlich ziemlich ansehnlich ist und seinen aufdringlichen Charme großzügig über die Damen, so dürfte sein bald fetter werdender Lohncheck einiges mit der Anziehungskraft zu tun haben. Nein, da wäre mir einer wie der niedliche Typ in der Versandabteilung bedeutend lieber, aber leider scheint der überhaupt keinen Nerv für mich zu haben, er schaut mich ja nicht einmal an, wenn ich ihm Unterlagen aushändige. Wen wundert‘s, immerhin ist er humorvoll, spielt in einer Band, hat viele Freunde und wenig Lust dazu, sich mit einem Computer-Geek wie mir abzugeben. Ach, ich sollte ihn mir einfach aus dem Kopf schlagen und zu meinem Katerchen gehen, statt unsinnig Trübsal zu blasen.
Mein Chef hat mir vor drei Tagen eine Sünde gebeichtet, die ihn in Kürze zu meinem Ex-Chef und mich zum König des Büros werden lässt. Manchmal frage ich mich, ob ich Mitleid für dem alten Kerl empfinden sollte, dann fällt mir ein, dass er sich die Suppe nun wirklich selbst versalzen hat, Mitleid bringt da ebenso wenig wie Nachsicht, also bereite ich mich besser auf meinen zukünftigen Posten vor. Die Ladies aus der vierten Etage habe ich schon auf meiner Seite, logisch, wenn sie könnten, würden die mich noch heute bespringen. Die Dritte habe ich ebenfalls so gut wie in der Tasche, abgesehen von Roberta. Die mag mich nicht, das habe ich vorhin erneut zu spüren bekommen. Sie weicht jeder Berührung aus und findet die simpelsten Freundschafsgesten offenkundig unerträglich, weshalb ist mir unklar. Eventuell liegt es daran, dass sie die einzige Frau auf dem Stockwerk ist und deshalb gar vorsichtig im Umgang mit Männern wie mir. Sei es wie es sei, die Jungs in der Zweiten haben den Narren an mir gefressen. Letzten waren wir zusammen im Reese, kippten einige Bier und sprachen über dieses und jenes. Robert war natürlich die große Ausnahme, ist er eigentlich jedes Mal, wenn ich nach der Arbeit einen ausgebe. Dabei hätte ich ihm die guten Nachrichten von seiner bevorstehenden Beförderung so gerne bei einem Lager berichtet. Wenn ich es recht bedenke, sollte ich mich wohl um die beiden sauren Robertäpfel kümmern. Es ist sicher ratsam, sich zuerst mit allen gut zu stellen, ehe ich offiziell ihr Vorgesetzter werde und ich weiß, wie ich das machen werde. Mir das breite Grinsen vom Gesicht wischend, drücke ich die Durchwahltaste des Telefons.
„Norbert“, meldet sich Maria aus der Vier erfreut. „Was kann ich für dich tun?“
„Hör mal, Maria, du kennst doch Roberta aus der IT und den Robert im Versand, ja?“ Ich warte ihre Antwort nicht ab, sondern unterbreite ihr sogleich meinen Plan, die beiden Eigenbrötler zusammenzubringen und beauftrage sie schlussendlich: „Du lockst die beiden ins Reese, ich kümmere mich um alles andere. Schaffst du das?“
„Äh, ich glaube … Ja. Ja, das sollte hinhauen.“
„Okay, wunderbar. Wir sehen uns dort und Maria, wenn das klappt, gehen wir zwei essen, Deal?“ Selbstverständlich sagt sie zu, Maria könnte dieses Angebot nie ausschlagen. Zufrieden lege ich den Hörer auf, lehne mich zurück und freue mich darauf, bald meine mürrischen Roberts aufzuheitern und einen soliden Vorwand für das Abendessen mit Maria gefunden zu haben, ohne ihre anhänglichen Kolleginnen aus Höflichkeit auch einladen zu müssen, insgeheim habe ich nämlich schon lange ein Auge auf sie geworfen.