Die verflucht unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Warnung: Diese Kurzgeschichte enthält unüblich viele Kraftausdrücke.
Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.

Jeder kennt diese ungepflegten Gestalten, die zu jeder Tages- und Nachtzeit an den vielbelebten Plätzen der Stadt stehen, arglose Passanten um Kleingeld anbetteln und mit lautstarken Flüchen nur so um sich werfen, wenn sie nicht erfolgreich waren. Nun, Jan war einer dieser Idioten, die nicht nur ihre Jugend, sondern ihr ganzes klägliches Leben verschwendeten und sich auch noch erdreisten zu glauben, dass sie die Sympathie und den Rückhalt der Gesellschaft verdient hätten. Er war nicht ein Gefallener und es war ihm in seinem Leben auch nie wirklich schlecht ergangen; er war schlicht und einfach ein faules Arschloch.

Jan blickte nervös auf seine alte Digitaluhr und stellte entsetzt fest, dass es schon bald Mittag war. Er hatte nun seit achtunddreißig Stunden nicht mehr geschlafen und brauchte endlich einen neuen Schuss um seinem Körper etwas Ruhe zu gönnen. In der vergangenen Nacht war er bei Tracy vorbeigegangen, in der Hoffnung, die Schlampe hätte etwas für ihn, etwas, das ihn über die nächsten Tage bringen könnte, ohne dass er schon wieder bei Derek hätte auftauchen müssen. Aber seine alte Bekannte hatte dreist behauptet, dass sie gerade trocken sei, obwohl er dem Miststück angesehen hatte, dass sie high war und er verschwendete all seinen Charme an ihr um sie dazu zu überreden, dass er nur kurz in ihr dreckiges Badezimmer konnte, um dort sämtliche Medikamente mitgehen lassen zu können. Tracy war seit dem Vorfall mit dem Stein sehr vorsichtig geworden und wann immer sie Jan sah, griff sie automatisch an die Stelle an ihrem Hinterkopf, auf die er eingedroschen hatte. Zu Jans Glück war sie jedoch ein dummes Weib und so hatte sie ihn auch gestern Nacht wieder in ihre Sozialwohnung gelassen und er hatte sie sich genommen; wenn sie ihm schon keine Drogen geben wollte, dann konnte er sie wenigstens ordentlich durchvögeln und ihre Küche plündern; ein Fehler, wie sich später herausstellen sollte.

Jan beschleunigte seinen Schritt und erreichte Dereks Nachbarschaft; eine der besseren Wohngegenden für die dieser Teil von Paris, Texas bekannt war und die ihn immer an einen alten Horrorfilm erinnerten, den er sich verbotenerweise mit einem Freund angesehen hatte, als er noch in der Grundschule gewesen war. Er hasste diese geleckten Straßen und die Menschen, die dort wohnten und er wusste genau, dass sie ihn nicht weniger verabscheuten. Als Jan auf dem schnurgerade verlaufenden Gehweg dahintrabte, entdeckte er einen, an einen gelben Briefkasten angelehnten Elektroscooter, kickte diesen auf die komfortabel gebaute Quartiersstraße und grinste breit als er das Krachen hörte. In der Vorstadt gab es zwei Arten von Leuten und beide waren sie heuchlerische Wichser, die Elektroautos und Biogemüse kauften. Während die einen sich vormachten, sie könnten sich mit übertriebenem Sport, Rohkost und plastischer Chirurgie das ewige Leben kaufen, verfetteten die anderen in ihren Villen, bewegten sich nur noch motorisiert fort und beleidigten jeden, der sie sich ansehen musste. Und sie alle waren der Meinung, mit ihrem Geld und ihren Spendengalas die besseren Bürger zu sein als Jan. Doch während diese prüden Heuchler ihre Frauen mit billigen Huren betrogen, Geld unterschlugen und mit ihren Hybridautos angaben, lief er durch die Stadt und tröstete sich mit dem Gedanken, dass er wenigstens für die Umwelt keine Belastung war. Er war vielleicht ein Taugenichts, ein krimineller Junkie aber wenigstens war sein CO2-Fußabdruck überschaubar klein und dank der Hanfpflanzen in seinem Apartment und deren Chlorophyll war seine Umweltbilanz sogar positiv. Das sollten ihm diese beschissenen Vorstädter erst einmal nachmachen.

Als Jan in die letzte Seitenstraße eingebogen war und Dereks Elternhaus hinter den in Reih und Glied stehenden Hartholzbäumen erahnen konnte, hielt er kurz inne und versuchte sich den klebrigen Schweiß mit einem verdreckten Taschentuch von der Stirn zu wischen. Es geschah nur sehr selten, dass er an seine Vergangenheit dachte und das war ihm auch recht so. Aber immer wenn er seinen verdammt nichtsnutzigen Dealer, der im Keller seiner Eltern wohnte, besuchen musste, wurde Jan automatisch nostalgisch. Er selbst war in einer ähnlichen Gegend aufgewachsen, nur hatte er wenigstens den Anstand gehabt zu verschwinden, als es offensichtlich geworden war, dass er das Spießerleben seiner Eltern nicht führen wollte. Es war in der siebten Klasse gewesen, als er zum ersten Mal Pot geraucht hatte und die kurze wilde Zeit, die er auf dem College gewesen war, hatte er damit verbracht, mit seinem Geodreieck Lines zu ziehen und high zu werden. Doch obwohl ihn manchmal die Wehmut packte, war sich Jan sicher, dass er seinen Lebensstil selbst gewählt hatte und wenn er ehrlich war, gefiel ihm sein Dasein so wie es war. Es gab nur wenig, um das er sich Sorgen machen musste und er brauchte sich nicht mit seiner Zukunft zu beschäftigen, sondern lediglich damit, wie er zu seinem nächsten Schuss kam. Das Gejammer anderer Abhängiger, es wäre heutzutage so schwierig an Kohle zu kommen, konnte er auch nie so richtig verstehen und manchmal fragte er sich, ob er denn der einzige war, der begriffen hatte, wie einfach alles sein konnte, wenn man sich von all dem unnötigen emotionalen Ballast entledigt hatte, der schlussendlich nicht wichtig war. Stolz, Skrupel, Mitgefühl, all das war ihm immer fremder geworden, so dass er manchmal nicht mehr sicher war, ob er früher tatsächlich so empfunden hatte, oder ob er nicht doch nur so getan hatte und diese gespielten Gefühle als Krücken missbraucht hatte, um sich anzupassen.

„He! Du da neben dem Prius, bleib stehen!“ Jan hatte keine Ahnung was ein Prius war, aber er erkannte die verächtliche Stimmlage und wusste sofort, dass man hier nur eine Person so ansprechen würde, nämlich ihn. „Was?“ Der alte Sack kam auf wackeligen Beinen aber bestimmt auf ihn zu und zog einen hässlichen Köter hinter sich her. „Willst du zu dem Hobbes Jungen?“ Jan schüttelte den Kopf, als würde er diesem Griesgram sagen, wohin er gehen wollte, doch kaum hatte er sich weggedreht, hörte er ein tiefes Knurren hinter sich. „Ich hatte dir gesagt, du sollst stehenbleiben. Humphrey mag es nicht, wenn man mir nicht gehorcht.“ Die verlauste Töle stand nun aufrecht neben seinem Herrchen und starrte Jan mit einem blutrünstigen Ausdruck an und das alte Arschloch lächelte auch noch, als er zu Jan herüber humpelte. „Ich bin kein verdammter Vollidiot und ich weiß, dass du zu Derek willst. Aber ich sage dir, du gehst besser wieder nach Hause.“ Eingeschüchtert von dem zähnefletschenden Vieh hob Jan die Hände in die Luft und ließ sein schmutziges Taschentuch fallen, bevor er kleinlaut fragte: „Und wieso glaubst du alter Sack, dass es dich etwas angeht wohin ich gehe?“ Der Angesprochene runzelte seine Stirn kurz, lächelte Jan dann aber entwaffnend an und zog seinen Hund etwas zurück, bevor er antwortete: „Das Hobbes-Haus ist voll mit Polizisten weil der verfickte Junge seine Mutter heute früh erschossen hat. Eine liebe Frau, aber etwas Dümmeres hat die Welt noch nie gesehen.“ Er tätschelte den mächtigen Kopf seiner Bestie und das Tier beruhigte sich schlagartig, bevor er fortfuhr und Jan erklärte, dass es für ihn wahrscheinlich keine gute Sache wäre, wenn er in einen Haufen Polizisten rennen würde.

Wiederwillig bedankte sich Jan bei dem fluchenden Alten und machte sich zittrig auf den Heimweg. Nun würde es nicht mehr lange dauern, bis die Entzugserscheinungen unerträglich wären und ihm blieb nur wenig Zeit um das Problem zu lösen. Auf seinem langen Weg zurück zu seiner Bleibe kam er an einem kleinen Möbelhaus vorbei in dem er unlängst mal gearbeitet hatte und er beschloss, dem arroganten Weichei, das sich Manager nannte einen kurzen Besuch abzustatten und ihn um etwas Kohle zu erleichtern.
Jans Hände waren schweißnass und ihm wurde kotzübel, als er auf dem hochflorigen Teppich zusammenbrach und sich beinahe den Kopf an einem der Ausstellungsstücke aufschlug. Eine junge Verkäuferin kam auf ihn zugerannt und fuchtelte panisch herum. Jan war nicht wirklich besorgt und glaubte, dass er in einigen Stunden im Krankenhaus aufwachen würde, so wie es schon so oft geschehen war. Was er nicht wusste und nie erfahren würde war, dass Tracy eine Überdosis der Herzmedikamente ihrer verstorbenen Mutter auf sein Sandwich gestreut hatte.

Autorin: Rahel
Setting: Texas
Clues: Elektroscooter, Geometriedreieck, Chlorophyll, Möbelhaus, Stein
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2 Gedanken zu „Die verflucht unerträgliche Leichtigkeit des Seins“

  1. Hallo liebe Rahel
    Haha, fluchen liegt dir nicht gerade (was ja für dich spricht), aber es ist definitiv eine nette Abwechslung zu deinem normalen Schreibstil und ich finde es interessant, wie neutral du diese Charaktere trotz allem beschreiben konntest.

    1. Ha, du hast mich erwischt. Es ist mir tatsächlich sehr schwer gefallen, nicht weil ich ein besonders anständiger Mensch wäre, sondern weil meine Art zu fluchen doch eher an eine grantige Oma und nicht an einen Junkie erinnert. ^^
      Rahel

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