Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
„Kommt, kommt rein in den wundersam wunderlichen Kosmos der Kuriositäten“, schepperte die vertraute Stimme über die antike Lautsprecheranlage. „Kommt näher – Mädchen, Jungs, Fräuleins, Burschen und Greise, begebt euch auf eine fantastische Reise!“
Margots zarte Finger strichen über ihr Paillettenkleid, die perlfarbenen Plättchen fügten sich kontrastlos an ihre milchige Haut. Sam’Oos beobachtete sie durch einen dilettantisch geflickten Riss in der Plane, all ihre Bewegungen wirkten bedächtig, absichtlich, dennoch führten sie ins Nichts. Ihre Schönheit war geradezu ätherisch, sie glich dem kühlen Westwind, der über die Küste fegt, mit seinem Atem die Sommerwiese bestäubt.
„Lernt sie kennen, Gottes grandiose Geschöpfe von geheimen Gefilden. Tretet ein in die Halle der bizarren Bestien und betörenden Beauties.“ Wie jeden Abend zog das rhythmische Gebrüll des Direktors Publikumsscharen an. Auf abgelegenen Planeten wie diesem war der Zirkus die einzige Attraktion, eine willkommene Ablenkung vom harten Alltag in den Quarzminen. Selbst die wenigen Profiteure des interstellaren Goldrausches ließen sich vom stickigen Glamour des petrol und blutrot gestreiften Zelts verzaubern, verließen für einige Stunden die Langeweile ihrer prunkvoll behüteten Anwesen. In ihren feinsten Gewändern strömten sie herbei, hielten die Häupter hoch, neigten sie neugierig vor, um einen Blick ins Innere zu erhaschen. Direkt neben Sam’Oos plusterte sich ein Herr auf, um seine Schultern lag ein vornehmes Sakko aus Gürteltier, auf dem Kopf trug er drei silberne Federn und am Arm hielt er gleich drei Frauen. Von seinem jovialen Grinsen und dem sirupartigen Aftershave wurde Sam’Oos übel, angewidert drehte er sich weg.
„Obacht, habt Acht, wandelt unter ihnen, sonnt euch in ihrer Pracht“, dröhnte es über die Menge hinweg, einige trampelten, andere tippelten kokett näher zum Durchgang, doch niemand, weder Magd noch Mätresse, konnte Margots luftigem Liebreiz das Wasser reichen. Er betrachtete sie wann immer möglich, schon lange, seit er zur Truppe gehörte, sie das erste Mal entdeckt hatte, war Sam’Oos in ihren Bann geraten.
Aufgeregtes Raunen schallte durch die Reihen, als der Direktor ein Stück zur Seite ging und zeremoniell verkündete: „Kommt, kommt, staunt und starrt über das, was in fremden Sphären sich verbarg.“ Damit begann der allabendliche Ansturm der Schaulustigen. Ungebremst drängten sie ins Zirkuszelt, flanierten und stolzierten zwischen den zwei Mann hohen Glasbehältern hindurch, blieben stehen und gafften hinein.
Der Direktor verweilte beim Eingang, prüfte die steigenden Umsätze auf seinem Handgelenkbildschirm und leckte selbstzufrieden seine Lippen. „Gutes Geschäft heute, Sam’Oos, sehr gut sogar.“
„Ja, Boss. Viele Leute“, bestätigte er und schmulte durch den Spalt, versuchte seine Liebste auszumachen, die von breiten und schmalen Rücken verdeckt wurde, lediglich der obere Teil ihres gläsernen Turms war zu sehen. Keiner wusste, wie Margot beim Zirkus gelandet war, selbst der Direktor vermochte ihr Geheimnis nicht zu lüften. Sie war einfach seit jeher da gewesen. Manche munkelten, die makellose Kreatur, der sie den Namen Margot gegeben hatten, sei älter als die Galaxis, ein Wesen frei von Zeit. Aber durch ihre transparenten Augen leuchtete unendliche Einsamkeit, der Kummer aller Lebewesen, die sich ihrer Endlichkeit bewusst waren. Und Sam’Oos hatte sich darin verloren, sich in ihrer wehmütigen Anmut verfangen.
„Die Kleine dort, die mit den halblangen Zöpfen“, meinte der Direktor und deutete auf ein zirka zwölf Jahre altes Mädchen, das vor dem Tank eines missgebildeten Kranichs in die Hocke ging, seine Stirn an das Glas hielt und dem Tier scheinbar etwas zuflüsterte. „Sie ist alleine gekommen.“
Kommentarlos wandte Sam‘Oos sich um und verschwand in der durchmischten Menschenmasse, um seiner Margot ein Geschenk zu machen.
Ruhe war in die Nacht eingekehrt, die Besucher in ihre Hütten und Paläste heimgekehrt, nur eine Schnapsleiche war übriggeblieben wie ein verbranntes Popcorn in der Tüte. Während die Leibeigenen des Direktors flink die verwitterte Plane zusammenfalteten, Heringe aus dem lehmigen Boden stachen und einen Glaszylinder nach dem anderen in den Frachter luden, hielt Sam’Oos die Hand des Mädchens fest.
„Bald geht es los“, sagte er zum begeistert lächelnden Kind, ohne es anzuschauen. Er sah sie nie an, fürchtete seine Liebe zu Margot könnte an ihrem Antlitz zerbrechen. Dabei war das undenkbar, von seiner Leidenschaft für sie gab es kein Entkommen.
„Und ich darf wirklich mit ihr reden?“ Das Mädchen hüpfte von einem Bein aufs andere, sprühte vor ekstatischer Freude. „Wirklich, wirklich?“
„Ja“, gab er zurück, da schob einer der Arbeiter einen Karren vor ihnen über die Laderampe ins Raumschiff. Beim Vorbeigehen hielt er kurz inne, beäugte erst die Kleine, dann Sam’Oos und seufzte: „Sie ist bereit.“ Das Unglück, der Schmerz eines Menschen, der um einen anderen trauerte, war ihm ins Gesicht geschrieben.
„Danke.“ Mit einem sanften Ruck zog er das Kind in Richtung des Zirkusschiffs, begleitete es über die Rampe durch den Laderaum bis zu dem kleinen Raum neben dem Lift zur Brücke. Das Mädchen plapperte indes unentwegt.
„Oh, wie schön, wie schön! Wenn ich das Mama erzähle, ach, was wird die sich freuen. Und ich kann mir alles wünschen, egal was?“, fragte sie, als Sam’Oos das erste der vier Vorhängeschlösser öffnete.
„Egal was“, versprach er, schob die Tür ein wenig auf und berührte den Nacken des Mädchens, spürte ihre Wärme, sog sie regelrecht ein. „Sie wird dir jeden deiner Wünsche erfüllen.“ Ein Hauch wehte ihnen entgegen, Margot hatte sie gewittert und rief nach ihm: „Sssss-Sam’Oos“ Ihr Echo erklang lange bevor sich ihre bleichen Lippen regten, sie sprach im endlosen Raum. „Sssss-Sam’Oos-sss, ich will sie!“ Kein Glaszylinder, keine Kammer und kein Zelt könnten sie je einfangen. Sie war von einem Aerosol umgeben, einem schillerndem Spray aus eisigem Verderben. „Sss-sie, gibt sss-sie mir!“ Margots liebliche Laute vermischten sich zu einem betäubenden Zischen. Das Mädchen streckte seine Arme aus und ohne zu zögern schritt auf sie zu, hinein in die neblige Hülle, Margots Mantel. Die rasenden Partikel zerfetzten das Kind in Sekundenbruchteilen, es zerfiel zu pinkem Staub, löste sich in Luft aus, nährte seine Geliebte. Sie war ein Komet in schönster Gestalt und er hatte vor, ihrer Bahn überallhin zu folgen. „Sssss-Sam’Oos. Mehr. Ich will mehr!“