Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Creek Valley High School, Mannschaftsküche des State Footballteams. Drei Mädchen in Cheerleaderuniform sind dabei, Pappteller zusammen zu räumen und Essensreste in Tupperwareboxen zu verpacken. Im Hintergrund ist Feixen der Cheerleader sowie aufgeregtes Gemurmel von der Gewinnermannschaft zu hören. Auf dem Fensterbrett sprießt ein einsamer Krokus und deutet darauf hin, dass die Frühlingsferien bald beginnen.
Celine: „Das war echt voll knapp.“
Abigail: „Ja, aber wir haben die Kurve gekriegt. Zum Glück, sonst würde mir Matti bestimmt auf die Nerven fallen.“
Emma: „Ja, er ist ja kein so guter Verlierer.“ Hüstelt verlegen „Wenn wir schon von deinem Bruder sprechen. Sag mal …
Celine: „Oh nein, geht das wieder los.“ Sie seufzt. „Wie lange willst du dem Typen eigentlich noch hinterherschmachten?“
Emma: Schnaubt empört. „Was?! Wie kommst du auf diesen Unsinn?“
Celine: Gluckst heiter. „Äh, weil ich weder blind noch blöd bin?“
Emma: Grunzt verächtlich.
Abigail: „Leute, hört auf zu strei…“
Sie wird von lauten Jubelschreien unterbrochen, dicht gefolgt von dem Hereinstürmen vier jugendlicher Männer, die nur in Handtücher gekleidet in die karge Küche, einmal um die Anrichte herum und wieder hinaus stürmen. Celine, Abby und Emma sehen ihren Klassenkameraden gelangweilt dabei zu, ehe sie sich wieder ihrer Aufgabe widmen.
Abigail: Rollt mit den Augen. „Vielleicht wären sie doch weniger nervig, hätten sie verloren.“
Celine: „Jup.“
Emma: Will vom vorherigen Thema ablenken. „Kommt ihr auch zur Party?“ Hoffnungsvoll linst sie von der einen zur anderen.
Celine: „Klar. Hab sogar meine Kamera eingepackt – für den obligatorischen Blooper-Reel.“ Sie kichert. „Also, zurück zu dir und Matti.“
Abigail: „Cel, bitte. Hör auf mit deiner Verunsicherungstaktik.“
Celine: Zuckt mit den Schultern und lässt eine Kaugummiblase platzen. „Ach komm schon, sei keine Spaßbremse. Ich will sie bloß ein wenig ärgern.“
Emma: Holt Luft um etwas zu sagen, wird aber von Abby unterbrochen.
Abigail: „Dir ist schon bewusst, dass du von meinem ekligen Bruder sprichst? Es geht nicht allein um die arme Emma.“
Celine: „Okay, okay. Schon gut.“ Sie atmet hörbar aus. „So, wann machen wir uns auf den Weg zur Party?“
Emma: Boxt Celine in den Oberarm und grinst.
Celine: „Au!“
Emma: „So gegen Acht. Oder wir treffen uns vorher bei mir und brezeln uns zusammen auf. Was meint ihr?“
Celine: Klingt verschnupft. „Wenn du mich nicht haust, gerne.“
Emma: „Kommt darauf an, ob du dich benimmst.“ Lacht ausgelassen und boxt Celine abermals.
Celine: Ist nun ebenfalls fidel. „Boah, du Ratte.“
Emma: „Du kommst auch, nicht, Abby?“
Abigail: „Ich wünschte. Leider muss ich arbeiten.“
Celine und Emma: „Schon wieder?“
Abigail: Ächzt niedergeschlagen. „Ja.“
Emma: „Wo heute? Hat der Burgerladen nicht zu?“
Abigail: „Ich geh nicht dorthin, sondern zu der Burder.“
Celine: „Oh, die schrullige Alte, die in dem Haus im Wald wohnt, das wie eine riesige Platine aussieht, weil es so zugeschimmelt ist?“
Abigail: „Genau. Ich babysitte sein einiger Zeit bei der. Das grüne Zeugs ist übrigens Moos.“
Emma: „Häh? Die hat Kinder? Ich dachte, die hat nur Katzen.“
Abigail: „Ne, sie hat auch einen uralten Esel, drei Hühner und ein behindertes Pony.“
Celine: Verwirrt. „Dann … passt du auf ein behindertes Pony auf?“
Abigail: Legt einen Stapel Pappteller beiseite. „Quatsch. Das Pony kommt wunderbar alleine zurecht. Ich schaue zu ihrem Vater.“
Emma: Überrascht. „Ernsthaft?“
Abigail: Sammelt gleichmütig weitere Pappteller auf. „Ja. Sie kann ihn schlecht alleine lassen, weil er ja am Sterben ist und so. Ist aber ganz gemütlich dort, die Katzen sind niedlich und …“
Celine: „Halt, Moment! Die Burder stellt eine Dreizehnjährige ein, um ihren sterbenden Vater zu bewachen?!“
Emma: Murmelnd. „Total schräg.“
Abigail: „Naja, die Arbeit ist ja nicht schwierig. Ich muss bloß hin und wieder seine Zimmertür öffnen und nachschauen, ob er noch atmet.“
Emma: Nun lauter. „Echt total schräg!“
Celine: „Wieso hast du uns nie davon erzählt?“
Abigail: „Keine Ahnung, ist ja nur irgendein Job. Ein langweiliger noch dazu.“ Stellt den letzten Stapel Pappteller weg und beginnt, den Müllbeutel zu füllen.
Celine: „Du spinnst ja! Da babysittest du einen abkratzenden Typen und findest das langweilig? Das ist mega gruselig.“
Emma: Brummt zustimmend.
Abigail: „Nö, geht schon. Ich seh‘ den eh kaum, sitze doof rum und suche irgend ’ne Beschäftigung. Die hat nämlich keinen Fernseher.“
Emma: „Und was machst du den ganzen Abend?“
Celine: „Ja, wie ist es da so?“
Abigail: Setzt sich auf die Anrichte. „Ganz in Ordnung. Die Katzen sind witzig. Da ist eine, die komplett blind ist und ständig irgendwo gegenstößt.“ Sie pausiert kurz und sieht verlegen auf den Boden. „Manchmal baue ich ihr einen Hindernissparcour aus den Stühlen in der Küche.“
Celine: Verfällt in Gelächter. „Wie fies.“
Abigail: Schmunzelt. „Ich weiß. Aber es ist voll lustig, wenn sie so von einem Stuhlbein ins nächste stolpert.“
Das freudige Treiben im Hintergrund hat sich in der Zwischenzeit gelegt. Nach und nach verlassen die Sportler die Garderobe und schlurfen vollbepackt mit Taschen und Handtüchern durch die Mannschaftsküche in Richtung Ausgang. Zwischendurch ertönt ein freundlicher Gruß an die drei Mädchen gerichtet. Diese haben ihre Aufgabe zwar erledigt, bleiben allerdings um die Anrichte und Spüle versammelt, um Abigails Erzählung zu lauschen.
Emma: „Wie viele Katzen hat die Burder überhaupt? Sind es wirklich so viele, wie im Dorf gemunkelt wird?“
Abigail: „Bis vor drei Wochen waren es … Hm, lass mich überlegen. Ich glaube es waren zwölf. Der Harry hat aber neulich Junge bekommen. Jetzt sind es Achtzehn.“
Celine: „Harry hat Junge bekommen?“
Abigail: „Ja, er war eine Harrine.“ Sie schnieft mit einem bösen Funkeln zum Krokus und wischt sich die Nase am Ärmel ab. „Der Burder fehlt da etwas der Durchblick. Vermutlich ist es schwer, bei so vielen Katzen die Übersicht zu behalten.“
Emma: „Gott, das wird ja immer schräger!“
Abigail: „Die Kleinen sind aber super-süß. Sobald die Alte weg ist, gehe ich immer zu ihnen, sammle sie in meinem Pullover und setze mich mit ihnen auf die Couch.“ Sie lächelt selig.
Celine: „Du sitzt da einfach rum, bedeckt von Babykatzen?“
Emma: „Nachdem du sie wie Äpfel in deinem Pullover rumgetragen hast?“
Abigail: Nickt.
Celine: „Bringst du sie dann auch zu dem Kerl, auf den du aufpassen sollst?“
Abigail: „Nein.“ Schaut beschämt auf ihre Hände. „Nein, ich gehe nicht so oft zu ihm, wie ich sollte. Auf dem Heimweg habe ich dann immer ein schlechtes Gewissen und denke mir, ich hätte wenigstens einmal mehr nach ihm sehen sollen.“
Emma: „Irgendwie verständlich. Was, wenn du ihn tot vorfindest?“
Abigail: „Genau. Vor allem darf ich nicht mal den Krankenwagen rufen, weil der eine Patientenverfügung hat und keinen Arzt haben will. Wenn er abkratzt, soll ich ihn zudecken und der Burder eine SMS schreiben.“
Emma: Schaudert sich. „Ih! Du musst ihn zudecken?“
Abigail: „Deswegen gucke ich oft nicht so genau hin, ob er noch atmet.“
Celine: „Schon, aber was, wenn er dich verrät? Hast du nicht Angst, dass die Burder wütend wird und dich feuert?“
Abigail: „Nö, der schläft sowieso nur und sogar wenn er wach ist, kann er mit den Schläuchen im Mund nicht sprechen.“
Celine: „Ach so.“
Emma: „Himmel, Abby. Wieso machst du diesen voll gruseligen Job?“
Celine: Interessiert. „Ja, raus mit der Wahrheit.“
Abigail: „Ach, irgendwie habe ich Mitleid mit der Burder. Die ist ganz allein mit ihren Katzen, dem Esel, den Hühnern, dem behinderten Pony und dem Vater. Ich konnte nicht nein sagen.“