Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
„Ein Hund ist wie ein Kind, nur besser“, bricht Sharon die Stille. Ich seufze, ganz leise, sie hat mich bestimmt nicht gehört, und linse zum Fenster. Leider geschieht draußen nichts, das mich vor dem Gespräch bewahrt; der Vollmond thront weiterhin über den Hochhäusern und macht keine Anstalten, auf die Stadt zu fallen und mich aus meiner Situation zu erlösen. Unser Trabant hat halt nun mal kein Verständnis für mich und rotiert nur rücksichtlos um unseren Planeten, der faule Sack. Ich hätte ebenso gut den Vorhang zuziehen können, draußen passierte eh nichts.
„Du weißt genau, was ich vom Kinderkriegen halte“, lache ich gezwungen und lehne mich auf der Couch zurück, die Sharon im schwedischen Möbelhaus geholt hat, als wir zusammengezogen sind. „Das wusstest du schon, bevor du mich gefragt hast.“
„Natürlich, ich will ja auch keine Kinder“, gibt sie zurück. „Trotzdem sollten wir uns irgendwann mit unserer Lebensplanung beschäftigen, auch wenn du damit überfordert bist.“
„Ich bin nicht überf…“ setze ich an, nur um mich sogleich zu unterbrechen. Meine Verlobte kennt mich zu gut, jetzt beginnt sie sogar leise zu kichern. Ich korrigiere mich vorschnell: „Ich bin nicht allzu überfordert. Naja, so ein klitzekleines bisschen.“
Sharon tätschelt meine Schulter, eher tröstend als spöttisch. „Komm schon, du wurdest von einem Monat dreißig, tu nicht so, als bräuchtest du einen Erwachsenen hier.“
„Das ist meine erste ernsthafte Beziehung. Und natürlich brauche ich eine Erwachsene hier, dafür habe ich ja dich; um erwachsene Überlegungen anzustellen“, gebe ich zurück. Die Realität war mir schon immer zu kompliziert vorgekommen und wichtige Entscheidungen, wie ob man einen Hund adoptieren will, gehören dazu. Zu viele Dinge sind viel zu komplex, um jedes Ergebnis abzuschätzen.
„Okay, du gescheiterte Schmeichlerin.“ Damit boxt sie mich scherzhaft in die Rippen, schlendert zur PlayStation und schaltet sie ein. „Ich verstehe ja mittlerweile, wie herausfordernd das für dich zu sein scheint, nur möchte ich die Diskussion mal führen. Hier ist mein Deal für dich“, sie wirbelt herum, zwei Controller in der Hand, marschiert viel zu motiviert für einen geistig gesunden Menschen zur Couch zurück und lässt sich darauf fallen. „Wir diskutieren weiter, doch machen dazu was, das dir liegt. Vielleicht hilft das ja?“
„Gut“, sage ich, wenig überzeugt. Kurz linse ich zur Balkontür, vor der meine selbstgesäten Wildblumen im Wind wippen und konzentriere mich darauf, welches Spiel Sharon lädt. „Eine Battle Royale? Kann man dazu gut diskutieren?“
„Natürlich“, meint Sharon und reicht mir den einen Controller. „Also du kannst. Ich versuche in erster Linie, möglichst lange nicht zu sterben. Und das ist die Idee von der Sache.“
„Nicht zu sterben?“ Jetzt haben wir den Punkt erreicht, wo ich mich nicht dumm aufführe, sondern ihrer Logik tatsächlich nicht mehr folgen kann. „Ja, das ist das Ziel in dem Game.“
„Nein, du Supergenie“, prustet sie. „Das Ziel ist, dass du entspannt bist, wenn wir darüber sprechen.“
„Entspannt?“, gebe ich zurück und bewege meinen Charakter in Richtung eines Sturmgewehrs, das mir als sinnvolle Loot erscheint. „Ein anderes Team ist in der Stadt gelandet, Südwesten, drei Häuser entfernt von uns.“
„Südwesten …?“ Sharon unterbricht sich, als sie sich wieder an den Kompass oben am Bildschirm erinnert. „Alles klar. Also, wegen dem Hund, wie siehst du das?“
„Ganz einfach“, beginne ich, ehe ich mich auf die Suche nach einer Shotgun mache. „Ein Hund hätte sicher viele Vorteile und ich mag Tiere, nur, was ist, wenn er plötzlich krank wird?“ Ein Schuss aus der Entfernung, der mich 40 Health kostet, lenkt mich ab. „Shit, sie sind da. Deckung!“
Sharon sprintet hinter einen Baum und nimmt ihre Waffe zur Hand. „Wo sind sie?“
„Auf einem Hausdach, denke ich. Oh, du hast ein Scharfschützengewehr? Gibst du mir Deckung und ich schleiche mich an?“
„Gut.“ Damit feuert sie ohne zu zielen einmal in die Richtung, aus welcher der Schuss gekommen ist. „Einer ist definitiv auf dem roten Haus, habe gerade seinen Kopf gesehen.“
„Okay.“ Ich schleiche mich langsam durch die Gassen mit dem Ziel, ungesehen hinter den Feind zu gelangen und uns so einen Vorteil zu verschaffen. „Zwei Minuten bis zur Zone“, erinnere ich Sharon, ehe ich fortfahre: „Eben: Stell dir vor, der Hund würde krank. Oder wir verdienen plötzlich weniger, eine von uns verliert den Job. Oder …“
„Siehst du? Wenn du in deinem Element bist, kannst du ganz gut dazu diskutieren“, meint Sharon amüsiert, während sie erneut abdrückt und sogleich frohlockt: „Habe einen für 75 Health getroffen.“ Sofort wird sie wieder ernst: „So ist das Leben. Es ist gut zu planen, trotzdem kann man sich nicht von der Angst lähmen lassen, wir haben genug Erspartes für solche Situationen.“
„Du hast ja recht, nur …“ Ich stocke, bevor ich offen fortfahre: „Ich bin mir nicht gewöhnt, für jemanden verantwortlich zu sein, auch nicht für einen Hund.“
„Irgendwann musst du damit beginnen“, meint sie aufmunternd und ein weiterer Schuss ihres Scharfschützengewehrs hallt durch die Stadt. Ich schlucke einen Kloss hinunter, wohl wissend, wie Recht sie damit hat, erst recht, da ich tatsächlich für die Operation „Hund adoptieren“ zu begeistern bin, wenn ich es auch zu fest überdenke. „Gut. Oh, Mist, dreißig Sekunden bis zur Zone. Dafür bin ich hinter ihnen, ich sehe beide.“
„Auf drei?“ Eines muss ich Sharon lassen, sie schafft es souverän, von unserer Diskussion zum Game und wieder zurück zu wechseln.
„Gut. Eins“, beginne ich zu zählen und lege meine AK-47 auf den einen Gegner an. „Zwei.“
„Also heißt das jetzt, du möchtest auch einen Hund adoptieren? Also so generell?“
„Drei.“ Ich drücke ab und erledige den ersten Feind mit einem sauberen Kopfschuss. Der andere macht den Fehler, sich umzuwenden und aufzustehen, sodass Sharon ihn mit dem Scharfschützengewehr erwischt. „Ha!“, ruft sie und macht sich auf den Weg zu mir, um die Loot einzusammeln, die ihr zusteht. Ich zögere nur kurz. „Generell: Ja. Und konkret können wir das Thema im nächsten Match diskutieren. Jetzt beeil dich, die Zone ist gleich hier und wir brauchen ein Auto!“
Vielleicht bin ich eine komplizierte Partnerin, gerade für ernste Gespräche, denke ich mir, derzeit panisch auf der Suche nach einem fahrbaren Untersatz, um der tödlichen Wand zu entkommen. Aber, um fair zu sein, Sharon hat längst begriffen, wie man sich am besten mit mir unterhält.