Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
„Stephen! Was ist dein verfluchtes Problem, du Trampeltier?“, wetterte Fernando und fuhr, ohne Atem zu holen, fort. „Pass gefälligst auf wo du hintrittst, da ist alles voller Lamakacke!“
Sein dunkelhaariger Kamerad zog seinen Wanderschuh aus dem Dung. Der Ekel war seinem Gesicht deutlich anzusehen. „Bäh. Bei dem Hundswetter wird alles zur Pampe. Wir hätten den Truck näher am Eingang parken sollen statt vor dem Zaun.“ Er kniff die Lider zusammen und blinzelte in die Regenwolken hoch, aus denen der Wind eiskalte, dicke Tropfen auf die drei Reisegefährten peitschte. „Wieso mussten wir ausgerechnet in diesem Loch Urlaub machen?“
Carl, der dritte im Bunde, gab ein übellauniges Geräusch von sich. „Weil wir blöd sind.“
„Soweit nix neues“, grummelte Stephen und wechselte das Thema. „Was ist das überhaupt für ein Ort?“
Fernando lachte dämlich. „Keine Ahnung, eine Lamaplantage?“
„Seit wann genau pflanzt man Lamas an, du Hohlkopf? Vor allem, wer möchte die gießen und düngen, wenn hinterher sowieso bloß Kacke hinten rauskommt, die an den Schuhen klebt?“
„Ihr seid Idioten“, knurrte Stephen, unterbrach sich sogleich und deutete begeistert durch den strömenden Regen. „Wir haben’s geschafft, da vorn ist die Hütte!“
Gutgelaunt pulte Fernando das letzte Stück Speck aus der Bratpfanne. „Ist eigentlich ganz okay hier. Strom aus dem Generator, kein fließendes Wasser, kein Handyempfang, aber Bier und Essen haben wir. Die Berghütte deines Onkels ist zwar nicht mondän, dafür ruhig und perfekt für einen Wanderurlaub.“
„Plus, wenn die Vorräte ausgehen sollten, stehen draußen genug Lamas rum.“ Stephen gestikulierte zur Tür. „Hunger leiden wir nicht.“
Carl verteidigte die Tiere sofort. „Halt mal, die gehören meinem Onkel, die werden nicht aufgefressen, klar?“
„Schon gut“, brummte Fernando, mit einem Scheuerhaken im Kamin rumstochernd. „Sag mal, wieso hat dein Onkel eine Hütte und Lamas, wenn er kaum je da ist?“
„Er ist etwas schrullig. Und im Notfall können wir im Keller auf Rattenjagd gehen. Damit und den getrockneten Chilischoten im Vorratsschrank können wir uns eine Notration backen.“
„Das wäre dann sogenannte Rattenschärfe, Gentlemen“, prustete Stephen, der vermutlich ein Bier zu viel intus hatte, eine Tatsache, die Carl als Steilvorlage verwendete: „Bei dir morgen wohl eher Katzenjammer.“
„Du mich auch.“ Damit stand er auf und schlenderte zum Fenster, um zu sehen, ob er trotz Neumond die schöne Berglandschaft erspähen konnte. Als er den dünnen Vorhang beiseiteschob, stieß er einen spitzen Schrei aus und wirbelte herum. Kreidebleich zeigte er auf das nunmehr verdeckte Fenster und flüsterte: „Ein Lama beobachtet uns. Es steht vor der Scheibe und glotzt mit seelenlosen Augen hinein.“ Seine erschreckende Feststellung wurde lediglich mit grölendem Gelächter seiner Freunde quittiert.
Stephens Schlaf war unruhig, fiebrig, in dem ungewohnt harten Bett wachte er ständig auf, wälzte sich hin und her. Früher oder später versank er in einen Dämmerschlaf, in dem er von albtraumhaften Halluzinationen geplagt wurde. Ein Schaudern folgte auf das nächste und Stephen gelang es kaum, eine Mütze Schlaf zu bekommen.
Just, als er wieder eindöste, vernahm er ein lautes Knarren und schreckte hoch. Das hatte er nicht geträumt, oder? „Hallo?“, rief er, fummelte eine Weile herum und betätigte schließlich den Lichtschalter der alten Nachttischlampe. „Leute? War das jemand von euch?“
Abermals erhielt Stephen keine Antwort und ihm fiel das verdammte Lama mit den toten Augen ein, die ihn anglotzten. Nein, das war lächerlich, ermahnte er sich, als er in die zwei Nummern zu großen Pantoffeln schlüpfte und sich erhob. Geistesgegenwärtig streifte er sich einen Frotteebademantel über, bevor er am Türknauf rüttelte.
Da! Das Knarzen war zurück, es kam eindeutig aus dem Wohnzimmer. „Fernando? Carl? Ist alles okay? Das ist nicht mehr lustig!“
Stille war die einzige Antwort, also öffnete Stephen ernsthaft besorgt die Tür zum Gang. Im spärlichen Schein seiner Nachttischlampe, der durch den Türspalt fiel, konnte er wenig sehen, so tastete sich vorsichtig vorwärts. Bis auf das leise Ächzen der Dielen unter seinen Füßen herrschte Mucksmäuschenstille und Stephen begann sich zu fragen, ob es sich die gruseligen Geräusche im Halbschlaf eingebildet hatte.
Ale er beim Wohnzimmer anlangte, bemerkte er im Licht der sterbenden Glut des Kamins ein Schemen auf dem Teppich vor dem Couchtisch. „Was zum …?“ Diesmal fand er den Schalter auf Anhieb und der schmiedeeiserne Deckenleuchter flammte auf. Stephen hatte mit vielem gerechnet, doch unter keinen Umständen mit dem Anblick, der sich ihm bot: Carl lag auf dem Rücken in einer Blutlache.
„Scheiße, Mann!“, stöhnte Stephen, der wie eingefroren stehengeblieben war. Gerade, als er zu seinem Freund eilen wollte, brach dieser in epileptisches Zucken aus, bog seinen Rücken bis zum Anschlag durch, ohne, dass dabei Leben in seinen Augen aufblitzte. „Carl?“ Stephen wimmerte nahezu, verstand kein bisschen, was geschah. Der Körper seines Kumpels gab Geräusche von sich, die Stephen für das Reißen von Sehnen und Splittern von Knochen hielt, verdrehte sich in Positionen, die menschenunmöglich waren. Stephen sprang einige Schritte zurück in den Gang. Er war sich sicher, er musste träumen, das konnte niemals real sein. Mit einem Mal barst Carls Brustkorb und das grünbraune, schlangenartige Ding, das sich aus ihm herausfraß, war eine unbeschreibliche Ansammlung aus Klauen und Zähnen. Stephen machte auf dem Fuß Kehrt und sprintete den Gang entlang.
Panisch keuchend schlug Stephen die Badezimmertür zu und schaltete das Licht an. Er hoffte inständig, dort von diesem wahnsinnigen Wesen sicher zu sein. Was war das überhaupt für ein Vieh? Es erinnerte ihn an einen Alien-Parasiten aus einem billigen Horrorfilm. Er konnte sich bei besten Willen keinen Reim darauf machen, um was es sich bei dem Wesen handelte und woher es kam.
Er schaute sich im Bad um, versuchte einen Ausweg aus diesem Albtraum zu finden. An der Außenwand war ein kleines Fenster eingelassen, durch das er wohl mit etwas Quetschen passte. Nur musste er zuerst Fernando finden, ermahnte er sich – man ließ seine Freunde nicht zurück. Sollte er es wagen, die Tür erneut zu öffnen? Das Ding war zweifelsohne noch da draußen, lauerte auf ihn oder tat, was solche …
Ein abstoßende süßlicher Geruch, der ihm bislang nicht aufgefallen war, lenkte ihn von seinen Überlegungen ab. Stephen wandte sich zu dem zugezogenen, geblümten Duschvorhang zu. Ihm schwante Schlimmes. Zögernd bekam er ihn zu fassen und riss ihn zur Seite. Ein unterdrückter Aufschrei war alles, was er zustande brachte, nachdem er auf den schockierenden Inhalt der Emaille-Badewanne blickte: Fernandos Torso war aufgebrochen, die Haut geplatzt, etwas hatte sich aus ihm geschält. „Nein“, japste Stephen und schlug die Hände vor den Mund. Er musste hier weg, musste flüchten, bevor es auch für ihn zu spät wäre. Überstürzt öffnete er das Fenster, krabbelte auf die Fensterbank hoch und zwängte sich durch die enge Öffnung – er bereute, die letzten Monate dermaßen zugenommen zu haben. Kopfüber landete er im Matsch, drehte sich zur Seite und rappelte sich hektisch auf. „Was zum Teufel ist los?“
Der Truck, mit dem die drei Freunde zur Hütte gefahren waren, stand noch am Tor im Zaun, knapp zweihundert Meter entfernt und wenn sich Stephen recht entsann, hatten sie den Schlüssel stecken gelassen. Er rannte los, verlor seine Pantoffeln im matschigen Grund. Der Bademantel war mittlerweile mit Wasser und Schlamm vollgesogen und wog schwer, aber er weigerte sich, diesen letzten Schutz seiner Haut abzustreifen. Wer weiß, wie diese Wesen angriffen.
Er hastete über die Wiese, da tauchte plötzlich ein Schemen auf. Als er näher herankam, erkannte er darin einen von innen geschälten Lama-Kadaver. „Die Dinger kommen aus den Lamas?!“ Stephen hielt nicht inne, stolperte weiter und versuchte jedem der Tiere auszuweichen, kein Risiko einzugehen. Ihm waren diese Lamas von Beginn an seltsam vorgekommen und nun wurde er bestätigt. Stephen sah hoch und konnte vor sich bereits den alten Pickup ausmachen – Hoffnung auf ein Entkommen keimte in ihm auf. Im Endspurt schien ihm jede Sekunde wie eine kleine Ewigkeit, dann endlich bekam der den Türgriff des Wagens zu fassen und warf sich auf den Fahrersitz. Geschafft, gleich wäre er weg von hier, könnte diesem Schrecken entfliehen. Seine Hand griff nach dem Zündschlüssel und fasste ins Leere. Einen Angstschrei später suchte er angestrengt den Wagen ab – wo war der Schlüssel bloß? Dann entdeckte er ihn: Der Schlüsselbund hing im sabbernden Maul des Lamas, das direkt vor der Kühlerhaube stand und ihn fixierte. Stephen glaubte, dass es grinste und das, obwohl Tiere keinen solchen Ausdruck beherrschten.
„Schließ dich uns an, wir sind die Zukunft.“ Woher kam diese Stimme? Entsetzt stierte Stephen auf das Lama, bis er begriff: Sie war in seinem Kopf. „Fürchte dich nicht.“
Ohne lange zu überlegen, löste Stephen die Handbremse des Autos, das sofort zu rollen begann. Dem Lama bleib nicht mehr genügend Zeit auszuweichen. Stephen hörte und fühlte, wie der Pickup das Tier zermalmte. „Fick dich, telepathisches Alien-Lama!“, schrie er mit brennender Wut – genug war genug! Er packte das Lenkrad, um den Wagen auf die Straße zu bringen, doch die Lamaüberreste blockierten die Steuerung. „Ups“, war Stephens letztes Wort, ehe er mitsamt dem Pickup über die nahe Steilkante fuhr und in den Abgrund stürzte.