Warten macht mir wenig Spaß. Allein warten, in einer derart geschmacklosen Eingangshalle noch weniger.
Ich steh‘ auf Vintage, kaufe selbst viele meiner Möbel gebraucht, aber gepaart mit der Weitläufigkeit dieses Raums wirkt Vintage absurd.
Beim Hereinkommen kam nicht gerade eine Hotel-Atmosphäre auf, ich fühlte mich vielmehr wie in einem verlassenen Hallenbad ohne Becken in der Mitte. Oder einer menschenleeren Aula ohne Stühle.
Ein Empfangstresen, der mittig am Ende des Raumes steht, ein Getränkeautomat in der Ecke neben der Tür und drei klapprige Stühle an der Wand gegenüber der Flügelfenster, dazwischen Leere. Das alles getaucht in das spärliche Licht, das von einer semimodernen Nachttischlampe auf dem Fensterbrett stammt.
Die Pflanzen darauf sind ganz vertrocknet und als ich an den Gardinen rieche wird mir übel. Von ihnen steigt ein Geruch nach altem Fett und einem Hauch von Moschus, der mich an ein vertrautes Parfum erinnert, auf.
Beim Vorbeilaufen an dem Getränkeautomaten, direkt neben dem äußersten Fenster, rutsche ich aus.
Auf dem Boden sitzend taste ich das Linoleum ab, bis es klebrig wird: Cola, schätze ich.
Naserümpfend betrachte ich den Fußboden, von dem ich nicht mal essen würde, wenn meine Geschmacksnerven taub wären. Er wellt sich schon leicht und seine merkwürdig braune Farbe macht äußerst unhungrig.
Alles verströmt den kalten Atem von vorgestern, aber niemand kann einen wärmen, denn: Es ist ja keiner da.
Ich bin gern allein, das schon. Dann bin ich die Einzige, die mich beobachtet und diese Unbefangenheit ist erholsam. Aber hier wirkt diese Einsamkeit falsch, aufgesetzt irgendwie.
Es ist, als ob eben noch jemand da gewesen wäre und man vertuschen wollte, dass dieser Raum noch genutzt wird. Ich kann nicht gerade einen Menschengeruch ausmachen, das wäre creepy, ich bin ja nicht Jean-Baptiste Grenouille. Es fühlt sich nur so an.
Ein Hinuntersehen auf mein Handgelenk: Der Zeiger wohnt im Roségoldenen, das Ziffernblatt meiner Uhr verschwimmt.
Momente des Augenschließens, Zusammenkneifens und Zwinkerns folgen, dann wird alles klar: 22:05 Uhr. Wie die letzten beiden Male. Zweifelnd suche ich eine Uhr im Raum. Da ist nur keine, die sich finden lässt.
Mein ‚Entweder‘ ist: Die Zeit steht still. Und mein eher wahrscheinliches ‚Oder‘: Meine herzlose Uhr tickt nicht mehr richtig. Zögernd nähere ich mich darum dem schemenhaften Umriss des Rezeptionstresens.
Beim Darüberbeugen drehe ich den Computerbildschirm oder was das sonst ist, es fühlt sich jedenfalls so an, um. Den Schreibtisch taste ich erfolgreich nach einer Maus ab und wecke das Monstrum.
Das ausgesprochen monströse an dem Bildschirm: Seine Farbe, rauchergelb und seine Shrek-Aura. Shrek ist ganz cool aber anfassen will man ihn nicht. So wie den Bildschirm, der sich schmierig unter meinen Händen anfühlt.
Und dann: Die Haare ganz schwarz zu einem Pferdeschwanz gebunden, mit Klavierspielerhänden und einem Mund, der sich nicht entscheiden kann. Er schmeichelt dem indigoblauen Jeanshemd und dazu denke ich mir eine schwarze Hose, ganz eng. Nur kann ich auf die keinen Blick werfen, oder kann ich schon und tu‘s bloß nicht. Ich stehe ja wieder hinter dem Empfangstresen, bin ganz Hotelgast, aber meine Haltung wirkt falsch, das spür‘ ich.
“Eine Nacht oder zwei oder länger und allein oder zu zweit oder eine ganze Horde?”
Verdutzt schaue ich ihn an.
“Bitte?”, frage ich oder steht in meinen Augen, dabei habe ich ihn inzwischen verstanden.
“Vielleicht wollen wir vorher was trinken gehen oder nur darüber reden und dann erstmal rumknutschen?”
Jetzt ist er es, der verdutzt dreinschaut.
“Zum Kennenlernen, meine ich. Und dann … Mal sehen, aber allein.”
Die Erkenntnis in seinem Gesicht macht sich hübsch darin und das Lachen dazu klingt, als ob er gut riecht.
Lippenkauendes Warten meinerseits, er bemüht sich darum ernst zu klingen. “Warum nicht, Mylady. Auch wenn ich eigentlich nur wissen wollte, ob du in Begleitung kommst und wie lange du bleibst.”
Den Ups-Gedanken sieht man mir an, fürchte ich und schlage die Lider nieder.
“Ach so. Ein Einzelzimmer für eine Nacht, bitte. Und: Du begleitest mich”, verlange ich, lehne mich dabei über den Tresen und stütze das Kinn in die Hände.
Spiele mit meiner Haarsträhne oder seiner, beide gleich schwarz und gleich nah.
Befeuchte meine ganz trockenen Lippen und atme tief ein. Marzipan.
Von seiner Haut steigt ein Geruch auf, wie flüssiges Marzipan riecht der.
Und sein Atem ist noch süßer, benebelt lehne ich mich zurück.
“Warum das Ganze?” Ich deute hinter mich, umfasse mit einer Geste den ganzen Raum.
“Zur Abschreckung”, entgegnet er verschwörerisch und ich suche sein Gesicht nach Sommersprossen ab.
Ich finde keine oder er hat sie versteckt, jedenfalls sehe ich ihn verständnislos an.
“Sagen wir´s so: Das Hotel is nich grade ne Goldgrube. Man is da grade an ner andern Sache dran. Fremde sind hier nich gern gesehn, man hat Angst, dass sie rumschnüffeln.”
Die Mylady-Sprache war mir irgendwie lieber, weshalb meine Mimik überschnappt.
Meinen anklagenden Blick missversteht er. Mit einer Stimme, die ich ungefähr genauso gern höre wie ich Lakritze esse (ich hasse Lakritze!), fügt er hinzu: “Streng genommen dürft´ ich dir gar kein Zimmer vermieten.
Beschluss von ganz oben. Oberste Instanz und so.” Bedauernd zuckt er die Schultern, doch in seinen Mundwinkeln zuckt es jetzt.
“Dein Scherz ist durchschaut. Und ich bleibe noch eine Nacht länger.”
Er tippt daraufhin auf der Tastatur herum und händigt mir einen alten, bronzefarbenen Schlüssel aus, der mir ziemlich merkwürdig vorkommt. “Sicher, dass der in irgendeine Tür dieser Welt passt? Sieht für mich aus wie der Schlüssel zu einer Schatztruhe.” Das findet er wohl komisch, grinsend reicht er mir seine blasse Hand und spricht in hochtrabendem Tonfall “Wenn Sie mir dann bitte folgen würde, ich geleite Sie nun in Ihre Gemächer.”
“Mit Vergnügen. Nur hätte ich vorher gern ein Wasser.”, gebe ich schmunzelnd zurück.
“Dann hol dir do…”, rutsch es ihm raus, die letzten Wörter sehe ich gerade aus seinem Mund klettern, als er ihn erschrocken zuklappt. Entrüstung in seinen Augen, die Sorte die einen belustigt.
Ich lache ihn offen an, nicht so wie die Amerikaner, so breit ist mein Mund nicht und meine Zähne nicht so weiß, sondern so, wie ich. Dabei werden meine Augen klein und man sieht Lachfalten. Dieses Lachen klingt anders als im Film: Unmelodisch, aber rührend echt.
Er wartet auf eine Erklärung und die gebe ich ihm. “Der Getränkeautomat spinnt rum”, sage ich schlicht.
Dabei will ich nur seinen Hintern sehen. Der gefällt mir, denn nachdem er hinter dem Tresen hervorgekommen ist und jetzt auf den Automaten zusteuert, kann ich deutlich erkennen, wie sich der Stoff seiner tatsächlich schwarzen Hose an seinen Körper schmiegt.
Sein Rücken verdeckt mir die Sicht, aber er drückt wohl einen Knopf und greift dann in seine Hosentaschen. Ich zücke einen Euro, berühre kurz seine Handfläche als ich das Geld hinein lege und überlasse das Feld wieder ihm. Geräuschvoll verschluckt sich der Automat an der Münze und er dreht sich triumphierend zu mir um. “Geht doch.” Er reicht mir die Flasche, feierlich. Aber insgeheim zürnt er vermutlich dem Wasser, das nun mal keine Cola ist.
Ganz hinreißend dreist will er wissen, ob es wirklich der Automat ist, der rumspinnt. Erst blinzle ich ihm unschuldig zu, aber er weiß Bescheid. Vielleicht bin ich zu dunkelhaarig und wenig überirdisch.
“Ich weiß”, erwidere ich nur, lege Verschlagenheit in meinen Blick und sehe zu ihm auf.
„Wasser wär’ jetzt nich grad meine erste Wahl gewesen”, gibt er bald darauf auch wirklich zu.
Ich erzähle ihm von meinem klebrigen Ausrutscher vorhin und schlage vor, dass er die restliche Cola ja dort vom Boden auflecken könnte, wenn er so scharf darauf sei.
Er erklärt sich bereit, die “Unfallstelle” zu besichtigen und als ich auf die besagte Pfütze deute, kniet er sich auf den Boden, tunkt seinen Zeigefinger hinein und steckt ihn sich ungerührt in den Mund.
Noch immer ungläubig, beobachte ich, wie sich sein Gesicht verzieht.
“Leicht künstlich im Abgang. Eindeutig Coke Zero, wäh! Du kannst mir nicht zufällig eine andere Colapfütze hier im Raum empfehlen?” Langsam fange ich an, ihn wirklich zu mögen. “Noch nicht. Aber ich bleibe wachsam”, verspreche ich, trinke einen gigantischen Schluck und reiche das Wasser an ihn weiter. „Wenn du die Augen zu machst und dir etwas ungeheuer Süßes vorstellst, dann ist das fast wie Colatrinken“, ermuntere ich ihn.
Wir lächeln uns an. Dann greift er nach der Flasche, schließt die Augen und stellt sich ‚was auch immer‘ vor.