Warnung: Diese Kurzgeschichte enthält Szenen, die auf einige Leser beunruhigend wirken könnten. Mehr zu unseren Warnungen sowie wann und weshalb wir sie anwenden, erfahrt ihr in unseren FAQ.
Diese Story ist auch als Hörgeschichte erschienen.
Wir sind zu viert, wie im Schlachttransporter aneinander gedrängt, vor uns aufgebaut die beiden Männer, die uns beaufsichtigen. Ich habe die anderen Mädchen nie zuvor gesehen, dennoch verbindet uns eine unausgesprochene Verbindung. Schwestern, das sind wir, zumindest vorläufig. Sie haben uns in eine Ecke getrieben, unterhalb der Treppe sind einige Matratzen aufgestapelt, daneben hängen Kleider von einem Heizungsrohr an der Decke. Meine Befürchtung wird realer, dies soll unser Heim werden. Der Größere begibt sich an die hintere Wand, lehnt seinen Schlagstock an das Regal und nimmt etwas aus der Kühltruhe. Schimmel breitet sich von der Luke, der einzigen Tageslichtquelle, aus, zeichnet morbide Muster bis zur Decke und zum Erdboden. Meine Familie glaubt, ich sei in einer besseren Welt angekommen. Die Schwester zu meiner Linken hält ein Schluchzen zurück, ich fühle ihr Zittern und schnappe mir ihre Hand, drücke fest zu. Sie darf nicht weinen, niemand darf weinen.
„Geht da rüber“, befiehlt der Kleinere. „Hopp.“ Wir gehorchen und ihre Finger entgleiten mir. „Ich gebe euch die Tour“, sagt er grinsend, bevor er zur Treppe zeigt. „Wo ihr die Betten hinlegt, ist euer Problem, dort drüben hat es für jede ein Regalbrett und das da“, sein Tonfall wird spöttisch, „ist euer Badezimmer.“ Mitten im Raum, an einer bröckelig verputzten Trägersäule, ist eine Toilette angebracht. Der Keller ist winzig, wir werden unsere Schlaflager um den Balken herum ausbreiten müssen. Kein Sichtschutz, keine Privatsphäre für die Viecher. „Das Fenster kann man öffnen“, fährt er fort. „Im Winter würd‘ ich’s lassen, die Heizung fällt manchmal aus.“ Er stößt mit dem Fuß an einen Elektroheizer, so einen hatte meine Tante Anja auch. In unserem Dorf ist es meist kalt, die Stromversorgung lückenhaft, also trifft man sich in ihrer Hütte, isst gemeinsam Suppe, liest sich vor und singt Lieder. Anja ist letztes Jahr gestorben, ihres war das erste von vielen Begräbnisfesten. Der Regen hatte einfach nicht mehr aufhören wollen, die Kormorane fraßen allen Fisch, die die Ernte verfaulte und mit ihr unser Dorf. Nun liegt es an mir und solchen wie mir, das was übrig ist, zu retten. Kindermädchen und Putzfrauen, das sollen wir werden. Mir schwant Böses.
„Hier.“ Der Größere wirft uns je eine Plastikflasche zu und bedeutet uns zu trinken. „Ihr füllt die Flaschen mit Leitungswasser, das ist gut für euch. Vertrocknet und hässlich seid ihr unnütz.“ Wir Schwestern stürzen das kühle Wasser hinunter, aus Angst vor ihnen, vor allem aber, weil wir nach der Fahrt durstig sind.
„Willkommen, die Damen“, tönt es und eine kurzhaarige Frau steigt die Treppe hinab. Das muss sie sein, die Madame. Ich hatte sie mir furchteinflößender vorgestellt, ledrig-verbissen mit dem harten Ausdruck eines Kommandanten, stattdessen wirkt sie wie eine fragile Matrone. Von ihr geht allerdings eine gebieterische Energie aus, das merken nicht bloß wir Mädchen, sondern ebenfalls die Männer, die sofort einen Schritt hinter sie treten. An den Größeren gewandt, blafft sie: „Wieso hat das so lange gedauert, Konrad?“ Wieder vernehme ich das belegte Klagen und berühre meine Schwester möglichst unauffällig am Unterarm, um sie zur Vernunft zu bewegen.
„Die da wurde am Zoll aufgehalten. Hat irgendwelche Fressalien mitgenommen“, gibt er Auskunft, da entfährt ihr ein Heulen.
„Komm her.“ Ich lasse sie los, spüre ihre Verzweiflung und weiß um die Panik in ihren Augen, ohne hinschauen zu müssen. „Los, mach vorwärts!“ Schwach stolpert sie vorwärts, stellt sich krumm vor die Madame. Wahrscheinlich ist sie gerademal fünfzehn Jahre alt, wie ich selbst noch ein Kind. Wir richten unseren Blick nach unten. „Zieh dich aus.“ Sie zögert, bringt unverständliche Laute des Protests hervor. „Du hast drei Sekunden. Drei …“ Konrad langt nach seinem Schlagstock, schleift ihn über die Erde. „Zwei …“
„Madame“, wimmert meine Schwester, die Antwort darauf kommt prompt: „Eins!“ Mir ist unklar, was mich dazu bewegt, meinen Kopf zu heben, trotzdem mache ich es, werde Zeugin. Konrad und sein kleinerer Kamerad schreiten auf sie zu, einer packt sie an Haar und Genick, der andere schwingt seinen Stock durch die Luft, ehe er ihr mit voller Wucht seitlich ans Gesicht schlägt. Ein metallener Klang dröhnt durch den Keller, sie will zu Boden gehen, wird aufgehalten vom Griff um ihren schmalen Nacken. Konrad holt erneut aus, diesmal trifft er ihre Hüfte und sie darf fallen, keucht nach Sauerstoff lechzend auf. Es ist nicht vorbei, die Männer erledigen ihre Pflicht, indes beobachtet die Madame jeden Prügelhieb. Ich tue es ihr gleich. Blut fließt dort, wo die Haut bricht, Kochen bersten in Stücke, der Krach, den sie machen, ist grauenhaft. Keine von uns schreit, stumm ertragen wir den Beginn unserer Versklavung. Als meine Schwester endlich in Ohnmacht fällt, lassen sie von ihr ab, dann kniet sich der matronenhafte Kommandant neben sie hin, knöpft ihre Bluse auf und bringt ihre Order selbst zu Ende.
„So, die Damen. Zieht euch aus“, fordert sie. Ihr freundliches Lächeln soll uns keineswegs darüber hinwegtäuschen, dass sie zweifelsohne bereit ist, uns genauso so zuzurichten, im Gegenteil. „Ich will mich nicht wiederholen müssen.“ Ich öffne die obersten Knöpfe meines Blusenkleids und zerre mir den Stoff vom Leib. Meine Unterwäsche ist löchrig, der Slip verschmutzt von rötlichen Flecken. Ein Fingerzeig der Madame reicht aus und ich streife auch den Rest meiner Kleidung ab. „Sehr schön“, murmelt sie uns zufrieden begutachtend. „Wisst ihr, je schneller ihr kapiert, wie der Hase läuft, desto besser.“ Die Männer halten sich stramm stehend im Hintergrund, dicht vor der verschimmelten Wand mit dem Regal und der Kühltruhe. „Ihr nennt mich Madame Milena. Ich bin diejenige, die euch Kunden bringt, euch ein Dach über dem Kopf gibt, euch füttert und euren Kontostand bestimmt.“ Sie hält vor einer meiner Schwestern inne, fasst ihr an die Brüste und meint zu Konrad: „Die hier braucht anständige Titten. Ruf nachher Doktor Antelj für einen Termin an.“ Er nickt und sie geht weiter. „Wenn ihr macht, was ich euch auftrage, kann ich eure beste Freundin sein“, erklärt sie wenig aufrichtig. „Wenn nicht, eure schlimmste Feindin.“ Jetzt verweilt sie direkt vor mir, beäugt jeden Zentimeter meines Körpers. Ich denke an die Geschichten, die vielen Bücher in Tante Anjas Hütte, die wir uns in harten Wintern erzählten. Während sie meine Schenkel abtastet, verschwinde ich in diesen Erzählungen über Zaren, Prinzen, großen Schlachten, Damen in Not und sie alle gingen gut aus. Immer.
„Bist du Jungfrau?“, werde ich gefragt und mein Verstand klinkt sich aus.
„Ja, Madame Milena.“
„Sicher? Vater, Onkel, Bruder? Hat dich nie jemand angefasst?“
„Ja, Madame Milena. Ich bin sicher.“
„Konrad wird das später prüfen, wenn du uns anlügst, setzt es was.“
„Ich weiß, Madame Milena. Ich lüge nicht.“
„Braves Mädchen, du wirst uns ordentlich was einbringen, eine wie du ist gefragt.“
„Danke, Madame Milena.“
„Deine Familie kann stolz auf dich sein.“
„Wenn ich ihnen helfen kann, bin ich glücklich.“
Doch das hier ist keine Geschichte, es gibt kein Happy End für mich.