Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
„Ich habe stets von der wahren Liebe geträumt“, schwärmte Katrin, während sie zwischen den endlosen Reihen aus Lagerregalen marschierte. „Du weißt schon: Loyalität, Aufrichtigkeit, Romantik bis ans Lebensende und all das halt.“ Sie kicherte ein wenig beschämt und blieb vor einem Regal mit der Aufschrift B-35 stehen. „Ah, da ist es.“
Liesa stöckelte neben die Lageristin, das Klacken ihrer Schuhe verstummte in der riesigen Halle. „Ich weiß nicht …“
„Doch, ist ganz bestimmt das da. B-35, Fach 529. Steht auf deinem Requisitionsformular.“
Amüsiert schnaubend schüttelte Liesa ihre Mähne, die sie vermutlich mit Lockenwicklern gezaubert hatte. „Darum geht es nicht, Kati. Wahre Liebe und das ganze Zeug, dem traue ich nicht. Woher willst du wissen, ob es das ist, wenn du jemanden triffst? Das mit den Emotionen und dem Beziehungskram ist viel zu kompliziert. Ist ja nicht so, als ob du Auslegware im Baumarkt kaufst, um dein Wohnzimmer umzugestalten.“
Katrin kratzte sich an der Schläfe, setzte sich in Bewegung und suchte nach dem richtigen Fach. Sie fürchtete, die andere könnte Recht haben, gleichzeitig wollte sie weiter an die Liebe glauben. „Das fühlt man einfach.“
„Wenn du meinst …“ Liesa war es unvorstellbar, wie man sich bei so etwas sicher sein konnte. Dem Frieden zuliebe gab sie ein zustimmendes Geräusch von sich und sagte: „Ich hoffe, du findest deinen perfekten Mann bald.“
„Danke, das ist lieb von dir. Ah, da sind wir, Fach 529.“ Katrin deutete auf die große Box mit Rädern, die darin gelagert war und zog sie hervor. „Ich wundere mich manchmal, was ihr aus der Forschung für Sachen bunkert.“
„Das ist ein Staatsgeheimnis, darf ich dir nicht verraten“, antwortete Liesa wahrheitsgetreu. „Ich möchte nicht in einem Verhörraum enden oder was Schlimmeres. Du wahrscheinlich genauso wenig, also hör auf, nachzubohren.“
„Schon gut, schon gut“, brummte Katrin und wechselte das Thema. „Steht unser allsamstäglicher Barbesuch morgen noch an?“
„Klar.“ Fröhlich summend folgte Liesa ihrer Freundin, welche die Lagerbox in Richtung des Frachtaufzugs schob.
„Morgen, Stefan“, grüßte Liesa, als sie mit ihrer Box im Labor anlangte, das in einem Container in einer weiteren Halle untergebracht war. Katrin hatte sie bereits vor dem Aufzug verabschiedet. Die Lageristin hatte nicht die nötige Sicherheitsfreigabe, um in den Forschungskomplex hochzukommen und zudem ihre eigenen Aufgaben zu erledigen. Der Kollege sah kurz von seinem Mikroskop auf, nuschelte ein abwesendes „Hey“ und widmete sich seiner Arbeit. Da hielt er inne, hob den Kopf und fragte: „Halt mal, du hast schon ein neues Subjekt?“
„Ja, P-529. Männlich, kaukasisch, 33 Jahre. Kerngesund. Eingelagert vor vier Jahren.“
„Und was ist mit dem anderen? P-579, oder?“
„Da bin ich noch dran, wird ein Offizier für die Leibgarde des Präsidenten, der sollte perfekt sein. Da dauert die Programmierung wie üblich länger.“
„Okay … und was wird dieser hier?“
„Na ja, ich habe eine Theorie, die ich auf die Probe stellen will. Kleines Nebenprojekt.“ Liesa grinste vorfreudig.
„Muss man dir wieder alles einzeln aus der Nase ziehen?“, motze ihr Assistent. „Schieß los!“
„P-529 wurde vor vier Jahren eingefroren. Verurteilt wegen Landesverrat, wie alle Subjekte im Lager ein Regimekritiker. Sein Gedächtnis wurde gelöscht. Genau wie P-184, mit der er verheiratet war.“
„P-184“, echote Stefan nachdenklich. „Sagt mir nichts. Kenne ich die?“
„Jup. Ein muskulöses Exemplar. Ich habe sie zu unserer Lageristin programmiert. Katrin; nett, umgänglich, unkompliziert und so pflichtbewusst, dass sie niemals in eine Box schaut.“
„Ah, die ist deine Arbeit? Umgängliche Kollegin.“
Liesa nickte. Sie hatte bei der Programmierung von P-184 darauf geachtet, eine Person zu erschaffen, die ihr selbst sympathisch war, um sich mit ihr anzufreunden. „Jedenfalls habe ich die Persönlichkeitsdaten von P-184 noch und da sie sich nach einer Beziehung sehnt, will ich ihren ehemaligen Ehemann, P-529, für sie programmieren. Wir brauchen eh einen weiteren Lageristen, seit die Regierung eine Null-Kritik-Politik eingeführt hat, kommen mehr Subjekte herein als je zuvor.“
Stefan lachte los. „Du willst zwei P-Subjekte verkuppeln, die vor der Löschung ein Ehepaar waren? Ich sehe schon, jemand ist experimentierfreudig.“
„Natürlich. Wenn wir schon brave Bürger kreieren, können wir damit auch ein wenig Spaß haben. Ich will austesten, inwiefern sexuelle Attraktion ausradiert werden kann“, meinte Liesa schulterzuckend. „Neue Erkenntnisse waren noch nie nachteilig.“ Das war selbstverständlich Blödsinn, ihre Forschung hatte sogar in den Anfangstagen des Regimes beachtlichen Schaden angerichtet. Insgeheim sinnierte sie, ob sie langsam weich wurde, ihrer selbstprogrammierten besten Freundin einen Partner zu basteln war eigentlich nicht ihre Art. „Solche Forschung wird ja wohl im Interesse der Regierung sein“, ergänzte sie, in erster Linie um sich selbst von ihrem Vorhaben zu überzeugen.
„Hm, das Experiment ist wenigstens spannend.“ Stefan schlenderte zum Kühlschrank, in dem sie Proben aufbewahrten, nahm ein Sandwich heraus und biss herzhaft hinein. „Igitt, Brigitte hätte echt nach der Hälfte die Finger von der Pfeffermühle nehmen sollen, das Ding ist ungenießbar!“
„Wenn sie schlecht kocht, bring sie rein und pass die Programmierung an“, schlug Liesa gleichgültig vor. „Ist schnell gemacht.“
Stefan erstarrte und es dauerte eine Sekunde, bis Liesa begriff und in Gelächter ausbrach. „Was, hast du gedacht keiner merkt, wie ähnlich deine hübsche Ehefrau P-374 sieht?“ Angespannt musterte Stefan seine Vorgesetzte, ihr fiel auf, wie verkrampft seine Finger waren, also fuhr sie fort: „Nichts fragen, nichts sagen ist bei uns die Devise. Solange du nichts Politisches mit ihr anstellst, kümmert es keinen. Die P-Subjekte stapeln sich da unten bis zur Decke.“
Erleichtert seufzend lehnte sich Stefan zurück. „Shit, für einen Moment hätte ich erwartet, du verpetzt mich und ich lande in einem Umerziehungslager.“
„Sei nicht albern“, winkte sie ab. „Wie gesagt, eine heiße Ehefrau kümmert die Partei nicht, du kannst deine wahre Liebe gerne behalten.“ Sie wandte sich wieder ihrer Arbeit zu und verschwieg ihrem Assistenten geflissentlich, dass er mal P-44 gewesen war. Wenn der Arbeitsmarkt keine skrupellosen Wissenschaftler hergab, holte sie sich eben welche aus dem Lager.