„Das finde ich ganz und gar nicht lustig!“, protestierte Frederic und schlug dabei mit der flachen Hand auf den Tisch. „Wie kommt ihr überhaupt dazu, so etwas zu tun?“
„Naja“, begann Maya kleinlaut und zupfte dabei nervös an ihrem Blusenärmel. Es war deutlich erkennbar, dass sie ein schlechtes Gewissen hatte, aber sie war davon überzeugt, das jetzt durchzuziehen.
„Wir machen uns Sorgen um dich“, wiederholte sie schließlich das, was Monica vorhin erst gesagt hatte. Frederics Mundwinkel verzogen sich sofort zu einem bitteren Lächeln, ehe er anfing, wie ein Irrer zu kichern. Die beiden Frauen sahen sich beunruhigt an und waren sich eine Weile nicht sicher, ob ihnen der Lachanfall Angst machen sollte. Frederic hatte sich jedoch schnell wieder gefangen und schüttelte bloß trotzig den Kopf.
„Ihr wollt mich nur wieder verarschen, nicht wahr?“, fragte er schließlich und sah nur vage hoffnungsvoll in meine Richtung. Ich hatte mich bisher im Hintergrund gehalten, meinen Mund mit Früchten vollgestopft und darauf vertraut, dass Monica und Maya die Diskussion so vereinnahmen würden, dass ich mich gar nicht dazu würde äußern müssen. Offensichtlich war mein Plan nicht aufgegangen, denn mein Bruder schien urplötzlich Interesse an meiner Meinung entwickelt zu haben und drängte: „Nun sag schon, Yves!“
„Naja.“ Ich hustete, weil ich mich an einer sauren Traube verschluckt hatte, aber die anderen würden bestimmt denken, ich wollte bloß meine Antwort hinauszögern. „Du musst schon einsehen, dass du dich in den letzten zwei Jahren ganz schön verändert hast“, holte ich vorsichtig aus, „natürlich freut uns das auch, aber …“ Ich brach mitten im Satz ab und rieb verunsichert mein Kinn. Egal wie oft ich dieses Gespräch gedanklich durchgespielt hatte, es fiel mir dennoch schwer, die richtigen Worte zu finden. Ich wollte ihm schließlich nicht vor den Kopf stoßen und es ihm schonend beibringen, denn im Grunde waren wir ja alle stolz auf ihn. Es war noch gar nicht so lange her, da hätten wir zwar damit gerechnet, dass er als Knacki im Gefängnis endet, aber bestimmt nicht damit, dass er sich fast zu Tode arbeitet. Es war also nur logisch, dass ich ihm keine Vorwürfe machen wollte, doch die Ungeduld in seiner Körpersprache brachte mich schließlich dazu, es einfach auszuspucken: „Das Ganze geht einfach zu weit. Du musst dich jetzt endlich entscheiden, wofür du deine Zeit einsetzen willst.“
Frederic schwieg eine Weile und ließ uns in der geladenen Situation schmoren, als wären wir Hummer in seinem Kochtopf. Irgendwann nickte er, nicht gelassen, aber beherrscht und brummte: „Gut, ich verstehe, ihr meint das wirklich ernst.“ Er steckte die Hände in die Hosentaschen und hob dabei ratlos seine Schultern, während Maya zaghaft einen Schritt auf ihn zumachte und ihn umarmte. Ich wusste, dass er das nicht mochte, aber er ließ es ihr zuliebe wortlos geschehen.
„Wir wollen doch nur das Beste für dich“, sagte Maya, als sie von ihm abgelassen hatte und er sich neben mir auf das Sofa fallen ließ.
„Okay, dann sagt mir doch, was das sein soll.“ Der ungläubige Ärger in seiner Stimme war Resignation gewichen und er war bereit zuzuhören, also fiel ich Maya ins Wort, aus Angst sie würde ihn mit ihrer übertriebenen Fürsorglichkeit wieder reizen.
„Wie gesagt, es freut uns, dass du dein Leben in den Griff bekommen hast und es ist ironisch, dass wir uns ausgerechnet deshalb Sorgen machen, aber glaubst du nicht auch, dass du dir zu viel zumutest?“ Ich dachte mir, es wäre eine gute Idee, mein Argument so zu beginnen, doch Frederics Reaktion war nicht wie erwartet gelassen.
„Zuerst einmal, und überhaupt am wichtigsten, ist das nicht ironisch. Nichts von dem, was du als ironisch bezeichnest ist ironisch also hör endlich auf damit!“ Monica kicherte leise und sogar Mayas besorgter Gesichtsausdruck wandelte sich kurz in ein Schmunzeln. „Zweitens: Mir ist absolut bewusst, dass ich euch in letzter Zeit etwas vernachlässigt habe, aber das gibt euch noch lange nicht das Recht, hier so einen Terz zu veranstalten. Was wollt ihr überhaupt von mir?“ Frederic kreuzte seine Arme vor der Brust und starrte mich eindringlich an und machte damit mehr als deutlich klar, dass er diese Antwort von mir hören wollte, auch wenn er uns alle angesprochen hatte.
„Nichts“, begann ich kleinlaut und suchte schon wieder nach der richtigen Art und Weise, die Gedanken, die in meinem Schädel so logisch klangen, richtig zu formulieren. „Es geht doch überhaupt nicht darum, dass du keine Zeit für uns hast, sondern …“ Ich zuckte zusammen, als Frederic zackig aufstand und begann, wie ein gehetztes Tier im Wohnzimmer herumzumarschieren.
„Lächerlich!“, schrie er ungehalten, bevor er eines seiner unzähligen Lehrbücher vom Wandregal nahm und es in eine Ecke pfefferte. „Ich habe gerade erst meine Hochschulreife gemacht und anstelle davon, hinter mir zu stehen, werft ihr mir vor, ich solle es langsam angehen lassen?“ Monica war nun sichtlich verängstigt und ging ihrem Freund hektisch aus dem Weg. Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, weshalb sie in seiner Gegenwart oft verstört wirkte und weshalb das erst nach seinem Entzug angefangen hatte. Frederic war früher definitiv hitziger gewesen, teilweise sogar so sehr, dass selbst ich jede Konfrontation mit ihm gescheut hatte, doch ausgerechnet Monica hatte nie Probleme mit seinen Stimmungsschwankungen gehabt und ihm oft deutlich die Meinung gegeigt. Was war wohl zwischen den beiden vorgefallen, dass sie nun so leicht klein beigab?
„Aber selbstverständlich stehen wir hinter dir“, riss mich Maya mit ihrer Raucherstimme aus meinen Überlegungen. Zielstrebig lief sie auf ihn zu und ignorierte die lange Strähne, die ihr ins Gesicht hing. „Aber wir sind nicht bereit dir dabei zuzusehen, wie du dich krank schuftest. Du brauchst eine Pause, oder zumindest eine Nacht Schlaf!“ Maya hatte sich so gut sie konnte vor ihm aufgebaut und ihre geringe Größe tat ihrer einschüchternden Haltung keinen Abbruch, so dass Frederic nichts anderes übrig blieb, als sich wieder hinzusetzen.
„Ich …“, murmelte er leise, beinahe niedergeschlagen, ehe er etwas bestimmter erklärte: „ich will mir doch nur alle Optionen offen halten.“
Frederic und Maya seufzten unisono, danach schwiegen wir alle eine Weile. Ich weiß nicht, was wir uns von dieser Intervention erhofft hatten, was wir überhaupt von Frederic erwarteten und so langsam zweifelte ich daran, dass wir das Richtige taten. Im Grunde stimmte das, was er gesagt hatte und ich begann mich dafür zu schämen, ihn nicht einfach unterstützt zu haben. Eigentlich sollten wir froh sein, dass er sein obsessives Verhalten jetzt für all seine Projekte einsetzt, anstelle davon, sich jeden Tag zuzudröhnen. Immerhin wirkte er zufrieden und schien seine vielfältigen Interessen mit Freude anzugehen. Jedoch konnte ich mir trotzdem nicht vorstellen, dass es gesund war, nach einem vollen Arbeitstag auch noch nächtelang zu lernen und zu musizieren, solange bis er wieder ins Büro musste.
„Konzentrationsausgleich!“ Erschrocken sahen Frederic, Maya und ich auf Monica, die zaghaft lächelnd neben dem Ficus stand und so aussah, als hätte sie gerade eben einen Geistesblitz gehabt, dem sie noch nicht so ganz traute. „Du mir doch kürzlich erklärt, dass zwei Flüssigkeiten, die mit einer durchlässigen Membran getrennt sind, versuchen die Konzentration auszugleichen, oder?“ Frederic wirkte mindestens ebenso verblüfft wie Maya, bejahte aber ihre Frage und lehnte sich neugierig etwas nach vorne. „Genauso sollte es auch mit deiner Arbeits- und Freizeit sein.“ Nun grinste Monica übers ganze Gesicht, so als hätte sie ihren Freund überlisten können und zum ersten Mal seit langem sah ich sie so entschlossen auf ihn zugehen.
„Weißt du Frederic“, holte sie aus, während sie sie das weggeschmissene Buch vom Boden aufhob, „seit du dich in den Griff bekommen hast, benimmst du dich uns gegenüber echt ekelhaft. Versteh mich nicht falsch, wir sind unheimlich stolz auf dich, aber hör auf dich wie ein allwissender Klugscheißer aufzuführen, wenn du zu dumm und stur bist einzusehen, dass du schlafen musst!“ Ich bemerkte erst, dass ich laut lachte, als Maya mich ins Schienbein kickte, doch ich konnte und wollte nicht damit aufhören und prustete immer noch, als Frederic wissen wollte: „Na schön, lasst ihr mich in Ruhe, wenn ich jetzt ins Bett gehe?“ Monica warf Frederic ein Kissen in den Schoß und meinte dann, als auch er zu grinsen begann: „Nur wenn du das jeden verfluchten Tag tust.“